Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0058

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
selbst, sondern er veranlaßt den Leser, den Zuhörer, dleselbe
sich zu bilden. Und hierin beruht das schöne Geheiinnis, und
die ganze Lrklärnng von der tiefen kvirkung der Ibsenschcn
5tücke." kVas Ibsen verlangt, ist Gewöhnung und Erziehung
des lVillens zuin lVahren, Vernünstigen, Guten, ist Läuterung
der Gedanken, Verfeinerung des Gcwissens und Linklang von
Linsicht, Gewissen und bsandlung. Letzteres an 5telle der
regierenden Dreiheit Leichtsinn, Stumpfsinn, lVahnsinn. D.

» Oeueres von Mosegger. „ksöhenseucr" und „Aller-
! handLeute" heißen sie, bei bsartleben in lVien wurden sie
verlegt und Geschichten sind sie. Geschichten von Rosegger —
das sagt eigentlich schon genug. Lassen wir die drei lVorte
im Vhr verklingen, so weht's durch unsere Zimmerluft wie ein
Dust vom Tannenwald, wie Rühle vom schneebenachbarten Gebirg;
Bilder gebräunter Burschen und Dirnen schweben vor uns
vorüber, Ainder lachen dazwischen und von Fern hallt ein Iodler
herüber. 5olcherlei Gebilde pslegt wenigstens der Name
„Rosegger" im Rops des Durchschnittslcsers zu erwecken: im
Ropse derer, heißt das, die Bücher nur lesen, aber nicht kennen
lernen. Den Andern xflcgt er noch eine andere Vorstellung
wachzurusen: die von einem der edelsten lNenschen, die je mit
ihres Volkes Lust und Leid gesühlt, die von einem lserzen,
das alles, aber auch alles Lchaffcn dessen, dem in der Brust
es schlägt, mit seincm besten Blute ernährt.

Rosegger ist nicht das, was man einen Lalonschriftsteller
nennen könnte. Leine lVerke habcn wenig von dem litterari-
schen Beigeschmack, den der Gaumen des Gourmands gleich
englischen Saucen und Mixedpickles liebt; sie sind nicht pikant,
wie das unseren Ionrnalisten als das Ziel, des Schweißes der
Ldlcn wert, erscheint. Dem Lescr wird nicht von Leite zu
5eite xlausibel gemacht, daß ein höchst geistreicher lNann die
kserablassung hat, ihn zu unterhalten, er sieht den Versasser
nicht vor sich sitzen, wie er, die weißen Zähne ein wenig unter
dem Zchnurrbart zeigend, die eine ksand spielend mit der
Alemmerschnur, die andere nnt dem Glacehandschuh, mit ver-
bindlich empor gezogenen Augenbrauen nachlässig elegant zu
ihm spricht. Er hört den Versasser überhauxt gar nicht erzählen,
er denkt, selbst wenn der Mann seine Glossen macht, an die
Glossen und nicht an den Mann, er vergißt ihn über seinem
lVerk. Bis er zu Lnde gelesen. Dann aber tritt der Dichter-
geist zu ihm. Nnd er sragt ihn — nicht: gesalle ich Dir?
sondern: ist die IVelt, in die ich Dich gesührt, nicht Deiner
Teilnahme uud Deiner Liebe wert?

Rosegger ist kein Virtuos, sondern ein Rünstler. Lin
Aunstler zunächst im Aufbau seiner großen oder kleinen lVerke.
Auch diese Geschichten sind zumeist so vortresslich komxoniert,
daß man die Romxosition gar nicht bemerkt. Nicht nur vom
Ausbau im Großen gilt das, sondern auch vom Nebeneinander-
bau der einzelnen kleinen Teile. Die xschchologischen Gesetze
der lVirkung durch den Aontrast, der Lummation der Reize
u. s. w. scheinen auss Feinste angewandt zu sein, obgleich sie
ganz gewiß nicht bewußt angewandt, sondern nur empfunden
sind. Dort und dort sprießt ein Ar^stall hervor, wir sreuen
uns an den einzelnen -- plötzlich sind sie zusammengeschossen
zu einem Ganzen. Nur einmal, in der „Geschichte vom Zwie-
äugl", sind zwei Begebnisreihen zusammengebracht, die nur i'n
äußerlicher, nicht in innerer Beziehung zu einander stchen.

Die Fähigkeit zu guter Ausordnung des ganzen Ltoffs hat
zur Vorbedingung Vollkraft der inncren Anschauung. Un-
mittelbar bethätigt sich diese in der Art, wie Rosegger seine
Gestalten und Naturbilder wiedergiebt. Reine Lchilderunch:
ein xaar Bewegungen, ein xaar Laute — und es lebt. Dar-
stellungen, wie die des „Dirndls" beim Psarrer in dem an-
spruchslosen kleinen Stück „Zwei, die sich nicht mögen" auf
Seite 7 bis 9 (in „Allerhand Leute") sind Zeugnisfe einer ganz
wundervoll gestcigerten Phantasie. Man sieht das Mädchen
nicht nur leibhaft vor sich, man glaubt es zu kennen von
seiner Rindheit auf, gleich einer Lchwester — und man jubelt
^ geradezu, ist man selbst ein Rünstler, über diese Kunst.

Dennoch ist mit der betrachteten Leite Roseggers ganze
Bedeutung noch nicht gesehen. 5ie hat noch eine andere:

ihre kulturelle. Denn ein jdriester sür die kVeltanschauung
eines sreien Nenschentums ist der steirische Dichter und ist er
nicht nur für sein lheimatland. kvir haben nicht viele Bücher,
in denen ein unabhängiger, kühner Geist zugleich so klar znm
Dcnken, so warm zum Lmpfindeu, so erregend znm kvollen
spricht, wie Rosegger z. B. in seinen „Bergpredigten." A. ^
-x- Dermklnn Friedricbs' soeben erschiencner Novellen-
band „Liebeskämpse" (Zürich, I. Schabelitz) bestätigt im
Allgemeinen das günftige Urteil, welches wir uns nach den
srüheren Dichtungen dieses Schriftstellers von seiner poetischen
Gestaltungskraft nnd seiner Unerschrockenheit in der wahl
eigenartiger Vorwürfe gcbildet haben. von den vier Lrzäh-
lungen diescs Bandes hat uns die zweite und längste, „Das
Mädchen von Antiochia," am wenigsten gefallen. Der Ver-
such, uns einen rcin romantischen Stoff aus der Zeit der
Rrcuzzüge durch „modernere" Behandlung annehmbar zn
machen, ist hier unseres Lrachtens nicht geglückt. Die Geschichte
hat uns, ehrlich gesagt, gelangweilt. Üm so lebhafter haben
die drei übrigen Novellen uns interessiert. Line glückliche
Verfchmelzung von Romantik und Realistik zeigt „Das Ureuz
der Liebe", eine sizilianische Geschichte aus dem vorigen Iahr-
hundert. Sie hat uns am meisten an Meisterwerke j)aul
bseyses erinnert. Am meisten im Sinne des „jüngsten Deutsch-
land" und daher anch am meisten in Friedrichs' eigenster Ligen-
art sind die letzten beiden Novcllen „Lhryssoule" und „Die
schöne Unnahbare" gehalten. Beide behandeln mit rücksichts-
lofer wahrheitsliebe gesellfchastliche Fragen der Gegenwart,
beide sind in der Lharakterzeichnung, wie in der Ljandlung
gut abgerundet, beide sind spannend und niit individueller
Färbung erzählt. „Lhryssoule" behandelt die Frage, ob die
Gesellschaft unter allen Umständen recht hat, wenn sie dem
Manne jeden ^ehltritt vor der Lhe gestattet, dem lVeibe einen
solchen zur unauslöschlichen Schande anrechnet. Die einzig rich-
tigc Antwort aus dicse Frage licgt in dem Naturgcsctz, welches
dem weibe die Folgen cines Fehltritts auserlegt und es daher
auch mit größerer Schamhastigkeit ausgestattet hat. Friedrichs
umgeht diese Antwort, indem er den srüheren, allerdings
unter den denkbar verzeihlichsten Umständen erfolgten Fall
seiner kheldin ohne Folgen geblieben sein läßt. Die tief tra-
gische Lösung, welche er dem Aonslikte giebt, zeigt gleichwohl,
daß er jene Frage keineswegs schlechthin verneinen wollte.
Daß die Geschichte im modernen Athen spielt, ist dabei nur
äußerliche Dekoration. Sie könnte eben so gut in Berlin
spielen. In der „schönen Unnahbaren", welche teils, wie es
scheint, in Danzig, teils in Rom spielt, sind, wie im „Aveuz
der Liebe", Lsandlung und Grtsschilderung schön aus Linem
Gusfe! Das jdroblem ist hier eigentlich das Zölibat der
jdriester mit seinen möglichen Folgen sür das Familienleben
der Gemeinde. Daß die Ljauxtpersonen dieser Geschichte un-
gestrast ausgehen, thut der Sittlichkeit ihrer Grundidee keinen
Abbruch. A. lvoermann.

-x Fcrdtnand von So.ür, Gedichte. (2. Aufl., G. weiß,
kseidelberg.) — Laar ist einer der interessantesten und eigen-
artigsten unserer Dichtcr. Aus mühsam selbstgeschaffenem
wege zum parnaß emporgekommen, steht er hier — vielleicht
enttäuscht — und sieht aus das bunte Getümmel unter sich,
ein Londerling, mit verschränkten Armen schweigsam in stilles
Linnen versunken. Lr hat etwas Vornehmes in seiner Dich-
tung, eine würde, die jede vorlaute Vertraulichkeit serne hält,
ihn jedoch eben deshalb auch kaum xopulär werden läßt. was
er uns in seinen „Gedichten" bietet, ist die kritikvoll gcsichtete
Ausbeute eines Lebens. Auch aus dem kleinsten sxricht der
ernste Mann, der zurückblickt auf cin Dienschenalter, reich an
Lrsahrungen in Lust und — Leid. Der Band glicdert sich in
drei Bücher mit vier, zwei und wieder vier Abteilungen.
Lnthalten die ,Lieder° eine Auswahl sein empsundener Natur-
und Ltimmungsbilder, sühren die ,vermischten Gedichte' schon
aus das Gebiet wenigcr allgemeiner Ltoffe. war es dort
die Natur, ist es hier das Leben, was behandelt wird. ,Aus
schweren Tagen' zieht den Rreis noch enger um den Dichter:
mit Lrinnerungen aus der trüben Zeit des Irrewerdens und
 
Annotationen