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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 7
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0083

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was ich eigentlich gerade jetzt fühle. Lrzählt mir
der Dichter z. B. von einen armen Bettelkind, so ist's
doch gewiß bequem, gleich gedruckt zu sinden, wie
gerichrt ich darüber bin. Rann ich da nicht leben,
wie Baron bjeine in wien, der seinen Redakteur nur
zu sragen brauchte: „wie denke ich über das da",
und er ersuhr's? was aber noch besser ist: der
Dichter hat gar nicht nötig, mir senes Bettelkind mit
mächtiger s)hantasie vor den Geist zu zaubern, daß
es vor mir steht wie ein klagender Geist, vor dem
mir's graut, weil ich ihn sehe, nicht weil mir Liner
sagt: höre, jetzt mußt Du Dich sürchten. Und was
das Allerbeste ist: weil nun in diesem „Geister-
bannen" die eigentliche Aunst des Dichters besteht, und
weil der wlodepoet dies gar nicht nötig hat, so sind
rührsame Genüsse der geschilderten Art billig wie
Brombeeren, denn mein Modepoet braucht ja gar
kein j)oet zu sein, sondern nur ein Bänkelsänger, der
aus sede Figur auf seiner Tasel mit dem Stocke zeigt
und sagt, was man sich dabei denken soll.

Tonrad Ferdinand weyer ist aber ein Dichter.
wie voll und schwer wird uns bei manchem seiner
Gedichte das bserz. Aber nur durch seine Gestalten
selber, nicht durch eine Demonstrierung derselben mit
dem Bänkelsängerstock.

<Lin hosfnungsvoller Rnabe ist gestorben. Nun
srag' ich: mit welcher Leichtigkeit hätte aus diesem
Ltoff ein wlann vom Geschäst zwanzig Ltrophen her-
auswursteln können, jede gut gestopst mit Betrachtungen
und gesalzen mit Thränensalz? wleyer läßt uns nur
dämmernd sehen, was vielleicht hier im Reime zer-
stört ward. In einer Waiennacht steht er am Grabe.
Da spukt's über den ksügel hinweg — „eine blasse
Iagd:

Voran ein Zecher,

In der Faust den überfüllten Becherl
wehnde Locken will der Buhle sassen,

Die entstatternd nicht sich haschen lassen,

Lustgestachelt rast er hinter jenen,

Ein verhülltes Mädchen solgt in Thränen.

Durch die Brandung nrit verstürmten Lsaaren
5eh ich einen kühnen Schiffer sahren.

Lmen jungen Arieger seh ich toben,
bselinbedeckt, das lichte Schwert erhoben.

Einer stürzt sich aus die Rednerbühne,
weites Volksgetös beherrscht der Aühne.

Lin Gedräng, ein Käinxsen, Ringen, Streben.

Arme strecken sich und Aränze schweben —

Aränze, wenn Du lebtest, Dir beschieden,

Nicht erreichte!

Anabe, schlas in Frieden!"

weiter kein wort über das Lmpsinden des Dich-
ters. 2lber in uns ist's lebendig geworden. Das
ist jstoesie.

wie seinen Landsleuten Aeller und Böcklin, ver-
wandelt sich auch weyer die Stimmung, die eine
Landschaft in ihm erregt, leicht in die Anschauung
von Lebewesen. Die Nixen und das sonstige Geister-
volk erstehen hier wieder durch den alten Leelenvor-
gang, durch den dereinst das Volk die mxthologischen
Gestalten sich erschus. Ieder echte Dichter ist ein
Lrbe dieses Geistes; ihm sind solche wesen nicht
Staffage, sondern Rinder der Sache, er setzt sie nicht
in die Landschast, sie sind ihm die Landschast, d. h.
ihr sichtbar gewordener Geist. Auch die Ltimmungen

des geschichtlichen Änns ziehen an Weyer als visionäre
Lrscheinungen, sichtbar dem inneren Auge, oorüber.

Am Septimer blinzelt er in die hochstehende Sonne
bei der Nnttagsrast, da tönt — „wüttag ist des Berges
Geisterstunde" — in seinen bsalbschlaf ^ornrus.

Banner. Frauen und Nitter. „Ietzt die Naiserin,

Ljinter ihr die Fräulein. Liner Zarten
Schwindelt xlötzlich. Ihre Rniee wanken.

Sich entsärbend lehnt sie an die Bergwand.

Rasch ein Ljeld — er trägt das Aaiserkrönlein
Um die Aappe — sängt in seinen mächtgen
Armen aus öas wanke Kind und trägt es
An die Brust gedrückt. Das Mädchen schwebte
Sicher überm Abgrund und er raubt ihr
Linen stüchtgen Auß."

Aeine „Glanzstelle". Aber träum' Liner nur zur
Nttttagszeit aus einem Alpenpaß, der, einst von Lcharen
überwandert, in seiner stillen Verlassenheit nun ein-
dringlich spricht — und er wird das Lsochdichterische
dieser Verse unmittelbar empfinden. Am sichersten
sesselt Nleyer sreilich dann, wenn er ganz allgemein
menschliche Lmpfindungen durch solche Lrscheinungen
wunderbar individualisiert. Als Beispiel hier „Die -
toten Freunde":

Das Boot stieß ab von den Leuchten des Gestads.

Durch rollende wellen dreht sich der Schwung des Rads.
Schwarz qualmt des Rohres Rauch . . Lseut hab ich schlecht,

Das hcißt mit lauter jungem Volk gezecht —

Du, der gestürzt ist mit zerschoffener Stirn,

Und Du, verschwunden aus einer Gletscherstrn,

Und Du, verlodert wie schwüler Blitzesschein,

Neine toten Zreunde, saget, gedenkt ihr mein?

Fische wogen um Boot und Räderschlag,

Dazwischen jubelt ein dumpses Zechgelag,

In den Fluten braust ein sturmgedämpster Thor,

Becher läuten aus tieser Nacht empor.

wir wollten heut keine Nritik der Nleyer'schen
Dichtung geben, wir wollten nur anregen zu ihrer
Lesung, dieweil sie nützlich und zu Frommen ist. An-
dernsalls hätten wir von den wesentlichen Ligenschasten
des Dichters: seiner immer der Lpik verwandten Dar-
stellungsart, seiner Behandlungsweise der Balladen-
stosfe, seinem seltenen, aber sehr beachtenswerten bsumor,
seiner Linsachheit und Alarheit noch mancherlei sagen
müssen. A.

* über die sittltcbe zforderung der Tra-

gödie macht A. von Lsanstein einige Bemerkungen
tLitterarhistorisches Beiblatt zum „Archiv", t. 2.), von
denen wir Renntnis nehmen, weil sie die Anschauungen
einer jungen litterarischen j)artei gut spiegeln. Der
versasser spricht von zwei berechtigten Formen der
jüngeren Tragödie: der klassischen und der „pessimistisch-
realistischen". „Die poetische Gerechtigkeit, wie sie
unsere großen Dichter in einer dem Altertum derart
noch nicht bekannten weise ausbildeten, entspringt
dem Nechtsgesühl. Rein Zusall dars das sestgeschlossene
Gebäude sittlicher Gerechtigkeit erschüttern, ja, diese
Gerechtigkeit selbst wird schließlich das Hauptmotiv
des Dramas, und der hohe Genuß, den die klassische
Tragödie dem Zuschauer gewährt, besteht wesentlich
darin, daß sie ihm gestattet, einmal einen flüchtigen
Blick wenigstens in eine sittenreine, sich immer wieder
harmonisch ordnende welt zu thun."
 
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