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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 9
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Horwicz, Adolf: Was ist Kunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0112

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fältigungrkünsten, die Bildhauerei von der Gießerei
in Grz, Gips u. s. w., die beide im Wege der hand-
werksmäßigen Vermehrung von der guten Nachbil-
dung ziemlich rasch zur gewöhnlichen Illustration, zu
der in jedem Laden erchältlichen Figur und gar noch
tieser hinabsteigen. Dem Drama als ernstgemeinter
Runstgattung in Trauer- und Lustspiel hängt das
große bseer der gelehrten Buchdramen und wieder
von ck-eiten der „Oraxis" der Schwarm von Aus-
stattungs-, volks- und Nührstücken, schlechten possen
u. s. w. an. Das moderne Lpos in j?rosa gesetzt ist
der Noman. bvie viel auch davon zur Runst zu
rechnen sei und wie viel — der ungleich größere
Teil — zum Broterwerb, zum Handwerk der Buch-
macherei, das läßt sich doch kaum sagen. Und so ist
es mit je^er Uunst! Die Lyrik: „Weil Dir ein Vers
gelingt in einer gebildeten Sprache, die für Dich dichtet
und denkt, glaubst Du ein Dichter zu sein?" wie
vielen läßt sich das nicht einmal nachsagen. Die
Architektur: Seht unsere Niietskasernen und Zinshäuser
an, die in allen Formen und Stilen der echten Archi-
tektur prangen, oder vielmehr prahlen! Die Uiusik:
Lsört unsere Virtuosen- und hört unsere Bier-Ronzerte,
die den Begriff der Uiusik in eine Neihe verwandeln,
an deren einem Lnde das „gequälte musikalische kfaus-
tier" und die Drehorgel stehen, die den Geduldigsten
rasend machen können. Unsere historische Rleinkunst
endlich, sosort aus den Uiassenverbrauch an altdeutschen
Aiobiliaren, Töpsen, Rrügen u. s. w. spekulierend,
liefert einen artigen Trödel sür eine dermaleinstige
Numpelkammer.

Versuchen wir auf diefen langen Stufenleitern, die
von der wahren Runst überall zur bloßen Scheinkunst
und offenbaren Nichtkunst führen, eine bestimmte Grenze
zu ziehen. U)ir sagen vorläufig mit voller Bestimmt-
heit: was bloß des Lrwerbes wegen oder der lieben
Litelkeit halber getrieben, was fabrik- oder maschinen-
mäßig gemacht wird, alles Massenprodukt, und rührte
es selbst von des größten Meisters bsand her, ja, was
irgend den t^tempel der bloßen Mache oder Ntanier
an sich trägt, was mit unzulänglichen Aütteln der
Technik unternommen, was verfehlt im Dorwurf, was
nicht tief genug in den idealen Gehalt eindringt oder
einen falschen, nicht idealen Gehalt hat: das, und
wenn es zehnfach den Beifall des s?ublikums, die
Lobsprüche der Rritik für sich hätte, werden wir uns
dennoch erlauben, von der Zubehörigkeit zur wahren
Runst auszuschließen und dem Gebiete der Talmi-Runst
beizuzählen.

Noch eine Bemerkung bezüglich des Dilettan-
tismus dürfte am s)latze sein, obwohl sie streng ge-
nommen bereits mit der obigen Abgrenzung gefaßt
ist. Man hüte sich, den Begriff der Runst in zu weitem,
gleichsam „latitudinarischen" Sinne zu nehmen. Atan
gewöhne sich vielmehr an die Vorstellung, daß, wenn
man nm das Gebiet der wahren Rnnst einen Zaun
zöge, die übergroße Biehrzahl dessen, was zur Runst
gerechnet wird, außerhalb desselben und nur ein sehr
kleiner Teil innerhalb zu stehen kommt. Wenn wir
unsere Rinder in der Aüffik, Nlalerei u. s. w. unter-
richten lassen, so geschieht es nicht, um sie zu Rünst-
lern zu machen, sondern eine nützliche Fertigkeit in
ihnen zu wecken, ihren Rörper und Geist zu bilden
und das Derständnis für wahre Runst in ihnen zu

fördern. ^o giebt es manche gute und nützliche Runst-
übung, die, ohne nach den höheren Zielen der Runst
zu trachten, doch Schönes und Gutes hervorbringt,
z. B. gute ksausmusik machen, gut modellieren, gut
zeichnen, malen in Mel, s)astell, auf bsolz, porzellan
u. s. w. ck>o lange darüber nicht näher liegende
pflichten versäumt werden und nicht über die Schranken
hinausgegangen wird, ist es gewiß ein besserer Zeit-
vertreib, als vieles Andere. Nur hüte man sich,
solchen artigen Rleinigkeiten den hochtrabenden Namen
„Runst" zu geben. Die Runfl ist lang und schwer,
sie erfordert ein ganzes, volles Menschenleben und die
höchsten Anlagen, sie ruft die strengste Rritik gegen sich auf.

So weit wäre die Sache ziemlich einfach, jetzt
aber kommt das Schwierigste, was der Definition am
meisten widerstrebt. wir sprachen vom „idealen Ge-
halt" der Runst, und offenbar ist dieser das einzige
positive Merkmal und Rennzeichen derselben. ll)as
es aber mit demselben sür eine Bewandnis hat, das
läßt sich eher durch Beispiele sagen, als durch fest-
umgrenzte Definitionen ausdrücken. IVie der tüchtige
Landschastsmaler seine Gemälde so anlegt, daß der
Beschauer hinter der gemalten Fläche eine ganze welt
sucht und ahnt, so soll es mit aller Runst sein: sie soll
uns über oder hinter dem eigentlichen Vorwurf eine
ganze U)elt und zwar eine welt des Zdealen, Gött-
lichen ahnen lassen. Der Bildhauer, der jDorträtmaler
zeigen uns die dargestellten jDersonen oder Gruppen
als Fselden oder Bürger einer geistigen N)elt des
IVahren, Guten, Schönen. Von der s)oesie versteht
sich dieser geistige bfintergrund von selbst. Aber auch
die Nkusik. Sie mag sich heiteren lVeisen ergeben,
das eigentlich diabolische, sinnliche Nkoment, dessen sie
fa fähig ist, wird stets die Nolle eines verschwinden-
den Nkoments spielen und in den reinen Rlängen eines
Adagio oder Andante austönen.

Der ideale Faktor, der seelische Gehalt ist daher
keine nachträglich über das Gericht ausgegossene ^>auce,
sondern der grundtiefe (Huell, dem es entströmt, die
Muttersubstanz, daraus es besteht. was ist es nur?
Zst es nur Nachahmung der Natur? Naturalistik?
Aber das wirft man ja eben den „Naturalisten" vor,
daß sie die reine kvirklichkeit in ihrem „Dreck und
Speck" uns auftischen. Die beste jDhotographie ver-
mag niemals das künstlerische j)orträt zu ersetzen. Ls
kommt bei diesem eben Alles auf die ideale künfllerische
Auffassnng an. Andererseits erinnert das wort
„Zdeal" an deutsche „Zngendeselei" nnd an die Träume
erhitzter lVeltverbesserer. Ts mag noch bessere welten,
als dieses irdische „Zammertal" geben, und der Moralist
mag oft genug an diesem auszusetzen finden. Aber
für die Runst handelt es sich um Nichts weniger, als
darum, der lVelt Dinge und Gigenschaften zu leihen,
die fie in wirklichkeit nicht besitzt. Zhre Aufgabe ist
es nicht, den Himmel blauer, den bsochwald duftiger,
den Schmerz rührender, die Freude erhebender darzu-
stellen, als sie wirklich sind. Nur der j?fuscher denkt
daran, wenn er überhaupt etwas denkt. Mas aber
den Rünstler betrifft, den rechten Rünstler, so denkt
er ohne Zweifel mit Necht, daß jene Dinge in Mirk-
lichkeit gerade blau, duftig, rührend und erhebend
genug sind, und daß die Natur in ihrer stillen Tin-
fachheit und Größe für ihn das ewig unerreichbare
Zdeal ist und bleibt.

— 10Z —
 
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