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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 10
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Hausegger, Friedrich von: Richard Wagners nationale Bedeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0128

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wenn mit einem Male dem so geahnten Wesen die
Ausmerksamkeit zugewendet, sa wenn ihm die Lsaupt-
rolle zugeteilt werden sollte, dort wo man sonst sein
Hauptentzücken von Trillern, hohen L, sentimentalen
Arien oder pomphaften Auszügen zu holen pslegte?
Die Folge der eigentümlichen Lntwicklung der Mper
ist es, daß man ihr nur die Ligenschast eines musi-
kalischen Runstwerks beilegt und in ihrein Texte gleich-
sam nur ein Lsilssmittel erblickt, die Musik nun von
einem anderen Orte aus und mit andern Absichten
wirken zu lassen, als gewöhnlich. Voltaires Aus-
spruch: „was zu dumm ist, um gesprochen zu werden,
das singt man" -— ist bekannt; August wilhelm
Schlegel sagt: „Auch schadet es nicht, daß die Oper
uns in einer meist nicht verstandenen ^prache vorge-
tragen wird. Der Text geht sa ohnehin in solcher
rNusik verloren. <Ls kommt bloß daraus an, welche
Sprache die tönendste und wohllautendste ist, die sür
die Arien am meisten offene vokale und lebhaste
Akzente sür das Rezitativ hat". Diese Meinung hat
noch heute ihre Geltung. Aus dieser Stätte tauchte
nun mit einem !Nale ein von den s)deen der Größen
der Nation ersüllter, mit übermächtigem Thatendrange
ausgerüsteter Genius aus, durch die unmittelbare
wirksamkeit seines Schauplatzes zu dem Streben verleitet,
hier seine hohen Absichten in warmes Leben umzusetzen.

Ls ist ein eigentümlicher Zug in der Lntwicklung
der deutschen Nation, daß die Gewalt, mit der sich
ihre durch widrige Tinslüsse gehemmten Zdeen Bahn
zu schaffen suchen, in einzelnen großen Geistern zum
Durchbruche gelangt, ohne daß die Nation selbst von
ihnen ergriffen scheint. So zeigt sich das wirken
unserer Größen nicht selten als ein Ramps mit dem
IViderstande oder mindestens der Gleichgiltigkeit ihres
Volks. Die j?erioden des Sturmes und Dranges, der
Aufklärung, des Humanitätsprinzips — sie alle tragen
dieses Rennzeichen. Das Ziel dieses Rampses, die
Schöpsung einer deutschen Rultur, d. i. die Trsüllung
aller Lebensäußerungen der Nation mit dem Gehalte
ihrer so ins Bewußtsein getretenen Zdeen, schien so
sehr in die Ferne gerückt, daß unsere geistigen Führer
daran verzweiseln mußten, es je zu erreichen. Zur
Antike wandten sich Goethe und ^chiller, in ein Traum-
land versetzten die Nomantiker ihre Zdeale, dabei trat
zugleich das Bedürsnis aus, durch Trziehung ein für
die erkannten hohen Ausgaben empsänglicheres Ge-
schlecht zu schaffen.

Wagners Zdeen, die in seinem Schaffen nicht
minder als in zahlreichen Schristen niedergelegt sind,
schließen sich unmittelbar an das an, was die größten
berufenen Geister unseres volks ausgesprochen haben.
wenn wir ihren Tntwicklungsgang bei Lessing, ^erder,
Goethe, Schiller, bsölderlin, Lichte und andern deutschen
Ntännern versolgen und sie dem gegenüber stellen,
was Nichard lVagners Schaffen und Denken bestimmt
hat, werden wir über die Uebereinstimmung in allem
kVesentlichen, in allem Dem, was sich als das produkt
eines gewaltigen, nicht zurückzudrängenden Bedürsnisses,
also als Ausfluß des Genius darstellt, staunen müssen.
Und in dem Lautwerden dieses drängenden Bedürs-
nisses, sür das, was sich auch in den anderen Genien
des deutschen Volkes als dessen Gehalt, als dessen
Beruf geoffenbart hat, von Neuem Zeugnis zu geben
in lVorten, werken und Thaten, in der Unterstützung

dieses Bedürsnisses durch die höchste künstlerische Aus-
druckssähigkeit, durch eine große Ularheit über seine
Ziele, durch eine unerhörte Thatkrast, verbunden mit
einem seltenen Verständnisse der wirklichkeit, liegt die
nationale Bedeutung Richard lVagners. Daß sich
seine Zdeen von einem Gebiete aus zur Ularheit ge-
rungen haben, von welchem aus man bis nun eine
unmittelbare Teilnahme an der Zdeenentwicklung des
Volkes nichl oder mindestens nicht mil dieser umfassen-
den Absicht ersahren hatte, erschwerte ihr Verständnis
oder, besser gesagt, wirkte nachteilig aus die will-
fährigkeit, sich ihnen hinzugeben.

Gerade dieser Umstand hat ihnen aber eine un-
endliche Bereicherung gebracht; er hät ihnen durch
die Dienstbarmachung der bis nun in scheinbarer Ab-
geschiedenheit von den übrigen Offenbarungen des
nationalen Geistes sich entwickelnden Utusik unser Tm-
pfinden in höherem Nlaße, als es durch die Nlittel
der andern Uünste möglich war, gewonnen und hat
so der U'lusik sene Stelle erobert, welche sie als eigen-
tümlichster Ausfluß germanischen Geistes im Tntwick-
lungsleben der Nation einzunehmen berufen ist.

Nachdem Ulopstock den bei der herrschenden Teil-
nahmslosigkeit unsruchtbar gebliebenen versuch gemacht
hatte, die nordische Mythe in unsere Dichtung einzu-
führen, nahm Lzerder den Gedanken in einer sür die
Horen geschriebenen Abhandlung wieder aus. F>chiller
antwortete ihm daraus in bezeichnender Weise: „Giebt
man Zhnen die Voraussetzung zu, daß die s)oesie aus
dem Leben, aus der Zeit, aus dem wirklichen hervor-
gehen, damit Lins ausmachen und darein zurückfließen
muß und in unseren Umständen kann, so haben Sie
gewonnen; denn alsdann ist nicht zu leugnen, daß
die Verwandtschast dieser nordischen Gebilde mit
unserem germanischen Geiste sür sie entscheiden muß."
Allein er findet die Übermacht der prosa in dem
Ganzen unseres Zustandes so groß und so entschieden,
daß der poetische Geist, anstatt darüber Meister zu
werden, notwendig davon angesteckt und also zu
Grunde gerichtet werden müßte. Daher sei sür den
poetischen Genius kein Heil, ^ sich aus dem Gebiete
der wirklichen lVelt zurückzuziehen und sich seine eigene
welt zu bilden.

Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was
unsere heutigen Beurteiler lVagners bestimmt, ihr
Verdikt über seine lVahl nordischer Nlythenstoffe aus-
zusprechen. Zn mancher Nichtung haben sich die Ver-
hältnisse seither geändert. Die Beziehungen der nordi-
schen Mythe zu unserem heutigen Volksleben sind
durch die Forschungen der Brüder Grimm in's klarste
Licht gerückt worden. Bildende Nunst und k)oesie
hatten sich ihrer Lrgebnisse bemächtigt und ihre Ver-
mittelung ausgeboten, sie dem Bewußtsein der Naticn
wieder näher zu bringen. „Die Übermacht der s)rosa
in unserem Zustande," von welcher Schiller spricht,
mit andern lVorten: die Znanspruchnahme der Nation
von Tagesinteressen, welche eine Besinnung aus tieser
gegründete Ausgaben nicht gestattete, war die gleiche
geblieben. Die Alternative sür den Nünstler, sich ent-
weder mit dieser j)rosa der Lvirklichkeit abzusinden,
oder sich mit Verzichtleistung aus Nnmittelbarkeit und
Allgemeinheit des lvirkens in ein Traumland zu
flüchten, schien sich nicht geändert zu haben.


§

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