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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 13
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Hartmann, Ludwig: Das Konzert-Unwesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0176

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lieben Äe ^panier?" Linige mögen in diesen abscheu-
lichen rNodekonzerten still beiseite sitzen und die Musik
auf sich wirken lassen, falls solche im j?rogramm
vorkommt. Die Dlenge fedoch läuft hinaus, wie
sie hereingelaufen ist: ungerührt, einer Mode ge-
horchend, sie bezahlt den berühmten Namen und hat
für einige Tage Gesprächsstoff.

Diese Ronzerte haben — das gebe man zu —
mit der „veredelnden Aufgabe der Musik" nichts zu
thun. Aber sehen wir uns andere an, bei welchen
die Mode - Narrheit nicht ins Spiel kommt. Lin
Unbekannter konzertiert. <Lr hat das Ronservatorium
hinter sich, das Leben vor sich und weder Geld noch
Namen. Lr ist ein Schwimmer im Nleer des sozialen
Llends. Lr ist zur Nlusik gekommen, wie er zu
sedem andern „Beruf" gekommen wäre. Lr möchte
arbeiten, um zu essen — das ist sein Necht; er kon-
zertiert, um Arbeit zu erhalten, d. h. Stunden, in denen
er andere unglückliche Talentlosigkeiten ucl iuünitum
heranbildet. Lr drängt sich an die Geffentlichkeit,
um bekannt zu werden. Aber ach, er kann erst dann
konzertieren, wenn er die Lumme zusammengebracht,
die das Ronzert verschlingt. lVährend nämlich der
fremde Virtuose von Namen, mit Lsöflichkeiten über-
schüttet, lachend die tausende einsteckt und weiterreist,
ist das Ronzert des kleinen Nlannes eine Guelle von
Demütigungen. Freunde und Bekannte lassen ihn
im Ltich, er muß ihnen Freikarten senden; das große
publikum nimmt gar keine Notiz; bezahlt sind fast
keine jAätze. Und wenn nach mancher Rränkung,
die vom Arrangeur, Nlitwirkenden, Ronkurrenten,
ritterlichen Nezensenten u. s. w. ihm bereitet werden,
das Ronzert endlich vorbei ist, so hat der Unglück-
liche 2 bis 300 Nlark zuzuzahlen — ein Gpfer für
das „genannt werden".

Nicht wahr, mit der Nlusik haben beide Ronzert-
sorten nichts zu thun? Die dritte Lorte ist nicht besser:
diewohlthätigkeits-Ronzertschwindeleien.
Rommerzien-, oder sonstige müßige Näte, oder vereine,
oder thatendurstige Bankiersgattinnen „arrangieren"
eine Bettelei mittelst Niusikmachens, bei welchem ent-
weder „Berühmtheiten" zur Niitwirkung gepreßt, oder
aber Dilettanten grauenvollster Zgnoranz losgelassen
werden. Die „ Armen" bekornmen an Linnahmen
meistens nichts, nur die j?atronessen lassen sich in den
Zeitungen nennen und ihre Litelkeit ist damit befriedigt.
Niufikalisch ist auch diese Sache gleich Null.

Und die Nioral? Der Rünstlerstand wird ent-
würdigt. Denn entweder verschenkt man die Billets
und lügt volle Läle vor; oder der Rünstler zahlt im
Lchweiße seines Angesichtes zu, und die Presse fabelt
eine Bedeutung, welche der Ronzertgeber nimmer hat;
oder endlich ein fremder, gewitzigter Neklamenheld
(oder auch gewandter Virtuose) grast die Ronzertpo-
dien iin Beisein von Niodenarren ab und steckt den
Gewinn ein, was wiederum mit der Runst gar nichts
zu schaffen hat.

Ls erübrigt die Gattung der Musik zu betrachten,
die in den Ronzerten erster, zweiter und dritter Grd-
nung gemacht wird. Die reproduktive Runst ist da,
um die Zdeen der produktioen zur Geltung zu
bringen. U)as führen aber die Ronzerte vor? wollen
sie das geistig Bedeutende unterstützen? Lächerlich.

^ Der fremde Virtuose spielt seine Lieblingsftücke, meist

Schnurren. Der junge Nlusiker oder Dilettant aber
wählt „Ltücke, die im j)ublikum beliebt sind". Be-
gegnet man nicht immer wieder in gräßlicher Neihe,
Nocturnos und Walzern von Lhopin, denselben Lha-
rakterstücken von Schumann, denselben Nhapsodien
von Liszt, denselben Sonaten von Beethoven, denselben
Larabanden von Bach? Linige Dutzend j)arade-
nummern — das ist die Ronzertlitteratur unsrer Tage.
Geistlose Spielerei, Vermeidung des Neu - Gedanken-
reichen, eine unverschämte Faulheit angesichts der
immensen Litteratur.

Und kein Lichtblick, daß es besser werden könnte?
Doch, vielleicht. Die Ronzertgesellschaften müssen
erstarken, die Lolistenkonzerte müssen rücksichts-
los bekämpft und in ihrer Zahl vermindert
werden — da liegts.

Zst einem Ronzertgeber ermöglicht, in einem j)ro-
gramm einer gut fundierten städtischen oder korpo-
rativen Ntusikgesellschaft, ein- oder zweimal vortragen
zu können, so erspart er für sich Geld, und wir er-
sparen sechs bis acht Lüllnummern, Ballast, mit denen
er ein Lolokonzert „unter freundlicher Ntttwirkung von
Frln. L, Nt. und N." ausstaffiert haben würde. Ron-
zertgesellschaften haben ferner den vorzug, die Nttsere
des äußern Ronzert-Apparates zu verhüten, die Rünstler
vor j)rellereien zu bewahren, und das absolut Talent-
lose gebührend fernzuhalten. Auch der Näonoinanie
können sie begegnen, mit welcher der reisende oder
reißende Ronzertmadator „ein programm ganz allein
ausfüllt", eine Nnsitte, die erst recht zur geistigen Vde
führt.

Manche großen deutsche, russische und französische
Städte haben musterhafte Ronzertinstitute: j)aris, Röln,
Lrankfurt, j)etersburg rc., vor allem Leipzig, das in
den mehr als zwanzig Gewandhauskonzerten ein volles
Bild der klassischen und zeitgenössischen Musikproduk-
tion bieten, und die belangreichsten Neproduzenten ein-
führen kann oder doch könnte. Ltädte, denen diese
j)halanx gesinnungsvoller j)rogramme fehlt, — zu
ihnen gehört Dresden, Berlin, NNnchen rc. — werden
eben von den Lolisten-Ronzerten färmlich gebrandschatzt.
Daraus folgt: Bürgerlicher Runstsinn und Gpfermut
müssen feststehende Nlusikgesellschaften begründen, welche
genügend zahlreiche Ronzerte geben, in denen klassische,
moderne und reproduktioe Niusik j)latz hat zur Lnt-
faltung eines unverzerrten Totalbildes. Gegen die
Bettelkonzerte und die Unfähigkeit muß ferner die
j)resse Front machen und das j)ublikum selbst. ^
Die j)resse verwende nur etwas von dem Haß, den
sie gegen das Genie zu hegen pstegt, auf den Rampf
gegen die Nii tte lm äßi gke i t, dann wird es bald
lichter werden. Die Nttttelmäßigkeit im Ronzertun-
wesen stiftet tiefere Schäden sdurch Lserabwürdigung
des Geschmacksniveaus und Beförderung der Litelkeit
und N'lodesucht) als der überspannteste Zrrtum eines
Genies.

Soll aber das j)ublikum mithelfen, die elende
Nmsiktravestie in den Ronzerten zu bekämpfen, so bilde
man die Zugend nicht blos durch die Nmsik, sondern
für die Nmsik. Beim Lesen von Gedichten in Versen
und j)rosa, oder kunstphilosophischen Abhandlungen,
oder auch geschichtlichen Nückblicken, wird die Zugend
musikalischer werden, als durch das blöde Rlavier-
spiel. Bilde man nur den Zartsinn für die Tonem-

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