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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 13
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0181

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auf das hin prüfen, was sie anstrebt, als auf das,
was sie schon leistet.

„Den neuen Inhalt sucht sie zu sinden, indem
sie mehr, als dies bisher geschehen, die Notwendig-
keit der Linkehr ins volkstum, des Anschlusses an
die Gegenwart betont. kVie die Romanschriststeller
seierlich erklärt haben, daß es genug sei mit unver-
standenen Komtessen und problematischen ,Nittern vom
Geiste^, so sucht auch die Malerei in erster Linie das
volk bei seiner Arbeit aus und will es ohne Schein,
ohne virtuosenhastes j)runken, in schlichter Linsachheit
schildern." Daß sie ansangs nur die düstern ^eiten
des Lebens sah, erscheint nach dem Schwelgen in
Neichtum und s)racht seitens der Moty-Schule nur
als eine gesunde Reaktion: Linseitigkeit hier wie dort,
aber die junge Nichtung beginnt doch bereits, sich
von dem ausschließlichen ^-childern der Armen und
Llenden zu entsernen. Die Religion, die wissenschaft,
die Aunst, der Lsandel, die Schiffsahrt, der Arieg
werden in ihren Stoffkreis einbezogen. „Nachdem
die Nlalerei in der ersten bsälfte unsers Zahrhunderts
noch eimnal eine gedrängte Übersicht der gesamten
Aunstgeschichte gegeben, ist sie setzt endlich zu ihrer
Lsauptausgabe, der Nachwelt ein Abbild ihrer Zeit
zu hinterlassen, zurückgekehrt. An Stelle des illustrierten
Wltzes und der gemalten Nührseligkeit ist endlich ein-
mal die wahrhaft ergreisende, vom kserzen kommende
zum Lsrrzen redende Schilderung des wahren, d. h.
für uns des modernen N'lenschen getreten. Grst jetzt
hält sich das alternde Zahrhundert einmal selbst den Spiegel
vor und legt, indem es sein Testament macht, gleichzeitig
sein Glaubensbekenntnis ab". 5ehr hoch stellte Näuther
die moderne LMidschaftsmalerei der naturalistischen
Schule, die inan sreilich in seinem Änne kaum „Land-
schaftsmalerei" nennen dürste. Denn er sindet hier
„eine bisher unbekannte Verbindung von Landschast
und Liguren." Nwthers Aussührungen über diesen
Gegenstand verdienten eine ausgedehntere wiedergabe,
in unserer „Rundschau," die ja nicht unsere eigenen
Nleinungen wiederspiegeln soll: denn sie sind gerade in
ihrer Linseitigkeit höchst charakteristisch. Zetzt zum
ersten N'tale, so erklärt der Versasser, sei man bestrebt,
durch die intime Verbindung von N'tensch, Tier und
Natur eigentliche Stimmungsbilder im höchsten Änne
zu geben. „Gerade diese sind es, in deneil sich be-
sonders der Geist der neuen Zeit spiegelt. N)ir, die
wir übersättigt von den gewürzten Gerichten einer
verseinerten Bildung und Gesittung, nervös erschöpst
von dem geräuschvollen Getriebe der Großstadt, mit
schwärmerischer Begeisterung, so ost wir können, in
den Scbooß der Natur uns flüchten, in chr das Gegen-
bild unserer eigenen Gemüthsstimmung sehen, in ihrem
Anschauen einen (Z)uell seelenbesreiender Wirkungen
sinden, wir können selbstverständlich auch die schematische
Landschastsmalerei der srüheren Zahrzehnte nicht mehr
brauchen. was sagen uns die seierlichen klassischen
Nompositionen vom Ansang dieses Zahrhunderts, nach
dem Bchema Tlaude Lorrains zugeschnitten und be-
leuchtet, nüt abstrakten Bäumen und einer Formation,
deren geologische Realität nicht größer ist, als die
zoologischen der Greisen und Drachen? N)as sagen
uns die in einem schönen Ton zusammengebrauten,
romantischen bjochgebirgsveduten, welche die Natur
- mit akademischem fl>utze behängen? N)as sagen uns

^-^-

all die gemalten schönen Gegenden, vor denen der
Bildungsphilister staunend stehen bleibt, da sie ihn an
die Lserrlichkeiten seiner Lsochzeitsreise erinnern oder zur
Lrweiterung seiner geographischen Renntnisse beitragen?
N)ir wollen die reine Natur, und der unscheinbarste
N?inkel genügt uns. Za, wir ziehen ihn vor, da wir
eben keine Landschast sürs Auge, sondern eine Land-
schast für die Seele wollen. Line kVirkung aus die
Seele aber wird durch italienische Landschasten, durch
asiatische Landschaften, durch tropische Tffekte schwer
zu erzielen sein, da diese rethorischen Glanzstellen der
Natur unser Auge beschästigen, sie wird erzielt nur
durch die scheinbare nüchterne Tinsachheit unscheinbarer
Orte, durch das scheinbar poesielose gleichmütige Licht
der nordischen Gegenden. Nur in einer unauffälligen
und bescheidenen Llandschaft kann man das ganze Zahr
verleben, ohne Bedürsnis nachAbwechslung, da die Natur
der unauffälligen Landschast, wie sie nie unser ganz
besonderes Betrachten herausfordert, auch nie in ihrem
Reize sür uns stumpf wird. Aus demselben Grunde
kann man auch im Bilde nur unscheinbare Landschaften
immer mit demselben Vergnügen betrachten, während ein
illustrierter kVitz oder eine lachende Vedute uns, wenn
wir schlechter Laune sind, zur Verzweiflung bringen.
Darin liegt der intime, sich stets erneuernde Reiz, den
l die altholländischen Landschasten aus das seine Auge
ausüben. Und aus demselben Grunde kann man es
auch als ein seines Taktgesühl begrüßen, wenn unsere
modernen Landschasten keine „schönen Gegenden"
mehr malen. Äe vermeiden den Boden, der vorher
bearbeitet wurde, die Touriftennatur, an der man sich
srüher begeisterte. 5üe vermeiden alle schönen tinien,
alle reizvollen Berge, alle malerischen Durchsichten,
alle anmutigen Flüsse, die sich durch gesegnete Thäler
schlängeln, um im Gegenteil nur solche Gegenden zu
schildern, wo es nach der Ansicht der srüheren Rünstler
eigentlich nichts zu sehen giebt, das Aschenbrödel Na-
tur, die nuture vierAe, die noch keines Nlalers flünsel
entweihte, einsörmige Tbenen mit niedrigen schmutzigen
Lsäusern, mit flffützen, in denen sich der Himmel ge-
langweilt wiederspiegelt, mit schnurgeradsn kVegen, die
sich in öder Ferne verlieren. Aber auch an diese un-
scheinbaren Teilchen der Nwtter Natur treten sie als
fl)antheisten mit wahrhast religiöser j?ietät heran, sehen
auch im dürftigsten Ausschnitt ein harmonisches Ganze,
das in der intimen Berührung mit Licht und Luft
auszuathmen, Seele und Bewegung zu haben scheint."

Nacb diesem Lob der naturalistischen Liandschasts-
malerei geht Nüüher über zur Besprechung der gegen-
wärtigen Bestrebungen, zum neuen Znhalt anch eine
neue Form zu schaffen, einen neuen „Stil," der ge-
eigneter ist, der Natur nahezukommen. Nur das selb-
ständige ^>tudium der letztern, nicht das Nachahmen
irgendwelcher Nüister verträgt sich mit bodenwüchsigem
Schaffen — das ist das Feldgeschrei. Unser Rritiker
zitiert den alten Dürer: „Die Runst steckt in der Na-
tur; wer sie heraus kann reißen, der hat sie. Nimm
dir nimmermehr vor, daß Du etwas besser mögest
machen!" „Versuchen wir es nur, die einzelnen Lokal-
sarben zu genau dem Lindrucke auf der Leinwand
zusammenzusetzen, den sie in kVirklichkeit aus das Auge
machen!" Riuther spricht nur von der Lreien-Luft-
Rialerei. ^>ie sei auch gar nichts so Neues: die alten
Llorentiner, Lionardo da Vinci, die spätern k^olländer,

-s
 
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