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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 14
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Leixner von Grünberg, Otto: Die Stellung des deutschen Schriftstellers
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0192

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Lorm für den besten Inhalt des Iahrhunderts zu
sinden, und darum „mit den Rönigen gingen", so
erschien und erscheint heute der wissende Forscher
dazu besonders geeignet. Er und vor ihm noch der
Mann eisernen bvillens entwarfen das Niesenbild der
Zeit — den Rünsten blieb nichts übrig, als Ara-
besken auf den Rahmen zu zeichnen, in welchen der
widerhall der Zeit geschwächt nachklingt.

Großer Dichter kann die Gegenwart entraten,
nicht dagegen entbehren großer ^-taatsmänner, Feld-
herrn, bedeutender Gelehrter, Lrsinder — und
reicher Geldmänner. Die Geschlechter wechseln, es
ändern sich die Ausgaben und Bedürsnisse; se nach
dem andre Rräfte aus dem Schooße des volksgeistes
entbunden werden. Nach diesem Gesetze hat das
werden in der Geschichte von se sich entfaltet.

Aber Alles, was durch die Zeit gegeben ist, läßt
sich leichter tragen, wenn gesagt werden kann, daß
eigene ^chuld nicht zu finden sei. Zch glaube se-
doch die Behauptung aussprechen zu dürfen, daß
a n d e n m e i st e n Ü b e l st ä n d e n d i e S ch r i s t st e l l e r
selbst die größte Schuld tragen.

Zch will mit einer scheinbaren Rleinigkeit beginnen,
welche vor Allem das jüngere und jüngste Geschlecht
betrifft. Ls ist die steigende Gleichgiltigkeit gegen-
über den Formen der guten Gesellschast. Niemand
wird vom Schriststeller verlangen, daß er in seinem
Benehmen und Auftreten ein glatter Lsofmann sei.
wohl aber dars man sordern, daß er sich anständig
und mit innerer Feinheit benehme, welche ihn sähig
macht, in der gebildeten Gesellschast als Gleicher
unter Gleichen zu verkehren. Ls ist ein salsches Frei-
heitsgefühl, was sich dagegen auslehnt, es ist salsche
Geniesucht, die für sich eine Ausnahme verlangt.
Lchte geistige Bildung schließt auch die im engeren
Änne gesellschastliche ein. bs<mte herrscht zu-

meist eine Lässigkeit des Benehmens, welche unange-
nehm aufsällt, ja ost eine solche selbstgesällige Rück-
sichtslosigkeit, daß man es der seinen Gesellschast nicht
verargen kann, wenn sie sich den Schriststellern
gegenüber ablehnend verhält. Viele der Züngeren
und Züngsten weichen dem Derkehr in gebildeten
Familienkreisen überhaupt ganz aus und beschränken
sich aus die Rneipen — in Berlin besonders auf
jene mit weiblicher Bedienung. ^ier natürlich
können sie ganz „genial" zwanglos sein.

Diese Abwendung von dem erziehenden verkehr
mit den wahrhast gebildeten oder doch äußerlich sein-
gesitteten Rreisen wirkt meist nachteilig nicht nur aus
die sittliche Ligenart, sondern auch aus die dichterischen
und schriftstellerischen Lrzeugnisse ein.

Der Ton der Schriften und der Besprechungen
läßt ost die üaltung einsachsten Anstandes vermissen;
jene bsäsiichkeit des bserzens, welche eine der Blüten
echter Bildung darstellt, geht verloren und verletzender,
ausgeblasener ksochmut und rohe Rücksichtslosigkeit
machen sich breit. R7an verzeiht der Zugend viel,
aber nicht ein ungebildetes Gemüt, denn dieses ist
nicht Zeichen überschäumender Rraft, sondern innerer
Rohheit. Und diese nimmt bedenklich zu.

Lbenso gefährlich ist die verbreitete Lsalbbildung.
Blicken wir zurück in die zweite klassische Zeit, be-
trachten wir die Romantiker undselbst dieZungdeutschen:
sast alle hervorragenden Riänner besaßen eine ab-

geschlossene, gesestigte Bildung, ohne verknöcherte Ge-
lehrte zu sein. Gewiß: die schöpserische Gabe des
Dichters und Schriftstellers ist nicht von dem Gange
der Bildung bestimmt und nicht von dem Rlaße des er-
worbenen wissens. Rkan kann die regelrechten Studien
durchgemacht und gelehrte würden erworben haben
und doch ein nüchterner, ja hohler Geselle sein. Aber
daraus darf man nicht folgern, daß strenge, tüchtige
Bildung die Rraft des schaffenden Geistes töte. Die
größten Dichter aller Zeiten besaßen mehr oder minder
das größte Rkaß von Bildung jener Zeit und jenes
Volkes, denen sie entstammten, ein Lsomer ^
Tragiker der Griechen ebenso, wie die Schauspieldichter
der spanischen Blütezeit, die Dichter Frankreichs ebenso,
wie jene Lnglands — von Shakspeare wissen wir zu
wenig, um es behaupten oder ableugnen zu können

— und dieselben unserer Lseimat. Ausnahmen sind
sehr selten.

bseute aber wird es Sitte, daß halbwüchsige Züng-
linge mit t? und t8 Zahren den Schulen entlausen,
um nun Lehrer der Rlenschheit zu spielen, oder, daß
Rlenschen die Lücken ihrer Bildung mit großen kVorten
und durch sreches Aburteilen zu verdecken suchen.

Diese Oberflächlichkeit und Unreise, zuweilen durch
Zufälle so begünstigt, daß sie gehört und gesehen werden
muß, schädigt den Stand — salls man von einem
solchen im strengen Änne des wortes sprechen kann

— in den Augen der wahrhast Gebildeten in be-
klagenswerter N)eise. So kann es kommen, daß man
schließlich fast alle, die Schriststeller von Berus sind,
in einen Tops zusammenwirft. Und dieser Tops ist
nicht besonders reinlich. Tinem Gsfizier, einem Be-^
amten, Arzte oder Lehrer tritt man mit dem günstigen
vorurteil entgegen, er besäße d i e Bildung, welche sein
Berus ersordert und ist erstaunt, salls es nicht der
Fall ist. Den Litteraten aber betrachtet man im All-
gemeinen in den meisten Rreisen zuerst als Räann vom
„ oersehlten Berus", und ist erstaunt, wenn das un-
günstige vorurteil nicht bestätigt wird.

Leider erstreckt sich das Vorurteil auch aus den sittlichen
U)ert. Zn vielen andern Berusszweigen verleiht der
Stand an sich dem Rtttgliede schon ein gewisses Rlaß
von Achtungswert. Bei uns ist es nicht der Fall.
Zum Teile trifft es wirklich zu, daß Gescheiterte aus
verschiedenen Rreisen sich der Schriststellerei zuwenden,
was zur bsebung des Standes wenig beiträgt. Dann
aber thun die ^christsteller selbst alles Rlögliche, üffl'
den Stand in der allgemeinen Achtung zu schädigen.
Nirgendwo sehlt das Gefühl der Linheit so wie bei
uns; nirgendwo ist man so lässig, verdächtige oder
ost unzweiselhast ehrlose Rtttglieder aus den Reihen
zu stoßen.

Die vornehmen oder doch berühmten Schriststeller
ziehen sich oft mit verletzender Absichtlichkeit von allen
Veranstaltungen und Bestrebungen zurück, welche aus
die ^ebung des ck-tandes gerichtet sind.

Zm öffentlichen Leben urteilen die Berussgenossen
über einander ost mit bsärte und Gehässigkeit, ja, sie
scheuen nicht davor zurück, zu den gemeinsten Rlitteln
der verdächtigung, ja der Verleumdung zu greisen.
Ts werden Romane geschrieben, in welchen die Schrift-
steller irgend einer Stadt unter einer von jedem zu
lüstenden Rlaske unoerdient der verachtung preisge-
geben werden. Za so weit kann es gehen, daß ein,

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