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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 15
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0218

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dessen ich auf den k^auptzweck meiner beutigen Zeilen
komme.

Ls ist bei dem Austauchen der Absicht, Heine in
Düsseldorf ein Denkmal zu setzen, eine j?olemik über
Heines IVert als Dichter und über seinen Lharakter
entbrannt, welche das Dasein einer so bedeutenden
Zahl von ausgesprochenen Gegnern Heines erkennen
ließ, daß ich es als ein Bedürfnis empfinde, den pp.
Heine mindestens in einigen ^-tücken in t5>chutz zu
nehmen und den Verschworenen, G e schworenen wollt'
ich sagen, wenigstens „mildernde Umstände" zu unter-
breiten.

welchen Lseine ich in Schutz nehme, habe ich
bereits angedeutet. was ich aus meinen persönlichen
Lrlebnissen anführte, gewinnt die von Vischers „Auch
Liner" geforderte ampliücatio, wenn ich daran er-
innere, welche Stellvng der ^einesche Neaktions-
und damit Negations-Geist seiner Zeit gegenüber
einnahm.

U)ie sah es bei Lfeines Auftreten in der deutschen
Litteratur aus?

Die Ginen ahmten die Schillersche j)athetik, die
Andern die Goethesche Spätsommer-j?rosa nach; die
Dritten kämpften noch mit der Nührpoesie, an der
wir uns jetzt in dem hübschen Sammelwerke „Als
der Großvater die Großmutter nahm" ergötzen; die
Vierten segelten im Fahrwasser der Nomantik, die
Fünften pflogen der Nützlichkeitspoesie im Änne der

rationalistischen weltanschauung-war nach allen

diesen Auswüchsen die Heinesche s?oesie nicht eine ge-
sunde Neaktion? Oder doch wenigstens eine Gr-
scheinung, die bewies, daß die Gntwickelung seit unserer
klassischen j?eriode eine ungesunde war?

Und in j)oliticis? Za, wenn wir Niodernen
im Gegensatz zu unserm Bismarck uns immer einen
Nletternich vorstellen könnten, und im Gegensatz zu
unserm einigen deutschen Neiche jenen jämmerlich
uneinigen Bundestag! wir, die wir seit dem großen
Rriege von t870 eine IVeltmachtstellung des Deutsch-
tums erlebt haben, wie sie seit Zahrhunderten der
Deutsche nie empfunden — wir müssen gar gerecht sein,
wenn wir aus unsern Großmachtsgefühlen heraus
den Groll und den ^chmerz verstehen wollen, den
diejenigen unserer jüngsten Vorfahren empfinden
mußten, welche wohl eine Ahnung, ein unbestimmtes
Bewußtsein jener Nrast hatten, die im deutschen Volke
lebt, welche aber zürnend sehen mußten, wie jenes
Nraftgefühl, jene deutsche Regungslust mit infamer,
teils dynastisch verbohrter, teils pfäffisch berechneter
Nnterdrückungswut erstickt wurde.

„Und deshalb soll gerade bseine ein Denkmal
bekommen?" sragt man hier. „Haben nicht viele
Lsunderte gleich ihm dieselben Gedanken in j)rosa und
Dichtung ausgesprochen?"

TV ohl. Aber nicht mit jener !Virkung,
welche dasbVortLseines gewann! Und ich
bin zu wenig Antisemit, um trotz all der modernen
Strömungen in unserer neuesten Litteratur, — welche zu
einem guten Teile die Trennung der Schlechten von
den Guten durch eine Scheidung in Getaufte und Be-
schnittene ersetzt wissen möchte — ich sage, ich bin

zu wenig Antisemit, um dem deutschen Dichter Lseine
seinen guten, seinen vortrefflichen Stil in Uttßkredit
bringen zu wollen. Za, ich behaupte, daß die Heine-
schen Spottverse, daß seine prosaischen Reulenschläge
tausendmal mehr dazu beigetragen haben, die Deutschen
von ihren alten auferzwungenen Trbherrlichkeits- und
^onderbundsideen abzubringen, als es etwa in der
großen Zeit von t870 und 7 t irgend ein illustrer
nationalliberaler Neichstagskanditat zuwege gebracht
hätte. Und ich bin der Überzeugung, daß sehr viel
von der feindlichen Strömung, welche sich augenblick-
lich gegen den Dichter Heine richtet, vielmehr dem
Zuden k;eine gilt.

Tine spätere Zeit, welche den jämmerlichen poli-
tischen und sozialen Lharakter jener Lseineschen Zeit
vergleichen wird mit dem heutigen Zeitalter der
Größe und Nlacht des deutsches Neiches — sie wird
vielleicht mehr befugt sein, abzuwägen, wann mehr
bVahrheit und Offenheit, wann mehr Byzantinismus
und Speichelleckerei an der Tagesordnung gewesen.
!Venn aber jene ferne Zeit ein milderes Urteil fällen
sollte über jene Vorkämpfer unserer jetzigen Groß-
machtsstellung, dann wird auch Lsenw als einer der
besten Zertrümmerer und Aufbauer einer
neuen Zeit genannt werden, ohne daß es eines
Denkmals bedürfte.

„Aber sein Tharakter!"

Üerrgott! U)as hat mir schon kheines berühmter
Tharakter zu schaffen gemacht!

U)as mein j)rivatketzertum betrifft, so glaube ich,
daß ein sogenannter idealer Tharakter gar sehr ab-
hängig ist zunächst von seiner vererbten Ronstitution.
Ts ist sehr leicht, ein starker, kräftiger Lharakter zu
sein, wenn man die dazu nötigen Tltern gehabt hat.
Und es ist sehr schwer, einen im landläufigen Sinne
festen Lharakter darzustellen, wenn einem dazu die
nötigen physischen und psychischen Tigenschasten —
oder gar die sozialen — fehlen. !Ver schimpft denn
heute auf einen Bürger? U)ar Bürger ein solider
sozialer Lharakter?

Und politisch? !vie viele große und berühmte
jDolitiker von heute müßten wir Lhamäleon schimpfen,
wenn die Änderung der politischen Anschauung von
t8^8 bis t870 eine schwachmütige Lharakterveran-
lagung zur Voraussetzung hätte?

Ls haben sich ja Viele Nlühe gegeben, aus üeines
chchriften sorgsam die irgendwie patriotisch klingenden
chtellen hervorzusuchen: „Denk' ich an Deutschland in
der Nacht, So bin ich um den Schlaf gebracht" u. s. w.
Za, wer solchermaßen ängstlich nach „patriotischen"
Aussprüchen in bseines lVerken sucht, um seine Unschuld
zu beweisen oder diejenigen gewisser Stellen, die sich
gegen das Rotzebuesche Rleinstädter-Deutschland richten,
der erweist meines Lrachtens üeine einen schlechten
Dienst. Nlit solchen Tiraden, die ihm ja niemand zu
glauben braucht, hat ^eine seinem Vaterland viel
weniger genützt als mit seinen Spottangriffen. Zu
Üeines Zeit lag keine Micht zum j)reisen vor, sondern
eine j)flicht zum Spott. Und dieser j)flicht hat Lseine —
das müssen auch seine Feinde bekennen — redlich
genügt. Germann Schütze.
 
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