Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

DOI Heft:
Heft 16
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0228

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
! gefühl der Griechen und Nömer" geschrieben zu haben,
hat diesem Büchlein wenigstens solgerichtig ein Buch
über „die Landschaft in der Kunst der alten völker"
nachsolgen lassen. Lr beabsichtigte sogar, was ihm
hier und da immer noch vorgehalten wird, eine Ge-
schichte der ganzen Landschastsmalerei zu schreiben,
kam aber von diesem Gedanken zurüch da er seine
zu diesem Zwecke aus weiten Beisen gesammelten
Beobachtungen in der Gesamtgeschichte der Malerei,
deren Bollendung er nach IVoltmanns Tode über-
nahm, verwerten mußte.

Um so mehr erfreut es ihn, daß Alsred Biese,
welcher das Naturgesühl der Griechen und der
Nömer schon srüher in zwei besonderen Achristen unter-
sucht hat, jetzt ein zusammenfassendes Buch „über die
Lntwiekelung des Naturgesühls im NÜttelalter und
der Neuzeit" sLeipzig t888) herausgegeben hat. Mir
können uns nun, wenn es auch an einer brauchbaren
„Geschichte der Landschastsmalerei" noch immer sehlt,
doch wenigstens gründlich und im Zusammenhange
darüber unterrichten, wie sich das Verhäitnis der
Schriststeller zu der landschastlichen Natur von den
ältesten Zeiten bis zur Gegenwart gestaltet hat.
Biese war der Umnn dazu, die Arbeit solgerichtig,
fleißig und geschmackvoll durchzusühren. Aus ganz
neue Grundlagen hat er seine Untersuchungen srei-
lich nicht gestetlt und nach den Schriften T-chillers,
Fsumboldts, Lriedländers, IVinters, Lreys, Lsenses u. a.
über einzelne oder alle Seiten des Gegenflandes auch
kaum stellen können. Aber er überrascht uns doch
oft genng durch neue Tinzelergebnisse, die er aus der
Untersuchung bisher auf ihr Naturgesühl noch nicht
oder nicht genügend ersorschter Dichter und Schrift-
fleller, — wie der altchristlichen Rirchenväter, des
Fortunatus (6. Zahrhundert), der Uünnesänger, Dantes,
petrarcas und selbst ^hakespeares, der, wie in all
seinem dichterischen Lmpsinden, so auch in seinem
Naturgesühl seiner Zeit 200 Zahre voraus war —
gewonnen hat; und er hat den ganzen t5>tosi so über-
sichtlich zusammengestellt und gegliedert, daß man sein
Buch mit vergnügen liest.

Überflüssig ist ein solches Buch auch noch keineswegs.
U"lan kann oft noch oon den gelehrtesten die

abenteuerlichsten Ansichten über die Geschichte des
Naturempfindens aussprechen hören. Besonders ist
die Ansicht, daß es dem klassischen Altertume, in dem
sich die Tntwickelung des Naturgesühls in aufsteigen-
der Linie von kindlich unbssangener zu bewußt-gefühl-
voller Anschauung besonders deutlich nachweisen läßt,
noch so gut wie ganz gefehlt habe. Biese weist nach,
daß Lsomer und der Dichter des Nibelungenliedes
(welches er übrigens gewaltig unterschätzt) der Natur
noch gleich unbefangen gegenüberstehen, daß aber,
im vollen Gegensatz zu verbreiteten Ansichten, der
Natursinn des griechischen Dichters unendlich viel
reicher, lebendiger, mannigsaltiger und anschaulicher
entwickelt ist, a!s derjenige des deutschen. Griechen-
tum oder Germanentum kommt bei dieser Lrage über-
haupt nur wenig in Betracht. Die bewußte, gemüts-
reiche und empsindsame Naturanschauung hat sich über-
all mit der sich in ihrem Lortschritte zu großstädtischer
Bildung, zu überseinerter Lebenssührung, zu wissen-
schastlicher lBeltanschauung mehr und mehr von der
^ landschastlichen Natur entsernenden Gesittung als

Sehnsucht nach einem verlorenen und wieder zu er-
obernden paradiese ausgebildet. Daher blüht dieses
bewußte, innige Naturgefühl bei den Griechen und
Nömern der nachalexandrinischen Zeit, verschwindet es
im Niittelalter, kehrt es mit der wiedergeburt der alt-
griechischen Bildung, verkörpert in Männern wie Aeneas
Sxlvius,Dante, j)etrarca, zunächst nachZtalien zurück, wird
dann im Norden, wo der rauhe winter die ent-
schwundene Ls^^'lichkeit der sommerlichen Landschast
ebensalls als ein verlorenes j?aradies, das daher
doppelt ersehnt wird, erscheinen läßt, mit besonderem
Selbstbewußtsein ausgebildet, nimmt hier aber leider
eine Zeitlang an der allgemeinen Vernüchterung und
Verzopsung Teil, wenngleich im 17. Zahrhundert die
Landschaftsmalerei als eigentlichsten Ausdruck land-
schaftlichen Natnrgefühls aussallender weise dem schrift-
stellerischen Natursinn weit voranseilt, krankt im 18.
Zahrhundert an der Überseinerung und Verzärtelung
der ganzen Zeit und erhebt sich im 19. Zahrhundert,
dem Zahrhundert der Übervölkerung der Großstädte,
der Stubenluft, in welcher die meisten „Gebildeten"
die Moche über schmachten, nm Sonntags um so be-
geisterter an den Busen der Natur zurückzukehren,
zu einer Fülle, Neinheit und Meihe, wie es sie kaum
jemals zuvor besessen. Ntan lese nur die englischen,
sranzösischen, deutschen, schwedischen, dänischen, ja
selbst die italienischen Lyriker des 19. Iahrhunderts;
und man vergleiche nur die Fülle von tzlandschasts-
gemälden, welche unsere Runstausstellungen beherrscht,
mit dem maßvollen Anteil, welchen die Landschaft,
abgesehen von den LMändetii des 17. Zahrhunderts,
an der Runstentwickelung aller früheren Zeiten ge-
habt hat!

Alles dieses steht nicht gerade so in Bieses Buch,
aber doch ungefähr so; nnd sein Znhalt widerspricht
diesen Aussührungen wenigstens nicht. Tinen kurzen
Vers Lenaus hat Biese vielleicht deshalb nicht ange-
führt, weil er ihn sür Spott hielt; aber ^pott oder
nicht sich halte ihn doch sür ernst gemeint, weil es
nicht in Lenaus Art liegt, ein mächtiges Naturem-
psinden lächerlich zu machen), so spiegelt er die All-
macht (ich sage nicht die Tiese) des Naturgefühls des
19. j)ahrhunderts doch so deutlich wieder, wie kaum
ein zweiter. Überschrieben ist er „Die bezaubernde
^telle" und lautet:

„Liebende, die weinend mußten scheiden,

Il?enn nach heißer Sehnsucht tangen Leiden
^-ie ans Lserz sich endlich dürsen pressen,
wnrden sich zu küssen hier vergessen.

Den Abschnitt über die Landschastsmalerei in
Bieses vorlrefflichem Buche hätte ich gern vermißt.
Tr ist ganz ungenügend und zeigt, daß der Verfasser
sich aus ihn nicbt gehörig vorbereitet hat. Mie könnte
er sonst an zwei Stellen (S. 2-16 und S. 261) Le ^ueur
als berühmten sranzösischen Liandschaftsmaler mit
j)oussin und Tlaude ^orrain in eine Neihe stellen!
Zch habe überhaupt nie eine Landschast von Le Sueur,
der berühmter Ligurenmaler war, gesehen. Nnd soll
ich noch etwas tadeln (heutzutage geht es nun ein-
mal nicht ganz ohne Tadel ab), so muß es der Nüß-
brauch sein, den Biese mit entbehrlichen Fremdwörtern
treibt. Lr beherrscht die deutsche Sprache, wie viele
wirklich gut geschriebene Seiten des Buches zeigen,
vollkommen; und es war daher sehr überflüssig, be-

— 222 —
 
Annotationen