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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 17
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Avenarius, Ferdinand: Die Heine-Bewegung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0241

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! eigentlichcn Lyrik, obgleich diese doch wiedcr k^eines
allerschönste Gaben enchält. Denn in -er großen
Mehrzcchl der Gedichte ist diese ^yrik nicht die Fest-
bannung mächtiger innerer Anschaunngen und echter
Gmpfindungen, sondern eine Art von geschicktem Schach-
spiel mit Rosen, Lilien, Veilchen und Lotosblumen,
Nachtigallen und Mond, Seufzern, Schmerzen, wonnen
u. s. w. als Figuren — lauter Dingen, die fe ge-
wisse Lmpfindungswerte in uns auslösen, und durch
deren immer neue Gruppierung im Spiel immer neue
Lmpfindungsbilder in uns entftehen: ohne daß doch
cine wirkliche Grweiterung und Vertiefung
unseres Lmpfindens durch so äußerliche Neuanord-
nung unsrer Gefühlswerte entstehen könnte. Über
diese lyrische Fabrikware hebt sich eine Nkinderheit
verschieden hoch, und teilweise so hoch empor, daß sie
sich als etwas der Art, nicht nur dem Grade nach
verschiedenes unschwer zu erkennen giebt. Hier
schwindet das nur Nhetorische, Spielende, Geist-
reichelnde fener „Belustigungen des Derstandes und
witzes", und wirkliche Darlebung einer Innenwelt tritt
an ihre 5telle: statt des Tandes konventioneller Sprach-
spielmünzen von bseine selber gefundenes, selber ein-
geschmolzenes, selber mit eigenem Stempel beprägtes
Gold. Lr hat uns nur wenige solche echte hohe
Gedichte gegeben, aber kein einziger, Goethe ausge-
nommen, gab uns deren viel: der Unterschied zwischen
Löeine und den andern ist nur der, daß wir bei diesen
das seltene Gold aus unscheinbarerm Älber und Rupfer
herauslesen, während bei l^eine eigentlich garnichts
unscheinbar ist, weil er das Attnderwertige durch seinen
witz und seine meisterliche Behandlung der äußern,
sprachlichen, dichterischen Forin vergoldete. Denn
Lseine besaß ein so köstlich feines Gefühl für die musi-
kalische ^-chönheit des Nhythmus, einen so sichern
Takt in der Runst, durch ihn zu charakterisieren, und
er verfügte so herrschermäßig über all' die kleinen
Sprachmittel zur Lrzeugung von Stimmungen, daß er
sich auch hierdurch ein großes Verdienst erwarb. Diel-
leicht bewahrte er durch sein Beispiel mehr, als irgend
ein Anderer, unsre dichterische Sprache vor der Fessel-
ung in starre Formeln, die ihr gerade zu seiner Zeit
schlimmer drohte, als vorher und später.

wir wollten den zweiten Grund noch nennen, der
uns zur wiedergabe nnserer persönlichen Meinung
über Heine zu berechtigen schien: der war's, daß sicher-
lich auf einen, der ungünstiger als wir urteilt, zehn
kommen, die günstiger über den Denkmalskandidaten
denken, und daß trotzdem auch w i r gezwungen werden,
auf die Frage: Derdient er ein Denkmal, zu ant-
worten mit einem vernehmlichen Za. Za, kseine ge-
bührt sein Standbild in Düsseldorf, und nicht nur
ctwa ob unserer gütigen Nachsicht und Duldsamkeit
bei seinen „immerhin vorhandenen" verdiensten so halb
und halb, sondern aus seinem vollen Nechte heraus
ganz und gar. ksätte Heine auch nur die „Loreley"
und fünf oder sechs gleich herrliche Lieder geschaffen:
die deutsche Nation schuldete ihm dafür den dauernden
Dank, von dem ein Denkmal zeugen soll! Denn
nicht nach seinen Durchschnitts-, sondern nach seinen
höchsten Leistungen muß die Bedeutung eines Dichters
gemessen werden, weil nur das Beste bleibt, nur das
Beste bestimmt, ob eine wirkliche Bereicherung
der Litteratur eintrat oder nur eine Dermehrung.

Und nun kommen wir zu was Andrem.

Uhland, Nlörike, tzienau leben unter uns fort in
den schönsten ihrer Schöpfungen. Sind es die schönsten
seiner Gedichte, ist esdas wahrhaftNnvergängliche seines
Schaffens, was auch Lseines Bedeutung für die
Gegenwart allein bestimmt? Gder ist es außer
diesem noch etwas mehr und also Schlechteres? wenn
letzteres der Fall, so werden wir annehmen müssen,
daß sich für bseines würdigung die „Nachwelt" noch
nicht aus der „Witwelt" gesondert hat. Und so ist es.

wir Alle, die wir einmal Verse gemacht, sind von
bseine dem Dichter beeinsiußt worden. Aber nicht
die edle, wahre, seelengehalterfüllte Tinfachheit seiner
lyrischen Meisterwerke hat auf uns eingewirkt, sondern
seine prickelnde Nlanier. Zch halte trotzdem Heines
Linfluß auf das deutsche lyrische Schaffen nicht für
gar so oerderblich: die echten j?oeten kommen über das
bseineln halt hinaus, wann sie mannbar werden, und ob die
Dichterlinge heineln, scheffeln oder lenauen ist schließlich
gleichgiltig, mögen sie nun auf dem breiten wege
der Nlode oder auf dem schmalen der verkanntheit
zum Orkus wandeln. Den wahren ^Fyriker vermag
kein Fremder zu verderben, denn eben, daß er sich,
einmal ausgereift, nicht beeinflussen läßt, ist ein Stück
seines wesens — er kann ohne parodistische Absicht
gar nicht nachahmen. Sehr bedeutend zu schaden
vermag aber ein schlechtes Beispiel da, wo sich's nicht
um reine Dichtung handelt, wie bei der Nachahmung
nach bNme dem politischen, kritischen u. s. w. ssrosa-
Schriftsteller. Lsier ist nicht die Gestaltung Alles,
wie in der eigentlichen Uunst, die gleich jenem fran-
zösischen Uoch ein schmackhaftes Gericht aus dem
machen kann, was dem gewöhnlichen Sterblichen viel-
leicht nur dienlich zu einer Stiefelsohle erscheint: hier
handelt es sich auch darum, ein beftimmtes was,
Renntnisse, Gedankenfolgen u. s. w., möglichst genau
dem Leser zu vermitteln.

wird hier die Form zur 5>ache für sich, werden
der Form wegen Sätze geschrieben, die nicht zunächst
der Rlarstellung und vermittelung des Gedankens
dienen, so entsteht eine stillose, poetisierende Zwitter-
gattung, die weder blind der blunst ist, noch der
wissenschaft, sondern — nun, sondern das liebe mo-
derne „Feuilleton". Natürlich nicht Alles, was „unter
dem Strich" steht, sondern das mein' ich, was man
vorzugs- und eigentlicher weise als „Feuilleton" zu
bezeichnen liebt, was aber Alles unter dem 5>trich be-
einflußt und mit seinen Rrankheiten ansteckt. bseine ist viel-
leicht nicht dervater der deutschen Abart dieser traulichen
Gattung: unzweifelhaft aber ehrt das ganze Geschlecht
der Feuilletonisten in ihm ihr Dorbild, wenn nicht durchs
bezeugende wort, so doch gewiß durch die That. Die
Lseinesche Art, „ernste Gegenstände zu behandeln, ohne
ihrer mächtig geworden zu sein, und sich da, wo die
Renntnisse versagen, mit witzigen Seitensprüngen zu
behelfen", hat aber schon über unser Zeitungswesen
hinausgewirkt: die Anbetung des witzes um jeden
s?reis und die Derwechslung guter witze mit guten
Beweisen hat fast unser ganzes öffentliches Schreiben
und Neden verunreinigt bis in den hohen Neichstag
hinauf. So lange wir auch Heines j?rosaschriftstellerei
mit seiner gesamten Lyrik feiern und anerkennen
als etwas Großes und bserrliches, so lange wird unsere
! Feuilletonistik als eine schöne und berechtigte „Runst-
 
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