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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 17
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0245

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M'S--------TsS

Mldende Aüuste.

^ Dte dentscde und kranzösiscbe.Gnlerei

der Gegenwart nergleicht Ludwia fdfau in seinen
süngst aesammelten Schristen „Rnnst nnd Rritik".
Lr spricht davon, daß im Ganzen bei den romanischen
volkern stets die Natur mehr in Leziehnna ans die
änßere Bildnng, bei den germanischen mehr in Be-
ziehnng aus den inneren Borgang betrachtet wnrde.
Da nnn aber die bildende Annst vermöge ihrer ränm-
lichen Zlnsdrncksweise auch „ihr Abftraktnm nur als
Aonkretum" geben kann, so besanden sich die Ger-
manen den Bomancn gegennber im Nachteil. Die
dentsche Nnnst wollte gleichsam den Geist gestalten,
statt die Gestalt mit Geist zu dnrchdringen, und so
blieb sie anf dem Ansangsxunkt der Beweauna,
auf der zeichnerischen Ronzeption, mit ihren bfaupt-
leistungen stehen. „Ihre ^istorienmalerei war plastisch
nnznlänglich; es fehlte ihr die Formvollendung, die
Durchbildung des Nackten, ohne welche die Nunft
großen Ltils zur Dekoration wird; ihr Genrebild war
malerisch ungenügend: es hatte nicht die Farben-
technik, die koloristische Ltimmung, ohne welche die
Nleinmalerei der fZllustration sich nähert." Lie leistete
mehr im Umriß und Aarton, als im Gemälde, mehr
in Nandzeichnung und kfolzschnitt, als im Ltaffelei-
bild; „denn bei jenen konnte sie ihr Geschick im Auf-
bau der von der Idee getragenen Nomposition zeigen,
und ,bei diefen ihre Lchwäche in Behandlung der
Farbe verbergen." In Folge dieser Nichtnng strebten
die Deutschen danach, ihren Bildern ein stofsliches
Interesse zu geben — wie ststau sich ansdrückt: „An-
hängsel äußerlicher Interessantheit" waren das Lr-
gebnis. An einem hübschen Beispiele führt der Der-
fasser aus, wie sehr das Interesse am Gegenstand
die Teilnahme d'er Beschauer erhöhe (er erinnert an
jenen jäünglingskopf, Nasfael zngeschrieben nnd
für dessen SAbstbildnis ausgegeben wird, und den
sicherlich von hundert Beschanern neunundneunzig
mit vermehrtem wohlgefallen betrachten, halten sie
ihn für dieses Lelbstbildnis), ohne daß es doch mit
dem Nunstwert zu thun hat ldcnn jener Naffael wird
durch jene Renntnis als Bild doch weder fchlechter
noch besser). „Lben das Beftreben, den Laien init
solch außerartistischem Nödcr zn fangen, führt" viel-
mehr „die Nnnst zu jener litterarisierenden Zwitter-
gattung, welche den Znhalt an die Btelle der Lorm
setzt. Deshalb ist die -Leerheib des Lujets bei vielen
Franzosen im Grunde ein Dorzng - nur verlangt
sie einen Aleister, während das ftoffliche Interesse
auch bei mangclhafter Behandlung seine Anziehungs-
kraft behält nur daß diese nicht aus Nechnung der
Nunst kommt." stdfau giebt übrigens zu, daß die stoff-
liche Beigabe, wis sie sich in manchen unsrer großen
kulturhistorischen NompositiGien oder in der oft launi-
gen und humorvollen Lchilderung deutschen Familien-
lebens stndet, an und für sich ein Ausfluß reinerer
und gesunderer Lmpfindung sei, als der französtsche
Dienst einer „plutokratischen, wenn auch feinen Nppig-
keit der Linne" — aber das bleibt ihm doch beftehen: !
„daß die französische Nunst wohl in der Auffassung
des Lebens rafstnierter, in der Betrachtung der Natur
aber naiver ift, als die deutsche", und das sei ihr
großer Dorteil. Die naturwüchsigen, volkstümlichen

„singenden und klingenden" Nandzeichnungen eines
Lndwig Nichter, die Nompositionen eines Gornelius,
Schnorr, Naulbach seien sicherlich anch nach der Leite
des j?hantasiesä?affens den französischen Lchöpfungen
überlegen, erreichten sie jedoch nicht nach dcr Seite
des eigentlich malerischen Rönnens. Die Formvollen-
dnng aber sei die wesentliche Bedingnng der räum-
lichcn Runst. Lo lange wir nicht ebenso vollcndet
zu zeichnen, zu modellieren, zu malen verstehen, wie
die Lranzosen, so langs haben wir die kföhe nicht er-
reicht, die kfföbe, „auf welcher unsere jdoesie und Nlusik
längst angelangt sind". — Daß die deutsche Malerei
bedcutcnde Fortschritte geinacht habe, verkennt unser
kritischer Lchriftftsller nicht. Die akademische Lin-
sörmigkeit scheint ihm einer ersreulichen Abwechslnng
individueller Bestrebnngen gewichen: „es ist nicht mehr
die Schule, die für den Rünstler chichtet und denkb".
Das Beste sei, daß die Linzelheiten des Gemäldes
jetzt zumeist ein Ganzes bilden, das sich „zusammen-
hält", daß unsere Bilder wieder jene „Linheit der
Lichtexistenz" besitzen, die ihnen so lange fehlte. Gab
man uns doch früher Gemälde, „auf welchen die eine
Ligur unter bedecktem, die andere unter klarem kstm-
mel wandelt, wo hier Ztalien, dort Lngland, oder
bald der Zuli, bald der November die Beleuchtung
besorgt zu haben schienen". Die französische Lrrungen-
schaft einer Runst der Farbe und des Lichts hat sich
auch Deutschland nun zu eigen gemacht „und in zwei
Zahrzehnten hat Deutschland das Verständnis für
Farbe und vortrag wiedergefunden, das ihm seit drei
Zahrhunderten abhanden gekommen war".

* Gegen „Verirrungcn der modernen/Dalerei"
kämpft der Maler G. N. Boulanger in seinem
Buche ,,-ä. nos eleves", in dem er als das Grund-
übel der hentigen Rnnst in Frankreich die Lucht nach
Griginalität hinftellt. Auch er macht dafür zum
Teil die Ausstellungen verantwortlich, welche die
Linzelnen znm khervordrängen ihrer Leistungen halb
und halb erzögen, und dann jene jllresse, welche
„zwischen Genialität und Orthographie-Fehlern" nicht
recht zu unterscheiden wisse. Unter der Fahne der
?Iein-uir-Nüa!erei versammelten sich Beftrebungen, die
sich lediglich auf Derneinnng stützten: man behandle
die Zeichnung wie die Romposttion als etwas Über-
lebtes, man vsrneine die Form ebenso wie die Farbe,
man verachte die jAwspektive: kurz, man ncgiere eben
Allcs. Lo sichcr es nnbestreitbar ist, daß Boulanger
sich seine Dorstellung nnr nach den Answüchsen
der neuen Nichtung gebildet hat und purtem pro
toto nimmt, so sicher ist's, daß er diese Auswüchse
gut zeichnet. Ao hebt er heroor, daß man eigentlich
mit Unrecht von der bsäßlichkeit vieler ihrer Lrzeug-
nisse spricht, — das Lsäßliche kann ja sehr charakter-
istisch ssin —, man sollte von der vorliebe sprechen,
mit ^er ganz uncharakteristisches Niedriges, Gemeines,
Zufälliges dargestellt werde. „Unsere jungcn Bild-
hauer stndieren nicht mehr die Muskeln, nein, die
Rrampfadern und Geschwülste." Lin wort zur guten
Zeit scheint uns Boulanger auszusprechen, wenn er
sich gegen jene Art der Nlalerei wendet, die wir
Deutsche „hingefetzt" nennen. ^Nanche erblickten darin
das Zeugnis von künstlerischer Vollkrast, aber gerade
die Lchwäche stecke dahinter. „Vollkraft des Rünstlers
zeigt stch vielmehr in möglichster Durcharbeitung

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