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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 19
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Vom Tage
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0279

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«- Als „die erste Nacht oder die letzten Uonsequenzen" gab ^
I. v. widmann bei Schottländer in Breslau „ein Nachspiel
in einem Akt zu Galeotto" heraus. Don Lrnesto und
Donna Iulia kominen aus der Reise im „Mohren" zu Tolcdo
an, wollen sich töten, entscheiden sich aber schließlich sür Leben
und Liebe. „ksätte sich der spanische Dichter daraus be-
schränkt", heißt es im vorwort, ,,zu zeigen, daß das saule
Geschwätz der gedankenlosen Menge, auch wenn der Linzelne
dabei nichts Böses beabsichtigt, unendlich viel Unheil anrichten
kann, z. B. die Lntzweiung alter Freunde bis zum 6aß und
Totschlaq, so ließe sich nichts gegen sein Stück einwenden.
Aber er ging so weit, darzustellen, daß die üble Nachrede,
die er unter den Namen »Galeotto« personifizierte, geradezu l
zur Kupplerin wird und unschuldige gute Menschen mit eiserner !
Notwendigkeit zwingt, schuldig zu werden. Diese Übertreibung, !
deren bedenkliche inoralische Ronsequenz aus der ksand liegt,
muß bei richtig beschaffenen Zuschanern widersprnch, eine ge- '
wisse Reaktion erregen, wie jede aus die Spitze getricbenc
Linseitigkeit. Der Ausdruck einer solchen Reaktion liegt nun
in diesem unserm satirischen Nachspiele vor, das seinerseits
die Gedanken Lchegarays womöglich noch weiter aus die Spitze
treibt, um durch eine solche Nersolgung in ihre letzten Aon-
sequenzen das Unhaltbare einer derartigen Moral darzustellen."

-x- Die „Neininger" kehren dieser Tage aus Brüssel
zur kseiinat zurück.

-k In Mailand wurden während der letzten Spielzeit
(26. Dezember bis z^.Mai) nicht weniger als neunundzwanzig
neue Mpern ausgesührt! Ls ist nicht ersreulich sür uns, diese
Zahl mit entsprechenden in Deutschland zu vergleichen.

A- R. wagners Iugendwerk „Die Feen", das sast
zehn Iahr älter ist, als der „Rienzi", hat am 29. Iuni zu
München seine Lrstaufführung erlebt. Schon vor der Aus-
sührung veröffentlichte L. Lsartmann in der „Sächs. Landesz."
eine Schilderung der Mper nach dem Auszug. „Ls ist deutsche
Lnergie darin," so hieß es vom werke, „kühnes Temperament,
aber wälsche Süßigkeit der Melodik, die hier von »Deklama-
tion« nicht die Spur besitzt. Diese Züge sind in den Feen das
kservorftechendste. Begreistich, daß der init dem Glorienschein
walhalls umsxonnene hochstrebende Ideolog R. wagner der
Altere von dem vorstünnenden, an losen Blumen sich ge-
nügenden wagner dem Iüngeren just keinen Geschmack mehr
hatte. Lr durste Rienzi und die Feen ableugnen. wir
wären sehr töricht, wenn rpir's thäten." Die Aufführung war
von einem Lrsolge begleitet, der sicherlich Manchen angenehm
überrascht hat: er steigerte sich von Akt zu Akt und machte
sich dann und wann sogar bei offener Seene Lüft. Norwurs
der Gper ift die Liebesgeschichte des Aönigs Arindal und der
Fee Ada nach Gozzi's Märchen „Die Frau als Schlange",
deren Schluß aber vom jungen Dichterkomponisten in einer
weise geändert ist, die nns an „Alceste" und „Mrpheus" er-
innert. Musikalisch am uubedeutendsten erscheint der erste
Akt: es ist, als taste und suche hier noch der übrigens auch
sonst in diesem werk von den Größten seiner Zeit abhängige
Ansänger. Aber schon im zweiten scheint er mächtig gewachsen:
krastvolle wirkungen werden glücklich erreicht, auch musika-
lischer kjumor komint liebenswürdig zur Geltung, und das
Finale erscheint groß und bcdeutend. Nom dritten Akt sagt
man, er zeige zwar eine ksäusung von Bühneneffekten (an
denen übrigens die ganze Gper reich ist) salle aber musikalisch
im Allgemeinen gegen den zweiten ab. Das a capeUa-Gebet
hingegen (Mnintett mit Lhor) nennt Nerz geradezu „ein
Stück, wie wir in dieser Art des wohlklangs kein ähnliches
im gesammten Theaterschatze unserer Zeit zu nennen ver-
möchten" nnd anch Bernheim bezeichnet es als ein solches

„von ganz entzückender, auch später nie übertroffener Schön-
heit." Nielleicht solgen ungünstigere Urteile noch nach.

-x- Das Stuttgarter Musiksest war wegen der Bei-
setzungsseierlichkeiten Raiser Fricdrichs auf den 2Z.—-25. Iuni
verschoben worden und ging an diesen Tagen von Statten.
Man ist des Lobes voll, besonders über den Lhor, während
am Orchester mancherlci ausgesetzt und bemerkt wird, daß in
knnsicht auf dieses die rheinischen Musikseste jenc Stuttgarts
übertrasen. — Lin Nachspiel besonderer Art beschäftigt jetzt
die Presse. Im Tertbuch zum Nusikseste sand sich u. A.
eine kleine Abhandlung über wagners jdarsisal, deren Ver-
sasser, jd. Götschius, jdrosessor ain dortigen Ronservatorium
ist. Darin steht zu lesen: „Mb wagner wohl bewußt war,
daß dieses dem ganzen »jdarsisal ein so beftimmtes Gexräge
verleihende »Gral-Notiv« das geistige Ligentum des von
ihm so schmählich hernntergesetzten, ihin in allen Dingen
so diametral gegenüberstehenden Mendelssohn ist!? Die ge-
sährlicheren wagnerianer würdigen sreilich die Resormations-
Symxhonie von Mendelssohn keines Blickes, sonst hätten sie
in Takt ZZ—-N der Linleitung jenc jdhrase samt der wieder-
holnng buchstäblich gesunden." Zur Sache selbst bemerkt nun
O. Merz, das beschlagnahmte Motiv, bez. dessen in jenem
Takte vorkommender zweiter Teil rühre ebensowenig von
wagner her, wie von Mendelssohn. „Auch die Liszt'schen
Rompositionen scheint unser »gesährlicherer Mendelssohnianer«

! keiner gründlicheren Renntnisnahme zu »würdigen«, sonst hätte
! ihm nicht entgehen können, daß auch dieser musikalische Räuber
oder räuberische Musiker sich geradezu kapriziert daraus er-
! wiesen hat, just an diesem in den ersten Takten der Resor-
! mationssymphonie enthaltenen Teilchen des »Mendelssohnschen
Ligentums« sich nicht nur einmal, sondern wiederholt auf-
sallend zu vergreisen. Der »erste Teil des Gral-Motives«,
also das Notiv der ersten Takte der Linleitung zur Resor-
mationssymphonie findet sich bei Liszt z. B. im Schlußchor
der Dante-Symphonie, in der Gloriasuge der Graner Nesse
und im Lhor der Areuzritter (Legende der hl. Llisabeth)! —
Das Rätscl der Nielverwendetheit des vom Stuttgarter jdrosessor
entdeckten motivischen Rechtsobjektes ist jedoch sehr einsach zu
lösen. ksiezu hat man sich nur die Bedeutsamkeit der dem
ersten Teil des Gralmotives entsprechenden Intonation
8—u—c im grego rianischen Rirchengesange zu ver-
gegenwärtigen. Lrgänzend hat man zu bedenken, daß der
unmittelbar daran knüpsende zweite Teil, der oben erwähnte
Sextengang, einen uralten liturgischen Bestandteil des katho-
lischen Ritus bildet. Man kann ihn z. B. hier ^in München)
in jeder Lhristnacht sehr schön gesungen in der Bonifazius-
kirche hören. Nicht minder gehört dieser Gesang, wie aus
dem ksillerschen Lhoralbuche ersichtlich, der Liturgie der
evangelischen Airche in Sachsen an. Da nun, wie männiglich
bekannt, wagner seine Iugend dort verbracht und damals
schon von den Antiphonien und Responsorien in der Dresdner
ksofkirche, wo er überdies später als Noskaxellmeister zu amtieren
hatte, seiner eigenen Nersicherung nach einen mächtigen Lin-
druck empsangen hatte, so ist unschwer zu erkennen, welches
die Lntstehungsgeschichte des Grals-Motivs gewesen sei. Ls
ist deshalb eben so sicher, daß wagner bei der Aonzeption
des Motivs seinem Lrtönen unmittelbar mit dem inneren
Mhre gelauscht hat, wie daß er, sosort den zweiteiligen Ur-
sxrung desselben erkennend, es mit bewußter Absichtlichkeit
in der Gestalt sesthielt, in der es nun qnusi die Grundlage
des jdarsifal bildet. Dies hat aber mit der »jdhrase« aus der
Reformations-Symphonie direkt gar nicht zu thun. Lbenso-
wenig wie im Aaisermarsche der Lhoral -Lin seste Burg
ist unser Gott« mit dem letzten Satze jener Symphonie.

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