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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 21
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Kirchbach, Wolfgang: Poesie und Rhetorik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0304

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gedrückt ist, zum Uuterschiede vou der Nedekuust und
Ruust der Rede, welche mau im audereu Siune „Rhe-
torik" uennt. Daß auch zwischen Dichtuug uud Rede-
sälscherei ein handgreislicher Uuterschied bestehen
müsse, wird man weuigsteus aus diesen deutscheu
worteu uicht ohne eine gewisse Leichtigkeit errateu
köuneu.

weuu wir demgemäß eiuen schlechteu Dichter
im beschränktereu Äuue als „ Uhetoriker" im übleu
Siune bezeichueu, so wird er der Sache uach uuter
alleu Umstäudeu eiu Nedefälscher seiu, d. h. eiu TNauu,
der iu irgeud eiuem Äuue die Ruustmittel der Rede
oder der Dichtuug sälscht, der diese Ruustmittel
wohl gar durcheiuanderwirst uud wenn er dies nicht
thut, durch eiue uugeschickte oder übermäßige, durch
eiue sinulose oder kuustlose Behaudlung der eigen-
tümlichen Sprachmittel seue Bockshirsche uud Miß-
geburten erzeugt, welche uuter demNamen „rhetorisches
Zeug" in Iedermauus Bmude siud, ohue daß
Nlaucher ohne weiteres sich klar ist, was man
damit meiut.

wir versucheu also, im Folgeudeu deutsch zu redeu.
Deuu als Redefälscherei in irgeud einem Siuue wird
sich uuter allen Umstäuden Das erweisen, was der
eiusichtige Ruustrichter mit dem Namen der Nhetorik
bezeichuet, unter der er iu wahrheit sa immer falsche
Nhetorik meiut. Ls ist auch hier einzig die Fremd-
wörterseuche Schuld, weuu mau von „ Nhetorik"
schlechthiu spricht, statt vou salscher Nhetorik, weil
mau die Bedeutuug der Fremdwörter uur uuvoll-
stäudig keuut.

Line dritte vielgebrauchte Bedeutuug des wortes,
welche vielleicht das meiste Nuheil augerichtet hat,
ist diejenige vou „Nhetorik" au Fllelle vou s)athos.
bsier wird die üble Bedeutung, welche wir mit Nede-
sälscherei übersetzeu, aus jede leideuschastliche oder
gehobene Dichtuug augeweudet uud so siud wahre
und große Dichter ost der „Nhetorik" beschuldigt
worden uud kleinhirnige jDhilister glaubten sie mit
diesem worte abthuu zu köuueu, währeud es uur
pathetische Nedeweise oder iu der Dichtuug dich-
terische Lrhebuug uud Lrhabeuheit ist, welche, statt
dem weseu der Dichtuug zu widersprecheu, vielmehr
uuter Umständeu das Lsöchste ist, was voller Dichter-
geist vermag. Der unberechtigte vorwurs der Nhe-
torik iu diesem Siuue ist vor Allem gegeu Schiller
vou romautischen Ruustrichteru erhobeu wordeu, weil
es iu der That eiue simpelhafte Nlenscheugattuug
giebt, deneu jeder seierliche Tou der Sprache iu den
Tod zuwider ist oder deuen jeue gewaltige Tiubil-
duugskrast sehlt, welche großartig augeschaute Bilder
der Nede uachgestalteu kaun. ^-chiller aber ist iu
seinen anerkanuteu Nleistergedichten keiueswegs eiu
Nhetoriker iu dem Siuue, daß er die Nuttel dichterischer
Nede auschauungslos oder uugeschickt anweudete; er
ist vielmehr j)athetiker, das ist der Dichter jeuer er-
habeuen Feierlichkeit des wortes, welche sehr wohl
mit einer vollstäudig dichterischeu Derweuduug der
Runstmittel bestehen kann. Daß diese Feierlichkeit
schlechte Dichter leicht zur geschmacklosen Redefälscherei,
zur siuuloseu Durcheiuauderschichtuug widerspruchs-
voller und uaturloser Nedebilder verleitet, ist aller-
dings richtig, trifft aber ^chiller nur in einigen Tr-
zeuguissen seiuer Iugeud uud selbst da ist vieles uur

großartige Vorstelluug eines erhabenen Geistes, was
der Nlausesalleuwitz der Runstrichter von der Gasse
iu falschem Gebrauche des wortes als „Nhetorik"
bezeichnet. Lsiugegeu glaube ich mit guteu Grüudeu
uachgewiesen zu haben, daß in Heinrich Ljeiues Dichtuug,
welche mau gemeiuhin iu Gegensatz zu Schiller stellt,
wegeu ihrer scheiubareu uatürlichen Linsachheit der
, Nede, erstauulich viel salsche Nhetorik, das ist Nede-
fälscherei uud wahllose Auwenduug der Ruustmittel
aus Nedekuust und Dichtung beisammeu ist. (Vergl.
Nilagaziu für die Litteratur l.888, Nr. l8, t9, 20.)

Für den Dichter des seierlichen Bortrags liegt
allerdings des Weitereu die Gesahr vor, abgesehen
von jeuem redefalschen Schwulste (ungeschickter Au-
wenduug vou Metapheru und Ljyperbeln) auch sonst
aus dem Gebiete der darstellungskräftigen Dichtuug
ius Greuzgebiet der Nedekunst als solcher hinüber
zu greiseu, eiu Umstand, den man z. B. in den
Werkeu Tord Byrous vielsach fiudet. Auch hierüber
habe ich auderweit mich ausgewieseu. (Vergl. Lord
Byrou. Liu Tssay, Lotta'sche Bibliothek der N)elt-
litteratur. Byrous N)erke Bd. q^.) Aber auch das
spricht nicht gegen die Berechtiguug, ja, vorzüglich-
keit der seierlichen Dichtuugsweise als solcher,
welche in uuserem Schiller, iu unserem Goethe Groß-
artiges schus, iu Byron, wo er vollstäudig Dichter
ist, bserrliches hervorbriugt, das nicht minder voll dichterisch
ist wie etwa kleiue Lieder- im volkston. Daß es
viele Volkslieder giebt, welche dagegen im übelsteu
Siune „rhetorisch" siud, kaun jeder Leser vou des
„Ruaben wunderhoru" inue werden; es gilt über
die volkslieder, was über jede Dichtungsweise gilt:
es giebt gute uud schlechte.

Dies uur nebeubei, um gewisse litterarische s)ar-
teieu, welche nach vorgesaßteu Nleiuuugen, aber ohne
Runsteiusicht urteileu, hier außerhalb des Gegeustaudes
zu halten.

N)ouach bestimmt sich uuu aber das Urteilsmaß,
durch welches erkannt wird, ob eiu Nuttel der Nede-
kuust sälschlich iu die Dichtuug sich schleicht und dann
salsche Nedewirkuug zeugt? wonach erkenut mau,
ob eiue bjyperbel, welche einmal der Nedner, das
audere Nilal der Dichter braucht, im ersteu Falle
gut rednerisch, im auderu Falle wahrhaft dichterisch
ist, bezüglich zur uukünstlerischen Nedefälschung wird?
Denu die alteu bekanutesten Formeu der Sprach-
äußeruug: Nletapher, N'letouymie, Gleichnis, ^yperbel
sind allerdiugs sowohl der Dichtung wie der Nede-
kunst gemeiusam; woran erkennen wir oder — weun
wir's uicht erkennen — woran sühlen, ahuen wir
die Richtigkeit und das Naturgemäße ihrer Anwenduug
in der Dichtung?

Nun, der Gruudsatz, der uus von vornherein
Nedekunst uud Dichtuug als zweierlei Runst des
N)ortes vou einander uuterscheiden läßt, euthält auch
die allgemeine Autwort sür die bezügliche Nichtigkeit
der Auwenduug uud Ausgestaltuug jener Formeu der
Denkäußeruug uud ^lußeruug der Liubildungskrast.
Diese allgemeine Autwort wollen wir hier geben;
die Lntscheiduug im Tiuzelnen ist eiue Sache weit-
reicheuder Betrachtuugen psychologischer Art, welche
hier uur durch einige kurze Beispiele erläutert werdeu
kanu.

N)as die allgemeine 2lntwort aulaugt, so ist klar:

— 2SS —

-S
 
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