Gemeingut unserer höhereu Rreise zu macheu suchte.
Demgemäß werden iu dem Buche die wichtigsten
(Lrscheiuuugen aus den geistig-sittlichen Mechselbe-
ziehungen der Menschen iu ihreu wesentlichen Zügen
dargestellt und ihre jDrobleme durch die Begriffe der
Gesetzmäßigkeit und Lntwicklung gedeutet. In dem
die Bestrebungen dieser Zeitschrist näher berührenden
Zlbschnitte „Philosophie der Äunst" gehe ich davon
aus, daß Religion und Aunst eine gemeinsame U)urzel
habeu in dem allgemeiuen Bedürfnisse des Menschen
nach einer Lrgänzung der rauhen Wirklichkeit durch
eine Zdealwelt, in welcher die bvidersprüche des Da-
seins, die schmerzvollen Lrschütteruugen und Gefähr-
tungeu des inneru und äußern Lebens, kurz alle dem
Gattungscharakter wahreu uud vollkominenen Menschen-
tums widerstreitenden, dem wirklichen Leben auge-
hörigeu Abweichungeu von dem Normalen harmonisch
ausgeglichen sind, uud das Sehnen uud Zagen des
^erzeus zeitweilig zur Ruhe und Linstinunuiig gelaugt.
Uusere modernen, besouders durch das naturwisseu-
schaftliche Denkeu geläuterten Auschauungen verlangen
ein unserer heutigen Geisteskultur entsprechendes rea-
listisches Zdeal, d. h. eine Aunstschöpfung, die, ohne
die Formen uud Larbeu der Tvirklichkeil zu verlassen,
über die Natur hinausgeht und sich über das IDirk-
liche erhebt, um es vou dem Gemeiueu uud Niedern,
das ihm anklebt, vou dem örtlich wie zeitlich Zu-
fälligen und Beziehungsloseu zu befreien und iu eiue
höhere ^phäre sittlicher Zdeen zu erheben. Durch
selbstschöpferische Zusammeufassung des bleibend Mert-
vollen und wahrhaft Lharakteristischen, des den
Lorderungen uuserer Dernuuft wie uuseres Gewissens
Gemäßen entsteht das Kunstwerk als das rdeale Gegen-
bild von Natur- und Menschenleben. Der Lndzweck
aller Aunst ist innere Grhebung über die Schranken
des Zrdischen und Dergäuglicheu, Befreiung von dem
Drucke der Lndlichkeit, Lteigerung des Lebens- und
Wertgefühls. Gin Auustwerk, welches unsere ganze
Auffassungskraft in mühelose Thätigkeit versetzt und
iu uns Stimmungen hervorruft, die uufere Seele so
gäuzlich ausfüllen, daß wir uns bis zum t5-elbstver-
gessen in dem Anschaueu des Gegsnstandes verlieren,
erzeugt in uns das Gefühl reiuster Luft und hat
für uns das Nterkmal höchster Schönheit. wie in
dieser chiusicht die mit elementarer Gewalt uufere
sinnliche Natur erregeude Musik und die tragische
Runst die stärksten Anregungsmittel anweuden, mag
hier noch kurz augedeutet werden. Der Atusik fehlt
„das vorbildende Naturschöne" fast ganz. tv-ie läßt
nur in der Verwaudtschaft des Tones mit dem die
Tmpfindung ausdrückeuden Schrei, mit dem Gesange
der Dögel uud wenig hörbaren Bewegungsformen
der Natur ein Urbild ihres Mesens erkennen. Die
Akusik besteht in künstlerisch bewegten Tonwellen.
Die dem Tone eigne Tmpfindungsintensität ist die
(öeele der Akusik, die Bewegungsfigur ihre äußere
Lorm. Sie stellt nicht Gegenstände dar, sondern nur
ihren Tindruck auf uns; sie will die innere ^eelen-
thätigkeit des Atenschen ansprechen uud abspiegeln.
kBie die Nmsik die Grundeinheiten unseres Seius,
Bewegungsgefühl und Tmpfindung, in ihrer vollen
Neinheit und Stofflosigkeit durch die künstlerische
Berbindung von Nhythmus und Ton erfaßt und packt,
doch so, daß wir uns in unserm innersten Lebensge-
fühl nicht gestört, sondern sympathisch erregt und
ersrischt fühlen, so läßt auch die tragische Runst uns
durch Trreguug von Lurcht und Ntttleid in den
Gruudangeln unseres sinnlich-geistigen Lebens erbeben,
läßt unser Bewußtsein in das eiuer mächtigen s)ersäulichkeit
aufgehen, darin zu momentanem Selbstvergessen ver-
sinken, um es in diesem sozusagen zweiten Gesicht zu
erhöhtem Selbstgefühl zu bringen. wie sich das
Tragische stufenweise eutwickelt, wie die moderne
Tragödie dem moderneu Lreiheitsbewußtsein gemäß
ihre Nüotivirung anders gestalten muß, als die antike,
wie an die Äelle der Schicksalsmacht und einer von
außen iu die Nkenschheitsgeschicke bestimmcnd ein-
greifenden sittlichen Nkacht strafender Gerechtigkeit die
immanente kausalgesetzmäßige Naturorduung und das
aus dieser für die menschlichen Lsandlungen folgende
Gesetz der unvermeidlichen moralischen verantwort-
lichkeit tritt, wie der tcagische Schuldbegriff aufzu-
gebeu uud wie lediglich die tragische Tmpfiudung
dasfenige NÜoment ist, welches die ästhetische vor-
stellungsweise vermittelt — auch das suche ich iu
meinem Buche auszuführen. Neinhold Biese.
Dicktung.
* ikürscdners „Deutscbe OntLonal-
lltterntur". ' „Die Litteratur eiues volkes ist
eine der schöusten Äußerungeu seiner Nultur. Zn ihr
ist die treibende Nraft der Bolksgeist, und dessen
wesen muß man zu erkennen trachten, wenn man
fene recht verstehen will. Denn in jeder einzeluen
litterarischen Lrscheiuung wirken dieselben Gesetze,
welche den ganzen Grganismus durchdringen, und
nicht nur die eigeutümliche Nichtung bestimmt den
wert einer Leistung, soudern auch die Art, in welcher
sie an das Nberlieferte anknüpft." Zn unüber-
troffener Kuappheit kennzeichnen diese worte, den
ersten Band vou Rürschners „Deutscher National-
litteratur" eröffnend, eiue Auffassung des allgemeineu,
kulturhistorischeu wertes der Litteratur, die wohl ge-
eignet ist, dem in ihrem Siune durchgeführten Unter-
nehmen von vorn herein Dertrauen zu gewinnen.
Lricht sich doch mehr und mehr die Lrkenntuis Bahn,
daß die Uufähigkeit des deutschen Dolkes zur Uritik
von Schriftwerkeu, in weiterer Folge also auch das
üppige Gedeihen der verschiedenen „Nlodewaren der
Litteraturbranche" in erster Linie der unwürdigeu
Auffassung und mangelhaften Durchführung der
ästhetisch-Iitterarischen Bildung der Nation ent-
springen. Daß nun die Grundlage einer litterarischen
Trziehung in der gründlichsten Uenntnis des nationalen
Schristtums im Änne der oben angeführten worte
zu suchen ist, steht doch wohl fest, wie die Thatsache,
daß eben diese Uenntnisnahme bisher schon aus rein
materiellen Gründen für allgemeinere Ureise so
schwierig war, daß die überwiegende NÜehrzahl selbst
der besseren zurückschrecken mußte.
Zm Gefüge des nationalen Schrifttums gebührt
unbedingt auch deu Lrscheinungen ein fester platz
uud damit dauerndes Lortleben, die zwar an und
für sich das höchste Znteresse nicht mehr beanspruchen
dürfen, aber als echte Rinder ihrer Zeit als charak-
teristisch für diese gelten können und ebenso, ja in er-
höhtem Nlaße Zenen, welche als vorläufer, Zeitge-
nossen und Nachfolger der großen Träger unserer
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