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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 21
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0314

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daß das Genie Richard lVagners nun endlich den Triumph
feierh den die Anhanger des Meisters fchon vor Iahrzehnten
herbeigewünfcht haben." Die diesjährigen Aufführungen sind
unter Überwindung ganz besonderer Schwierigkeiten zu Stande
gekommen: das ausgezeichnete Münchner Grchester, Aapell-
meister Levi, der Träger mancher unmittelbaren Überlieferung
lVagners, von den Darstellern auf der Bühne felber mancher
Tüchtige von ehedem — fie alle mußten erfetzt werden. Ts
ist nicht zu leugnen, daß fich Bpuren fo vielfachen wechsels
in Dem und Ienem zum Nachteile geltend machten, während
andererfeits in van Dyck ein Darsteller des parsifal gewonnen
fcheint, der nach noch einiger Übung in der Behandlung der
deutschen Sxrache nach Leßmanns und vieler Anderen Urteil
j der beste Parsifal-Darsteller werden dürfte und zu den besten
wohl fchon jetzt gehört. Übrigens dürfen wir nicht vergesfen,
daß diese lVorte überhaupt stch auf die ersten Festfpielauf-
führungen des Iahres stützen, daß aber eine Lntwicklung in
der Güte der Darbietungen von Abend zu Abend auch diefes i
Iahr fchwerlich vermißt werden wird. Auch die Mängel in-
dessen empfand keiner unserer Gewährsleute fo stark, daß er
die mächtige Gefamtwirkung beeinträchtigt fühlte. — Die
Zentralleitung des „Allgemeinen Richard IVagner-
Vereins" ift auf Befchluß der Generalversammluug des
Vereins vom 2^. Iuli von Nünchen nach Berlin verlegt worden.
Zu Leitern wurden erwählt: Graf waldersee, Frhr. v. Sccken-
dorff, Trbprinz bfohenlohe-Langenburg, v. Lhelius, bf. v. !Vol-
zogen, I. 5ucher, Lrdtmann, v. Vignau und v. Puttkamer.
bfoffen wir, daß die bferren ihr Amt fo erfolgreich verwalten
können, wie dic Münchner, deren aufopferungsvolle Thätig-
keit nie vergesfen werden möge!

^ Über unfer INnfikleben stellt f). Marsop in einer
Befxrechung der Vrüfungskonzerte der Münchener Agl. Musik-
fchule einige allgemeinere Betrachtungen an, die auch hier
wiedergegeben feien. „Sicherlich verdienen der Fleiß und
das redliche Btreben der folchergestalt (mit Beifall, bfervor-
ruf und Lorbeerkränzen) Geehrten einen öffentlichen Dank;
nur möchten sie den lVert der Triumphe, welche ihr Genius
bei feinem ersten Fluge vor einem Publikum errang, nicht
gar zu hoch anfchlagenl 5o fchätzbar für sie die Anerkennung
ihrer gleichalterigen Rollegen fein darf, fo haben sie sich doch
darauf vorzubereiten, daß sie in Bälde einer Iuhörerfchaft
gegenllberstehen werdcn, in welcher gute Freunde und zärt-
liche verwandte zumeist nur fxarfam vertreten sind, und daß
auch die Rritik, welche zur Zeit ihren Darbietungen, eben als
Bchüler-Probestücken, ein außergewöhnliches Maß von kVohl-
wollen und Nachsicht entgegenbrachte, in Zukunft genötigt
fein wird, das vermögen der fortan frei und frank Auftretenden
und vom fchützenden Fittig des Institutes nicht mehr Be-
hüteten auf feinen absoluten IVert hin zu xrüfen. So Man-
cher, dem nur die unendliche Geduld feines Leiters und Be-
raters dazu verhilft, vor feinem Austritt aus dem Rreise der
Mitlernenden einmal das j)odium der j)rüfungs-Aufführungen
zu erklimmen, wird durch den herkömmlichen „dreimaligen
kfervorruf" dazu verführt, sich Talent anzumaßen. Das hat
dann traurige Folgen. IVenn es nur mit den Tnttäufchungen
abgethan ist, wenn nur nicht das nackte, unbarmherzige Elend
hinterdrein fchreitet! kVelch' Lied ist zu singen von den leeren
oder den ausverfchenkten Ronzertfälen, von der Ausbeutung
der hilstofen Unfähigkeit durch die gewisfenlofen Agenten?
!Vie fieht es vollends in der Seele der Gescheiterten aus, die
fich mit der trostlosen Lrkenntnis bescheiden, hinfort als ver-
kümmerte Vorftadt-Alavierlehrer von dem durch wechfelfeitiges
Unterbieten auf wenige bfungergrofchen herabgedrückten
> Stundenlohn leben zu müssen? Fürwahr, diefes »bfandwerk«

hat keinen goldenen Boden und heute weniger als je, heute,
wo auch die »gebildete Familie« allmählich sich zu der Ansicht
bekehrt, daß Turnen und Bewegungsfpiele für die gedeihliche
Lntwickelung des jugendlichen, durch den Schuldrill ohnedies
hart mitgenommenen Rörper doch etwas zuträglicher sind, als
die Anfchmiedung an die Tasten-bfackmaschine, welche die
Musikalischen zu Unmusikalifchen und die Unmusikalifchen zu
Anarchisten macht. So ist denn der Rampf um's Dasein für
den jungen Musiker, der einen Befähigungsnachweis für die
axpollinifche Laufbahn durch Berufnng auf den väterlichen
Geldfchrank nicht zu liefern im Stande ist, heutigen Tages
härter als je, und es kann gegenüber dem immer bedrohlicheren
Anwachsen der verfchämten und unverfchämten Lnterbten des
Rünstlertumes nicht oft und nicht eindringlich genug davor
gewarnt werden, den Aufmunterungen, wie sie die geladene
Zuhörerschaft in j)rüfungskonzerten fo freigebig zu gewähren
pstegt, eine allzu große tVichtigkeit beizulegen. lvas für den
Schüler von Bedeutung fein foll, was ihn allein dazu bestimmen
darf, feine endgültige Lntschließung bezüglich der Berufswahl
zu treffen, das ist das lVort der Lehrer. Ts giebt unter
diesen inmierhin zur Genüge solche, die mit der gleichen Ge-
wisfenhaftigkeit, mit der sie den musikalifchen Lharakter des
Unfertigen zur Stetigkeit heranzubilden fuchen, in der ent-
fcheidenden Stunde erwägen, ob der, fo gut sichs thun ließ,
Erzogene, nunmehr auch fähig fei, als Rünftler und Lehrer
felbst erzieherifch zu wirken. Besfer eine kurze Lnttäufchung
als eine endlofe 6)ual!"

,,Über Runst zu schreiben", fagt R. Muther in den
Münchner ,,Neuesten Nachrichten", ,,ist bekanntlich eine miß-
liche Sache. Man kann nicht alle Lefer, besonders nicht alle
aus dem Rreife der Rünstler zufriedenstellen. Sie werden
mit Unwillen manchen teuren Namen, darunter vielleicht auch
den ihrigen vermisfen oder wenigstens nicht gebührend anerkannt
sinden und werden auch den Standpunkt des »Rritikers« nur
felten teilen. Den Angehörigen der alten Schule wird es
doch immer fcheinen, daß das Neue zu fehr anerkannt, denen
der jungen Generation, daß das Alte nicht genug totgefchwiegen
und verurteilt werde. Solche Linfeitigkeit ist das natürliche
Vorrccht des Rünstlers. N)er künstlerifch fchafft, muß von
der Richtigkeit und dem U)erte desfen, was er felbst leistet
und anstrebt, innerlich durchdrungen fein, fonst ist er ein Lhar-
latan. Daraus erklären sich die fchroffen, widerfprechenden
Urteile, die gerade in Rünstlerkreifen über Runst gefällt
werden. Ls ist wahrhaftig den Alten nicht zu verdenken,
wenn sie Idee, Romposition und Farbenglanz noch heute über
Alles stellen und auf die neuen Bestrebungen mit ängstlichem
Abscheu hinblicken — kein Mensch läßt sich gerne lebendig be-
graben. Ls ist auf der andern Seite aber auch den Iungen
nicht übelzunehmen, wenn sie ins entgegengefetzte Lxtrem
fallen und alles Alte dem Untergang weihen — ein Tropfen
Vandalenblnt ist jugendfrischen, thatenlustigen Menschen ge-
wöhnlich beigemischt. Man kann die Abhängigkeit von den
unmittelbaren Vorgängern nicht brechen ohne die Überzeugung
daß ihr Linstuß schädlich oder doch überstüssig gewesen. Lin
solches fast an Überhebung streifendes Selbstbewußtsein hat
sich am Beginne einer jeden neuen Runstperiode wiederhol"
Die Renaissancemeister verachteten die Gotiker, die schnell
fchaffenden Maler der Barockzeit bedauerten die langfam ar-
beitenden älteren Genosfen, die Rlafsizisten am Anfange
unseres Zahrhunderts blickten geringfchätzig auf die vor ihnen
thätigen »Manieristen und Zopfmaler« herab, die ihnen im
wirklichen »Rönnen« doch fo fehr überlegen waren. lVarum
follte nicht auch heute das junge Gefchlecht an den Anbruch
eines neuen Tages glauben und demgemäß hinter sich nur

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