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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 22
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Kirchbach, Wolfgang: Poesie und Rhetorik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0322

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N<S-

nur die einfache wahrheit der Sache selbst ist. Das
nennen wir denn im vollständigsten Sinne poetisch ge-
sagt. Nhetorisch gesagt aber ist Lenaus Schilderung
des Lerchenflugs:

„An ihren bunten Liedorn klettert

Die Lerche selig in die Lnft;

Lin Iubelchor von Sängern schmettert

Im walde voller Blüt und Dust."

Lsier liegt das Rhetorische nicht etwa in dem Aus-
druck „klettert". Dieser an und für sich betrachtet
ist vielmehr durchaus poetisch, ist sehr glücklich, ent-
spricht ganz dem eigentümlichen Ausflug der Lerche,
die in jenen Schraubenlinien kreisend allmählich auf-
zusteigen scheint, so daß das Bild des Rletterns ein
naturgemäßes ist, welcbes durchaus dem Augenschein
und einer Art von Ännestäuschung entspricht, die wir
erleben, wenn wir den Aopf zurückgebeugt einer Lerche
nachschauen. Aber rhetorisch ist es im übelsten
Sinne, daß die Lerche an den Liedern klettert. Dies
ist eine abgekürzte Art die ^-prache zn behandeln, bei
welcher gar Nichts vorgestellt werden kann, bei welcher
insolgedessen gar kein ruhiges Genießen der Schilderung
möglich ist, sondern der Leser, dem das gesällt, sich
höchstens über den Sprachwitz als solchen ergötzt, ein
Lrgötzen, das mit der Sache selbst gar Nichts zu
thun hat.

Ls ist unter allen Umständen ebenso anschauungs-
los wie mechanisch gesagt, daß die Lerche an ihren
eignen Liedern klettert. So wie man sich die Sache vor-
zustellen sucht, kommt man auf den U'lünchhausen, der
sich an seinem eigenen Schopse aus dem Sumpfe
zieht. Uud den konnte er wenigstens noch anpacken,
während ein Lied ein Ding ist, an dem überhaupt
kein physikalischer Anhaltspunkt zu gewinnen ist. Ls
kommt dazu, daß in dem worte „bunt" sich abermals
ein sremder Vorstellungskreis in die Schilderung schiebt,
so daß die Metaphern fich gegenseitig stören und auf- !
heben. Schlecht ist das ganze Gedicht auch deshalb, s
weil der an sich treffliche Nergleich aus einer Uirche
im „Rlettern der Lerche" abermals zerstört ist, da
man in einem katholischen Dom keine Runstreiter an
den Decken zu sehen gewöhnt ist. Ls ist aber jene
Art, die wahren und solgerichtigen Norgänge der
Natur in eine physikalische Unmöglichkeit zu übersetzen,
welche so viele schlechte Dichter ausüben, die wahre
rhetorische pest, welche gar Nichts von poesie hat,
sondern einsach Unsinn ist. U)as würde man von
einem Wichelangelo sagen, dessen Gewandungen nicht
uach dem Gesetz der Schwere über seine Uiarmor- ^
bilder sallen und dieses Gesetz nachahmen?! was i
von einem Uialer, dessen Liguren schies stehen, weil
auch hier das physikalische Gesetz nicht beachtet ist?
Und der Dichter sollte das Necht haben, Lieder zu
Strickleitern zu machen, nur, weil es seiner Linbildungs-
kraft gefiel, statt eines Vergleiches eine verwechselung,
eine Vorstellungsverschiebung zu begehen?

Von solchen Vorstellungsverschiebungen wimmelt
es nun leider in deutschen Dichtungen. Die Lserren
glauben in sich die Fähigkeit zur j)oesie entdeckt zu
haben, sowie sie bemerken, daß sie mit Leichtigkeit
solche Vorstellungsverschiebungen und unvollständige
Denkthätigkeiten vornehmen können; sie reimen diese
unfertig gebliebenen Thätigkeiten ihrer Vorstellungs-
krast und nennen es Gedichte. Sie berusen fich aus

Lenau und Andere, während es bei diesem in der
That Fehler und Stümpereien sind, neben einer An-
zahl schöner und wahrhaftiger Gedichte.

Ähnlich steht es bei Lseine.

Die üppig wuchernde Nhetorik solcher Art bei
vielen österreichischen Dichtern erklärt sich wohl daraus
daß diese die deutsche Sprache überhaupt halb und
halb als eine fremde Sprache empfinden, wenigstens
das ^chriftdeutsche. Sowie sie in bairisch-österreichischer
Nlundart schreiben, ist auf einmal die Nhetorik weg,
und die Nosegger und Anzengruber sind wahrlich
wahrhaftigere Dichter, als so viele österreichische Lenau-
nachahmer. —

wie srei ist dagegen ein Uhland v0n jener Nede-
sälscherei! Und Gott sei Dank! er ist noch mehr
verbreitet, als Lseine. wenn wir die Sache der poesie
gegen die Nhetorik verfechten, so ist ja Gott sei's ge-
lobt! die „ssoesie" nicht der Standpunkt der ver-
kannten Genies.

Lin andres lehrreiches Beispiel aus Lenau:

Auf dem Teich, dem regungslosen,
weilt des Mondes holder Glanz,

Flechtend seine bleichen Rosen
In des 5chilses grünen Aranz.

Die „bleichen Nosen" sind durchaus poetisch. Rhe-
torisch ist aber das wort „flechtend". wieso?!
Leicht kann man Nachts den Schimmer des Nionds
aus dem Gewässer für entsernter schwankende Teich-
rosen ansehen; im Dunklen entsteht leicht eine solche
Täuschung und demgemäß ein Augenschein. will
nun Lenau jene geheimnisvolle Nachtstimmung aus-
drücken, wo man tastend und suchend die Gegenstände
verwechselt, so kann er mit poetischem Fug und Necht
von den „bleichen Nosen" des Ulondschimmers reden,
denn darin ist psychologische Notwendigkeit.
In der wendung „flechtend" liegt aber eine Ver-
mischung verschiedener vorstellungen. Dies Bild wäre
möglich, wenn etwa irgend ein alter Mondgott ge-
dacht wäre, der geheimnisvoll im Gewässer sitzt und
um sich jenen Nranz flicht. Das meint aber Lenau
nicht. Lr will jene erstere Stimmung zeichnen, die
weiteren Strophen des Gedichts ergeben das. Das wort
„flechten" ist immer mit der Vorstellung einer Hand ver-
knüpst, aus den übrigen Bedingungen, daß der Teich
„regungslos" ist, ergiebt sich aber die Unmöglichkeit des
worts. Lsätte Lenau gesagt:„streuend" seine bleichen Nosen,
so wäre das dichterisch gewesen; das kann nicht nur
der Nlond, sondern sogar der Glanz. Das wort
„streuen" entspricht dem Augenschein, weil jene
Schimmer verstreut über dem wasser sind, es ent-
hält zu dem keine so hervorstehende ssersonifikation
(die hier unmotiviert wäre) wie „flechten", denn auch
Bäume „streuen" Blüten, ohne deshalb Lsände haben
zu müssen u. s. w. — Nlan sieht, das Urteilsmaß sür
das Rhetorische liegt zuletzt immer in der Unwahrheit,
in der Verschiebung der Vorstellungen, in der geisti-
gen Undeullichkeit. Undeutlich! d. h. sowohl
unanschaubar sür die Linbildungskraft, wie unaus-
deutbar sür die Vernunst. Line Dichtung aber ist
und soll sein ein Lrzeugnis der vernunst, das vermittels
der Linbildungskraft wieder aus die ästhetische ver-
nunst des Ljörers wirkt. — Hier dagegen ein anderes

Gedicht Lenaus:

Sonnenuntergang:

Zchwarze wolken ziehn.

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