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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 23
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Seidl, Arthur: Das Jubiläumsfieber
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0336

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S.T-

-DsS

dem Leben einen Reiz abzugewinnen; so stürzen sich
auch die großen Ainder mit blinder wut auf einzelne
besondere Feste, welche dann die für das Übrige ent-
schädigenden üöhepunkte des ganzen Iahres abgeben
müssen. Und diesem kindischen Sinn, dieser weitver-
breiteten Genußsucht kommt der historische Geist uuserer
Zeit nun entgegen. Was dem edleren Menschen die
Lrhebung am schönen Schein, die versenkung ins
Rünstlerische ist, was dem historisch Denkenden das
„Sichoersetzen in den Geist der Zeiten" und die weihe
einer Säkularfeier bedeutet, das wird dem Alltags-
kiud uud Dutzendmeuschen — zur Zubiläumssucht,
zum Festfieber. Gr braucht ^»äkularfeiern, Schützen-
seste, Turnertage, Runst- und Zndustrie-Ausstellungen,
Festspiele und Muster-Aufführungen, kurz eiuschneidende,
außergewöhnliche Greignisse, sozusagen als „aktuellen
Stoff", um damit den täglich begangenen Gemein-
platz neu aufzupflasteru, um die erbärmliche Prosa
seines Alltagslebens, die nüchterne Gde seines poli-
tischen und sozialen Treibens einigermaßen zu ver-
gessen; er braucht sie, etwa wie der Nervenkranke
seine Raltwasserkur, weil er sich bei dem aufreibenden
und verzehrenden Leben unserer Tage an eine solche
alljährliche Aufrüttelung und gewaltsaine Trschütter-
ung seines Nervensystemes gewöhnt hat, weil ihm
der Alode-Artikel, das „^-ensationelle", das, „was
man gesehen haben muß, um auch mitredeu zu
können", zu eiuem schlechthin unentbehrlichen Bedürfuis
geworden ist. Und was das Schlimmste ist: er kommt
sich ungeheuer interessaut und bedeutend dabei vor;
er umgiebt sich selbst mit einem gewissen historischen
oder künstlerischen „Air", das ihn für Augenblicke
an seine eigene Missenschaftlichkeit und Tüchtigkeit
glauben läßt. Ulan braucht fa nur zu sehen, bis zu
welchem k^rrgott der deutsche Niichel, der biedere
pfahlbürger, bei Schützen- und Turnerfesten, U)ahl-
versammlungen und Gautagen, in nationalen Neden,
in von Loyalität oder Uunstsinn triefenden Trink-
sprüchen usw. sich selbst hinaufschraubt, uud wie das
Alles jedesmal in tausendstimmigen bsochs und Vivats
den kräftigsten wiederhall findet. Ts ist dies nicht
fene gesunde Stimmung, welche sich im freien Spiel
der Rräfte nur auf Grund eines gewissen Übermaßes
und Überschusses als feuer „Spieltrieb" regt, von dem
schon Schiller so herrlich zu uns gesprochen; es ist
auch nicht fene ruhige, leidenschafts- und willenlose
Betrachtung, welche sich an dem Schönen, Guten
und wahren erfreut, das auch schon die Dergangen-
heit besaß, das wir früheren Zeiten verdanken und
das wir nnt Bewußtsein und Dankbarkeit als unser
köstliches, rechtmäßig überkommenes Trbe „erwerben,
um es zu befitzen", nicht jene heilige, friedvolle „Sainm-
lung", welche auf die unheilige, unruhige „Zerstreuung"
folgen muß, wenn anders wir nicht in einem N)ust
von Arbeiten und Geschäften uns selbst und unser
Bestes verlieren wollen; es ist vielmehr der unauf-
haltsame Drang einer erschrecklichen Not, der sich
in diesem bsasten und Zagen als erneute Not aus-
spricht, der sich selbst dadurch zu übertönen sucht, daß
er das bessere Bewußtsein mittelst eines solchen ver-
fahrens zum Schweigen zu bringen trachtet; eine
Hohlheit, welche sich selbst mit einer thohlheit über-
brückt: dieselbe Nervosität nnd Trregtheit, welche sich
auch in dem Nennen und Hetzen auf den Straßen

unserer Groß-Städte ausprägt, sich in den Fabriken
und werkstätten, auf allen Derkehrswegen, im Handel
und wandel deutlich genug zu erkennen giebt.

Und damit haben wir noch nicht einmal jene be-
soudere Abart von Zubiläumsfieber näher berücksichtigt,
welche — ein echter Ausdruck der Bureaukratie —
neuerdiugs iu deutschei^ Landen gar arg zu hausen
beginnt. Gder haben wir es etwa noch nicht erlebt,
erleben wir es denn nicht fast täglich wieder, daß
Beamte und kVürdenträger nicht nur die üblicheu
2 5- uud 50-jährigen, sondern sogar schon 20- und
to-jährige Amts- und Dienstjubiläen begehen?
Nein vernünftiger N'lensch wird es absonderlich sinden,
wenn Lheleute oder andereStaatsbürger, an einem denk-
würdigen Abschnitt ihres Lebens angelangt, für einen
Augenblick in festlicher Ltimmung verweilen, über
das verflossene, ursprünglich Bezweckte und thatsächlich
Lrreichte einen kurzen, stärkenden, teils wehmütigen,
teils freudigen Nückblick zu halten. Ts ist dies eine
gute, alte, urgesunde Sitte, eine Art stiller Schau
uach inuen und weihevoller Betrachtung nach außen,
welche in ihrer inneren Sammlung und moralischen
Zusammenraffung dem wesen der künstlerischen
Nontemplation, als dem N'loment der „<Lrhol-
ung" und „Lrlösung" von der Rrankheit dieser
mühevollen welt, schon sehr nahe kommt. Nun be-
steht aber ein Unterschied zwischen privaten und öffent-
lichen Zubelfesten. Das eben ist das Bedenkliche,
daß diese Zubiläen zu öffentlicheu Lreignissen auf-
gebauscht werden, und daß sie, ist das erst geschehen,
einander förmlich zu jagen und in einer Meise
zu überwuchern beginnen, daß das Aufgehen in
der vergangenheit schließlich als die positive, das
Michten heischende, praktische Anforderungen stellende
Leben in der Gegenwart hingegen als die negative
^eite des Daseins aufgefaßt zu werden droht. Denn,
wohlgemerkt: sind erst einmal die Grundvesten der
Zahlen 25, 50 und too erschüttert, dann giebt es
auch keiue Grenzen, keinen Damm mehr, welcher die
maßloseste Zubiläumsflut noch einzudämmen ver-
möchte.

Unwillkürlich drängt sich uns da die Frage auf
nach dem Zustand, wie er wohl sein sollte, wie er
als idealer, wünschens- und erstrebenswerter gelten
könnte. Lrst jüngst ist in dem Aufsatze: „von der
Freude am Uunstwerk" in diesem Blatte auf die not-
wendige voraussetzung jsdes echten und wahren
Uunstgenusses hingewiesen worden. „Die Uunst soll
uns schauen lassen, was wir, verhindert durch die
Schwäche und Lnge uifferes geistigen Horizontes nicht
zu sehen vermögen" — sagt bsorvicz; „Lrweiterung
unseres weltempfindens" nennt es der Verfasser be-
sagten Aufsatzes. Zndem wir nun das wesen der
Zubelfeste dem U)eseu der Nunstbetrachtung unbedenk-
lich nahe rücken, erkennen wir auch von ihnen, was
dort von den Nunstwerken gesagt ist: nicht Nennt-
nisse (in nnserem Fall also historische Nenntnisse)
sollen sie verbreiten, sondern vielmehr ein tieferes
Schauen eröffnen, das Seelenleben erweitern,
ein Nachempfinden und Nachdenken ermöglichen, das
eine Bereicherung unserer weltbetrachtung mit neuen
Anschauungen durch geistigs Zusammenfassung und
intuitive Betrachtung bedeutet. So dürfen wir denn
im Allgemeinen wohl sagen: Zubiläen werden ihre



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