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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 23
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0338

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des vergnügens versührt ihn zu den größten Un-
geheuerlichkeiten. So steht S. 94 folgende psycho-
logische Deutung: „wenn die Bibel Gott mit dem
worte schaffen läßt, so ist dies eine wünschenswerte
vergnügliche vorstellung: wir wünschten solche Blacht
zu besitzen." Dies bildet die Lrklärung sür die
Lrhabenheit der vorstellung!

So sehr also Scherer sich durch die Anerkennung
der empirischen Methode aus einem ihm neuen Ge-
biete als weitblickenden Gelehrten gezeigt hat, so wenig
ist es ihm mit Lsilse derselben gelungen, irgend ein
nennenswertes Grgebnis zu erarbeiten. Ia, durch
Trivialitäten, wie die oben erwähnten, und durch die
lediglich geistreichelnde, nichts zum wesen der Sache
beitragende Linsührung von nationalökonomischen
Begriffen, wie „Tauschwert" der poesie, schadet er
nur dem Lmpirismus, indem sür dessen Gegner solche
in der That „rohe" Uileinungen die willkommensten
Angriffspunkte bilden. A7an dars aber eben nicht
die Methode selbst, deren Verläßlichkeit durch die
Leistungen anderer Männer erwiesen worden ist, sür
Lehler und Irrtümer verantwortlich machen, die allein
aus der Unzulänglichkeit der diese !Nethode hand-
habenden wissenschastlichen Rraft entsprungen sind.

Alexander Anders.

* „Dle nationale Strömung in der dentseben
Attterntur" bespricht A. Fokke (Gegenwart
indem er Ansichten vertritt, die wir dem wesen
dieser parteilosen Uundschau entsprechend, nun auch
einmal wiedergeben müssen, nachdem wir den Der-
tretern anderer Meinungen das wort zum Ofteren
gegeben haben. „In srüheren Zeiten haben große
Geister den Gedanken gehabt, durch die j)oesie eine
Linheit des Ltaates heraufzusühren: wenn sie damit
auch Unrecht hatten, so hatten sie doch an ihrem
Teile zu seiner verwirklichung beigetragen. Ietzt ist
der Staat da, und im wesentlichen kann die deutsche
Dichtung keine andere Ausgabe haben als früher,
das heißt: in der unveränderten Lage nach ZUaßgabe
der ihr innewohnenden Rräfte sür seine weiterent-
wickelung Sorge zu tragen. <Ls bedarf nicht immer
und überall hoch-dithyrambischer, patriotischer Lrgüsse,
nicht immer aus den Lsöhen des Himmels herabge-
holter Betrachtungen, auch die mittleren Lagen des
Lebens bieten Ltoff genug zu poetischer Gestaltung.
Dabei kommt es vor Allem aus die Beobachtungs-
gabe und die Art an, wie der Dichter das Beobachtete
durch seinen Geist gehen läßt und es in bestimmter
individueller Färbung wieder aus sich herausstellt.
Tin anderes Trsordernis ist, und man kann das nicht
genug betonen, der Fleiß, und zwar immer wieder-
holter, unabläsfiger Fleiß. Man spricht so gern vom
Genius des Dichterr, und ohne Zweifel ist es was
Schönes, wo in wirklichkeit ein solcher vorhanden
ist, aber noch niemals ist selbst das Genie ohne Ar-
beit sertig geworden. Zch glaube, daß in dem an-
geregten j)unkte eines der Lsauptübel verborgen liegt,
an welchem unsere Litteratur krank ist. Zndeß auch
hier darf die Schuld nicht so sehr auf die Dichter,
als aus die Umstände geworfen werden. Gs ist nicht
möglich, daß unsre Schriststeller ihre Arbeiten bis zu völliger
Beife austragen, wenn Ronkurrenz und herbe Sorge um
das tägliche Brot zu überhastender Tile antreiben." „Rla-
gen und abstrakte Abhandlungen über nationale j)oesie

usw. können uns nicht von der Stelle bringen. „Lessing
schrieb, um den übermächtigen Linfluß der Franzosen
zu brechen, nicht bloß seine Dramaturgie, sondern auch
mustergiltige Theaterstücke. Macht sich das Übergewicht
dieses volkes auch jetzt wieder geltend, so sind unsere
Schriststeller dem gegenüber in keiner andern Lage,
als die deutschen Gewerbtreibenden angesichts der
sranzösischen Zndustrie. Mannhafte Arbeit erkämpft
sich auch hier den nationalen Boden, und eben durch
diesen Uamps wird sie die nationalen Gesichtszüge
erhalten." „Noch mehr, als im Hang zum Franzö-
sischen soll der unsern litterarischen Zuständen an-
hastende Schaden in der vorliebe sür das griechische
Altertum beruhen. Nach der Meinung vieler, die
sich zu einem Urteil berufen fühlen, ist eben diese
vorliebe eine von den von außen in unser L^ben
hineingetragenen Gewalten, welche der Linigung
unserer litterarischen Rräste entgegensteht. Die Antike
ist der Alb, der auf unserm Runftleben lastet, der
uns nur zu gepreßten, manirierten Lauten kommen
läßt, den sreien und srischen volkston zurückhält.
Gegen nichts erschallt augenblicklich der Hall der
Rriegstrompeten lauter und feindseliger als gegen den
Hellenismus, der nach der !Neinung seiner Gegner
eine ins Nkaßlose übertriebene ssflege bei uns findet.
Diese soll denn auch im Besondern der Sprache im
deutschen Schauspiel jeiren zwar glänzenden, aber im
Grunde kalten und erkältenden Ton verleihen, der
den weg zum Herzen des volkes nicht zu finden ver-
mag und darum das Haupthindernis bildet, weshalb
wir zu einem wahrhaft nationalen Drama nicht durch-
dringen können." (wer versteigt sich zu dieser Be-
hauptung?) „Und solche Sprache sührt man, nachdem
erst vor wenig mehr, als hundert Zahren, winkel-
mann uns das verständnis der altgriechischen Runst
erschlossen hat, nachdem Göthe aus seinen itatienischen
Neisen erkannte, daß das eigentliche wesen der antiken
s)oesie auf der unmittelbarsten sinnlichen Anschauung
beruhe." „Gleichwohl, daß auch nach dieser Seite
hin ein Ankämpfen gegen das Zuviel berechtigt ist,
wird Niemand leugnen," aber deshalb dars noch nicht
das Rind mit dem Bade ausgeschüttet werden. „Zn
welcher weise sich antike Runst und wissenschaft be-
sruchtend sür unser nationales Leben erwiesen hat, dar-
über ein wort zu verlieren, wäre mehr, als überflüssig.
Nichts, außer dem Thristentum, ist jemals unserm
wesen kongenialer gewesen, hat sich leichter und
tieser mit demselben vereinigt, als der geistige Gehalt
Griechenlands." „Bei aller Begeisterung sür das
Lchtdeutsche scheint man doch nur eine geringe Mei-
nung von der ihm innewohnenden Rraft zu haben,
wenn man so sehr alle Beschästigung oder Berührung
mit dem Fremden sürchtet." „Das ist sreilich wahr:
die griechische Muse hat etwas vom Blicke der Gorgo.
wer kein klares Auge, kein sestes Herz hat, den
schlägt sie in starre Bande, aus denen er sich schwer
zu lösen vermag. Aber wer durch Anschauung nicht
in verwirrung gerät, wer durch die äußere Starrheit
in das dahinter pulsierende warme Leben durchdringen
kann, über den kommt es wie eine Lrlösung, und
wer schon den sreien Geistesflug hat, dem wird die
Schwungkraft erhöht. So ist es bis dahin in Deutsch-
land gewesen. während unserer nationalen Lrnie-
drigung hat der deutsche Volksgeist den griechischen

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