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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
No. 153 - No. 160 (1. Juli - 11. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44142#0009

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Kärger

VeEndigungsblatt mrd Anzeiger

Heidelberg, Sonntag, 2. Jnli

Die,Mürgerzeitung"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei

Expeditton:
HavptstratzeSS

18S3.
—— o

Avormementspreis
für Heidelberg: monatl. 4V Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
vicrteljährl. Mk. t.— obnc Zustellgeb.
ZnsertionspreiS: 10 Pf. für die 1-spalt-
Pctitzcile od. deren Raum. Fist locale
Geschäfts- u. Privatamcigcn k» Pf.
Expedition:
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Neu hinzutretende Abonnenten erhalten die „Bürger-
Zeitung" bis Ende des Monats unentgeltlich.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
* Weue Hesichtev.
Der nunmehr gewählte neue Reichstag wird bei
seinem Zusammentreten eine ganz ungewöhnlich große
Anzahl bisher in den Reihen der Reichsboten noch un-
bekannter Gesichter zeigen, denn die Zahl derjenigen Ab-
geordneten, die zum ersten Male in die parlamentarische
Arena treten, war bei keiner vorhergegangenen Wohl so
groß, wie diesmal. Unter denen, deren Plätze jetzt
diese Neulinge einnehmen, befinden sich sehr viele alte
bewährte parlamentarische Kämpen aller größeren Parteien,
mit Ausnahme der Sozialdemokraten, deren Führer sämmt-
lich wiederkehren. Durch freiwilligen Verzicht, oder durch
die Wandelbarkeit des Wahlglückes und durch die inner-
halb einzelner Parteien eingetretenen politischen Ver-
schiebungen sind die Träger der bekanntesten Namen aus
dem parlamentarischen Leben ausgeschieden. Männer wie
v. Helldorff, Ackermann, Graf Stolberg, Stöcker, Hart-
mann fehlen den Conscrvativen, die Reichspartei vermißt
den Fürsten Hatzfeld, Grafen Behr, daS Centrum den
Grafen Ballestrem, Freiherrn v. Huene, Grafen Preystng,
Dr. Porsch, die Freis. Bamberger, Hänel, Hintze, Stauffen-
berg, Virchow, Brömel, Gutfleisch, Schrader, die National-
liberalen Herrn Oechelhäuser und Dr. Buhl. Man mag
politisch zu den Einzelnen stehen, wie man will, — es
waren jedenfalls Männer, die ihren Parteien einen ge-
wissen Charakter ausgeprägt und nicht nur das politische,
sondern auch das Bildungsniveau der Volksvertretung
wesentlich beeinflußt und markirt haben. Den Meisten
war auch neben ihren speeiellen Kenntnissen eine über das
gewöhnliche Maß hinausgehcnde politische und parlamen-
tarische Erfahrung eigen und die hier und da laut werdende

Befürchtung, daß das allgemeine Niveau des Reichstages
durch das Ausscheiden zahlreicher bekannter Parlamentarier
sinken werde, ist nicht ohne Weiteres abzuweisen. Erft der
Erfolg kann zeigen, ob unter den neuen Männern sich
Talente finden, die den Einen oder Anderen ersetzen
können. Es liegt in den älteren Parlamentariern, die,
mögen sie nun Führer heißen oder nicht, doch in der
eigenen und auch bei anderen Parteien Ansehen und
Einfluß genießen, die Gewähr für eine gewisse Tradition
der Behandlung politischer Dinge und des parlamen-
tarischen Geschäftsganges bieten. Diese Gewähr ist stark ver-
ringert und man muß annehmen, daß der neue Reichs-
tag sich in der sachlichen Behandlung politischer Fragen
und noch mehr in der Form von seinen Vorgängern
unterscheiden wird. Wie sehr auf den Ton der Debatten
und auf den Geschäftsgang ein einzelnes Individuum
einwirken kann, das hat das Auftreten Ahlwardt's gezeigt.
Vielleicht sind aus der Wahlurne unter den neuen Männern
ähnliche Talente hervorgcgangen und Herr Ahlwardt bleibt
zukünftig nicht eine so vereinzelte Erscheinung, wie er es
bisher war- Maßgebend für das äußere Auftreten des
Reichstages und für den Ton der Verhandlungen ist im
hohen Grade der erste Präsident; aber auch dieser ist von
der Stimmung und dem Charakter nicht nur der Mehr-
heit, sonder auch einzelner Parteien bei der Handhabung
der Geschäftsordnung wesentlich abhängig. Herr v. Levetzow
ist gerade in den Ahlwardt-Debatten vielfach weiterge-
drängt worden, als er gewollt hat, und seine Widerstands-
kraft würde in dem Maße schwächer werden, als die
Liebhaberei für das Auftreten Ahlwardt's wächst. Vielleicht
wird es bald heißen: neuer Reichstag, neue Sitten. Die
erste, wenn voraussichtlich auch kurze Tagung des Reichs-
tages dürfte immerhin manches Anzeichen von der Anwesen-
heit neu aufgehender parlamentarischer Sterne geben,
warten wir also ab.
Deutsches Reich.
Karlsruhe, 1. Juli.
— Ihre König!. Hoheiten der Großherzog und
die Frau Großherzogin begeben sich heute zu vier-
zehntägem Aufenthalt nach St. Blasien, und von dort
nach Schloß Mainau. Der Großherzog hat wie bekannt
auch im vorigen Jahre mit bestem Erfolg in St. Blasien
verweilt. — Der Erbgroßherzog hat sich mit dem
commandirendcn General v. Schlichting nach Konstanz
begeben, um in Bregenz der Vereinigung von Officiren
der Bodensee-Uferstaaten theilzunehmen. Die Stadt be-
reitete dem Ebgroßherzog einen festlichen Empfang.
— Kaum sind die Reichstagswahlen vorüber, so geht
es schon an die Anbahnung der Landtagswahlen.

Es treten mit dem 1. Juli 31 Mitglieder aus, un
außerdem tst eine weitere Wahl verfassungsmäßig vorzu-
nehmen für den während seiner Mandatsdauer beförderten
Professor Dr. Heimburger, der den Bezirk Lahr-Land ver-
tritt. Von den größeren Städten hat nach der Be-
stimmung des Loses Karlsruhe seine drei Vertreter neu
zu wählen: Lamey, Kiefer (Landgerichtspräsident in
Konstanz) und Stadtrath Hofmann. Lamey hat bei
seinem letzten Präsidialabschied erklärt, daß er wegen
seines hohen Alters der parlamentarischen Thätigkeit ent-
sage. Pforzheim, Freiburg, Heidelberg und Mann-
heim haben je einen Verirrter für Wittum, Rau Blum
und Präsident Bassermann neu zu entsenden.
— Die heute versammelte Commission befürwortete
bezüglich der Futternoth: Stundung der Ankaufspreise
bis Martini 1894, weitere Frachtminderung, sowie Sicherung
genügender Vorräthe.
Berlin, 1. Juli.
— Die neue Milit ärv o r la g e ist dem Bundes-
rathc bereits zuge angen. Sie hat denselben Umfang und eine
ebenso kurz gehaltene Begründung, wie die frühere Vor-
lage. Von einer Veröffentlichung vor dem Erscheinen
des Reichstages wird abgesehen werden.
— Mit der bevorstehenden Präsidentenwahl
im Reichstage beschäftigt man sich bereits. Herr
v. Levetzow dürfte als erster Präsident wiedergewählt
werden. Die beiden früheren Vicepräsidenten Graf
Ballestrem und Dr. Baumbach gehören dem neuen Reichs-
tag nicht mehr an. Daher dürfte der erste Viceprästdent
aus dem Centrum genommen werden und der zweite Vice-
präsident aus der nationalliberalen Partei, als der dritt-
stärksten Partei des Hauses. Als Centrumscandidaten
werden genannt Frhr. v. Heeremann, der allerdings schon
Viceprästdent im Abgeordnetenhause ist, nnd Frhr. v.
Buol. Die nationalliberale Pattei dürfte, früherer Ge-
pflogenheit entsprechend, wohl wieder einen Süddeutschen
als Candidaten Vorschlägen. Von den acht Schriftführern
des aufgelösten Reichstags sind nur drei wiedergewählt
worden, Freihr. v. Buol, Merbach und Dr. Hermes.
Die fünf anderen, Graf Kleist-Schmenzin, Wichmann,
Schneider-Hamm, Schmidt-Elberfeld und Dr. Porsch, ge-
hören dem neuen Reichstage nicht mehr an. Dagegen
sind die Quästoren Dr. Böttcher und Rintelen auch Mit-
glieder des neuen Reichstages.
— Bezeichnend für die Stimmung in freis.
Kreisen ist ein Leitartikel der „Voss. Ztg." der u. a. be
sagt : Das Schicksal der Militärvorlage sei durch die
Wahlen entschieden. Dabei sei eS müssig, den Kampf
gegen den Antrag Huene mit Eifer wieder aufzunehmen z

Erinnerungen eines Scharfrichters.
Freie Uebcrsctzung aus dem Französischen von A. K-
Der Riegelerbrecher.
3) (Schluß.)
„Ja, ja, auf das Schaffet mit ihm!" riefen viele
Stimmen.
Baptiste Tape-ü-mort wurde auf den Marktplatz ge-
tragen und auf das Gerüst gehoben. Dort ergriff ihn
Charles bei den Haaren und mit Hilfe feiner Knechte
wurde er auf den Bock gelegt. In diesem Augenblicke
schien er seine Stimme wieder zu erlangen.
„Gnade! —Gnade! ich will reden", sprach er „nicht
den Tod - - ."
Der Scharfrichter glaubte diesen traurigen Augenblick
eines Sterbenden, welcher den letzten Streich erwartet,
abkürzcn zu müssen und zum ersten Male löste er mit
zitternden Händen das Seil.
Das Messer zischte wie eine ausgehungerte Schlange.
Eine Stunde später lag der Scharfrichter mit seiner
treuen Gattin Dorothea in seinem Hause auf den Knieen
und betete für die Seele des Getödteten und erst in später
Abendstunde konnte er nach so vielen Aufregungen den
beruhigenden Schlaf finden.
4.
Charles hatte seit mehreren Stunden geschlafen, als
er glaubte, plötzlich etwas Hartes über seinem Kopse hin-
fahren zu spüren; als sich dieses Gefühl wiederholte, griff
er mit den Händen zu und erfaßte eine menschliche Hand.
„Wer da!" rief er entsetzt.

Keine Antwort erfolgte, aber ein kräftiger Arm hob
ihn aus dem Bette, schleppte ihn zum Fenster und bei
dem bleichen Scheine der Gestirne erkannte Charles zum
Entsetzen — Baptiste Tape-ü-mort, dem er vor einigen
Stunden selbst das Haupt vom Rumpfe getrennt hatte.
„Stille", sprach er, „Henker, keinen Lärm gemacht."
„Bist Du denn der Teufel?" rief der Henker.
„Vielleicht, aber ich will von heute an Eremit werden
und Du kannst dem Himmel dafür danken, Henker, denn
sonst würde ich heute meinen Stahl in Dein Herz ge-
stoßen haben, um Dir die Lust zu benehmen, mir den Hals
abzuschneiden, — aber ich bin ein guter Kerl und es kommt
nur auf Dich an, wenn Du Dein Leben retten willst.
Wir sind allein, wenn Du von der Stelle weichst, tödte
ich Dich, wenn Deine Frau aufwacht, tödte ich sie eben-
falls, —. sei gcscheidt und rede leise.
„Befiehl!" sprach Charles halbtodt vor Schreck, „wenn
die Tobten aus ihren Gräbern steigen, müssen die Menschen
gehorchen."
„Das ist gut", sprach Baptiste, „gib mir Deine Be-
stallung als Scharfrichter, Deine Familienpapiere und
Deine Korrespondenz."
„Hier".
„Gut! Nun gib mir noch einen passenden Anzug,
nichts Auffallendes, einen Ob.rrock, Stiefeln und einen
Mantel."
„Nimm die Kleider hier über diesem Stuhl."
„Allons, Henker, mein Freund, sei mein Kammer-
diener, denn es ist dunkel und die Zeit drängt. Jetzt
führe mich zur Wiege Deines Sohnes."

Bei diesen Worten sträubte sich das Haar Charles zu
Berge; er führte seinen schrecklichen Besuch zu dem Kinde,
das ihm Gott vor wenigen Monaten geschenkt hatte.
„O, sagte die Erscheinung, das Kind ist gesund und
wird wohl am Leben bleiben, nur wenn Du redest soll es
sterben. — Schwöre mir bei dem Haupte dieses unschul-
digen Kindchens, Niemanden etwas zu sagen, was unter
uns vorgegangen ist."
„Ich schwöre bei meiner Seele und bei der Seele
meines Kindes!" rief Charles.
„Adieu."
Nach diesen Worten hörte Charles die Thüre öffnen
und schließen mit Hilfe eines Nachtschlüssels — dann
ließen sich Schritte hören auf der Straße und Alles war
ruhig-
„Charles," rief Dorothea nach einigen Augenblicken,
„was fehlt Dir, Du zitterst wie ein Fiebernder."
„Es ist nichts," gab Charles zur Antwort, „ich hatte
einen Traum, einen schrecklichen, fürchterlichen Traum.
5.
Zehn Jahre später empfing Charles folgenden
Brief:
„An den Herrn Scharfrichter der Stadt Tours-
Baptiste Tape-ü-mort entbindet Dich Deines Schwures.
Er ist nach Italien gegangen und lebe dort seit zehn
Jahren als ehrlicher Mann. Es ist nicht Baptiste ge-
wesen, der durch Deine Hände auf dem Schaffet endete,
sondern sein Bruder- der eine seltene Aehnlichkeit mit
ihm hatte und ihm stets bei seinen Verbrechen behilflich
war. Als Baptiste in Ketten lag, verließ sein Bruder
Lucian den Ort, wo er in Garnison stand, gab sich ver-
 
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