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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Juli bis Dezember)

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No. 261 - No. 270 (4. November - 15. November)
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Nummer 261.

Aerrev

Samstag, 4. November 1893.


* -----K
Abonuementspreisr
mit Sstitigcm illustrirtein Sonntagsblatt^ monatlich
35 Pfennig frei in'S Haus, durch die Post bezogen
vierteljährlich 80 Pfennig ohne Bestellgeld.
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Expedition: Kauptktrclße Wr. 25.

für Heidelberg und Umgegend
(Mürger-ZeiLung).


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Jnsertionspreiör
die lspaltige Petttzeile oder deren Raum 5 Pfg.,
für auswärtige Inserate 10 Pfg., bei öfterer Wieder-
holung entsprechender Rabatt.
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Expedition: Anuptstraße Mn. 25.

Gelesenstes Blatt in Stadt u. 21,nt Heidelberg und Ningegend. Grsfzter Lrfslg für Inserate.

IM" Erstes Blatt. "WU

LsvtrVähtend
werden von allen Postanstalten, Landbriefträgern,
unseren Agenten und Trägerinnen Abonnements
entgegengenommen.

Deutsches Reich.
Berlin, 3. November.
— Der „Reichsanzeiger" schreibt: Dem ener-
gischen Eingreifen der Behörden ist es gelungen,
die Cholera üherall, wo sie sich zeigte, so erfolg-
reich zu bekämpfen, daß nur noch ganz vereinzelte
Fälle verkommen. Gemäß eines Beschlusses der
Cholerakommission und des kaiserlichen Gesundheits-
amtes werden daher von jetzt ab nur zweimal
wöchentlich, später nur einmal wöchentlich die
neu vorgekommenen Cholcrafälle veröffentlicht werden.
— Die „Kreuz-Ztg." schreibt, ein Vertreter der
Reichsrcgierung habe sich geäußert, der Reichstag
müsse die Folgen seiner Beschlüsse tragen. Nament-
lich könne er sich nicht den Folgen der Handels-
verträge entziehen. Es müsse Geld geschaffen
werden für die Ausfälle, die die Handelsverträge
mit Oesterreich und Italien verursachen, und die
mindestens 40 Millionen betragen.
— Zur Verzinsung ver R e i ch s s ch u ld
dürfte für das Jahr 1894—95 ein Mehrbetrag
von 5 Millionen Mark gefordert werden.
— Das „Militärwochenblatt" veröffentlicht die
Ernennung des Erbprinzen von Sachsen-Meiningen
zum Kommandeur der 22. Division. Die 22.
Division in Kassel kommandirte bisher General-
lieutenant Friedrich Eugen Prinz von Hohenzollern,
der an die Stelle des verstorbenen Kommandirenden
des III. Armeekorps, Generals von Versen trat.
— Wie das „Deutsche Kol.-Bl." mittheilt,
sind in letzter Zeit in Bagamoyo wieder Ge-
rüchte verbreitet gewesen, wonach Emin Pascha
in Niangwe gesehen worden sein soll, ohne daß
man den Ursprung dieser Gerüchte hat bestimmt
Nachweisen können. Mariano, dem langjährigen
Begleiter Emin Paschas, ist über den Aufenthalt
desselben nichts bekannt. Ucber diese Frage hat
sich auch Stokes in einem von Uffongo, den 16.
Dtai d. I., datirten Briefe geäußert. Danach
hat er in Bukube, innerhalb des Gebietes der
Zwerge, noch einen eigenhändigen Brief des
Paschas vom 6. Okt. 1892 gesehen und dort ge-
hört, daß Emin mit dem Araber Sef bin Abedi
zusammen Kilonga Longa verlassen und sich nach
dem Kongo gewandt habe. Stokes hat diese Mit-
teilungen nach seiner Ankunft an der Küste münd-

lich noch dahin ergänzt, daß er sich bis in den
Dezember hinein nicht weit von dem Orte aufge-
halten habe, wo nach Tippu Tipps Nachrichten
die Ermordung des Paschas stattgefundcn haben
soll; er will aber nichts davon erfahren haben.
Er ist deshalb der Ansicht, daß die Nachricht nicht
richtig sein könne, da ihm ein solches Ereigniß
jedenfalls hinterbracht worden wäre.
Karlsruhe, 3. Nov. Der Großherzog
hat zum Präsidenten der Ersten Kammer den
Prinzen Wilhelm, zu Vizepräsidenten den
Frhrn. Franz v. Vodman und den Geheimen
Kommerzienrath Diffeno ernannt. — Die
Kammern treten am 22. Nov. zusammen.
München, 3. Nov. Im Abgeordneten-
hause erklärte Finanzminister Frhr v. Riedel,
durch die Beseitigung der sogenannten Liebesgabe
an die Spiritusbrenner würden die kleinen und
mittleren Brennereien infolge des Wettbewerbs
untergehen, das Großkapital allein zum Betrieb
übrig bleiben und den Spirituspreis so diktiren,
daß die auf den Spiritus angewiesenen Jndustricen
schwer geschädigt würden.
Straßburg, 3. Nov. Die elsässischen Blätter
verlangen eine Amnestie für alle Personen, die wegen
Futternot h sich Forstfrevel zu schulden kommen
ließen und bestraft wurden. Die Futternoth recht-
fertigte die begangenen Forstfrevel.
Ausland.
Madrid, 3. Nov. Infolge der Nachricht, daß
in Marseille eine Versammlung von Spaniern
glückliche Erfolge in Marokko wünschte und gegen
die Haltung der englischen Presse protestirte, sollte
ein Meeting veranstaltet werden. Da die Ge-
nehmigung der Regierung nicht eingeholt worden
war, wurde das Meeting aufgelöst. Infolge dessen
sanden Abends in den Straßen von der Präfektur
bis zur französischen Botschaft Kundgebungen statt.
Die Gendarmerie gab mehrere Schüsse ab. Drei
Gendarmen erlitten Verletzungen. Vor der fran-
zösischen Botschaft wurde eine größere Anzahl von
Gendarmen aufgestellt, um die Annäherung der
Kundgeber zu verhindern. 23 Personen sind ver--
haftet, darunter ein gewisser Emilio Prieto, Direktor
eines republikanischen Blattes.
Madrid, 3. Nov. Nach Nachrichten aus Me-
lilla stellte die Artillerie das Feuer Morgens um
10 Uhr ein. __
Aus WuH und Jenr.
Amtliches.
Versetzt wurde: Amtmann Dr. Fr. Mallebrein
in gleicher Eigenschaft nach Heidelberg
* Karlsruhe, 2. Nov. Jener Einbrecher, der
im August einem Pfandleiher in der Schützenstraßc
verschiedene goldene und silberne Uhren, Armbänder

und Ringe in hohem Werthe gestohlen hatte, ist
nunmehr in der Person eines 16 Jahre alten
Blechnerlehrlings aus Großingersheim eruirt wer
den. Derselbe hat außerdem vor einigen Tagen
einem Karousselbesitzer in Palmbach aus dessen
Wagen den Betrag von 1600 Mark entwendet,
von welchem Gelde er bei seiner Verhaftung noch
1467 Mark im Besitz hatte.
* Karlsruhe, 3. Nov. In Durlach-Stadt
wurde heute Privatmann Karl Eglau mit 34
Stimmen zum Abgeordneten gewählt. Auf Bürger-
meister Steinmetz, gleichfalls nationallibcral, ent-
fielen 13 Stimmen.
* Ketsch (A. Schwetzingen), 1. Nov. Vor-
gestern erhängte sich in dem nahe dem Orte gelegenen
Weidengebüsche, in dem sogen. Pfalz-Wörth, der
verwittwete K. R. von hier. Ungünstige Ver-
mögensverhältnisse mögen der Grund zu dem
Selbstmorde gewesen sein.
* Wiesloch, 3. Nov. Es interessirt gewiß
viele Leser, zu erfahren, daß dieser Tage ein Wies-
locher, Herr Kunstmaler Franz Waüischeck, die
große goldene Medaille von der Akademie der Künste
und Wissenschaften in Paris für ein in München
ausgestelltes Gemälde erhalten hat. Es ist dies
die größte Auszeichnung, die von französischer Seite
einem Künstler zu Theil werden kann. Unsere
Stadt darf stolz sein, auf dieses junge hervor-
ragende Talent.
* Zuzenhausen, 2. Nov. Heute war hier
der Bürgerausfchuß versammelt, um über die Er-
bauung eines BezstrksspitalcS in Sinsheim
zu berathen, bezw. über den Anschluß zu einem
Bezirksverband sich auszusprechen. Von 19 er-
schienenen Ausschußmitgliedern stimmten 15 dafür
und 4 gegen das Projekt.
* Eberbach, 2. Nov. Eine seltsame Ueber-
raschung wurde gestern den Passagieren des um
2 Uhr 26 M. hier eingetroffenen Zuges auf der
Strecke Zwingenberg-Eberbach zu theil. Der Zug
wurde plötzlich gebremst und Alles eilte, etwas
Schlimmes ahnend, an die Fenster, um die Ur-
sache der unerwarteten Unterbrechung der gewöhn-
lichen Fahrgeschwindigkeit zu erforschen. Der
Schrecken verwandelte sich aber bald in allgemeine
Heiterkeit, denn ein dickes, fettes Borstenthier sah
man — ob lustwandelnd oder mit Selbstmord-
gedankenumgehend, konnse nicht ergründet werden
— in dem Geleise dem Zuge vorauseilen. Dem
Lokomotivführer blieb schließlich nichts anderes
übrig, als den Zug vollends zum Stehen zu
bringen. Von Ferne sah man den Eigenthümer
herbeieilen und sein liebes Vieh in Empfang
nehmen. Vergnügt bedankte sich der Bauer bei
dem Lokomotivsührer und trollte von dannen.
* Bruchsal, 3. Nov. Die Polizei hat einen
guten Fang gemacht. Zwei Handwerksburschen,

hatten im Gasthaus zum „Wolf" hier einen Diebstahl
ausgeführt und sich alsdann schleunigst aus dem
Staub gemacht. Der Wirth und einige gerade
anwesende Gäste setzten den Spitzbuben nach und
erreichten dieselben, als sie gerade mit dem Zug
nach Germersheim abdampfen wollten. Ein am
Bahnhof anwesender Schutzmann verhaftete die
Beiden und transportirte sie unter Mitwirkung
der oben erwähnten Männer zur Polizeiwachtstube,
doch vor der Thürc nahm der Eine Reißaus und
rannte in das Sackgäßchcn beim Wolf. Auf der
Suche nach einem Ausweg gericth er in den Stadt-
graben, konnte sich aus dem Schlamm nicht mehr
emporarbeiten und war schließlich jedenfalls froh,
als ihn die Polizei aus der Falle herausschaffte
und in's Amtsgefängniß verbrachte. Die Ver-
hafteten — zwei Müller — sind ganz gefährliche
Kunden, auf welche wegen verschiedener Diebstähle
von der Polizei schon längere Zeit gefahndet wird.
" Leopoldshafeu A. Karlsruhe, 3. Nv. Seit
voriger Woche herrscht hier wieder die Diptheritis und
hat in 2 Tagen in einer Familie 3 Kinder im
Alter von 8, 7 und 5 Jahren als Opfer gefordert.
Viele Kinder liegen an dieser Krankbeit darnieder.
* Freiburg. 3. Nov. Von einem Schlagan-
fall wurde im Wiener Cafe dahier Bierbrauer
Berger von Altbreisach betroffen und war sofort
todt. — Vorgestern waren in einer Fabrik drei
Arbeiter mit Einrichtung einer elektrischen Beleuch-
tungsanlage beschäftigt, als plötzlich der mit Benzin
gefüllte Löthapparat explodirte und hierdurch einer
der Arbeiter mehrere leichte Brandwunden im Ge-
sicht, der andere dagegen eine schwere Verletzung
an der Hand erlitt, wäbrend der dritte, ohne selbst
Schaden zu nehmen, mit verbrannten Kleidern
davonkam.
* Heilbronn, 2. Nov. Der hiesige Gemeinde-
rath beschloß heute die Absendung einer Eingabe
an die württembergische Staatsregierung, in welcher
gegen die geplante Reichsweinstcuer Stellung ge-
nommen und um deren Ablebnung gebeten werden soll.
* München, 3. Nov. Gestern Nacht wurde
in Tegernsee eine Dynamit-Pairone in das Förster-
haus von Egern geschleudert. Dieselbe erplodirte
und richtete im Zimmer großen Schaden an. Ver-
letzt wurde Niemand. _
Lokale Wittheilungen
aus Stadt und Amt Heidelberg.
Heidelberg, 4. November.
O Vom Ratfthausc. In der Stadtraths-
sitzung vom Donnerstag wurden u. a. folgende Gegen-
stände zur Kenntnis? bezw. Erledigung gebracht: 1. Nach
dem Geschäftsausweis der Verrechnung der städt. Spar-
kasse wurden bei dieser im vorigen Monate 1266
Einlagen mit zusammen 238421 Mk. 55 Pfg. gemacht,
dagegen in 683 Einzelbeträgen zusammen 267027 Mk.
35 Pfg. an die betreffenden Einleger zurückbezahlt und
hat die Gesammtzahl der letzteren seit dem 1. Januar

Die Jagd nach einer Erbin.
Roman von Hermine Frankenstein.
42) (Fortsetzung.)

„Fräulein M'Tavish wird sich sehr freuen,
Eie zu sehen, ob Sie angemeldet oder unange-
meldet kommen, Fräulein Clare," sagte Frau
Talcut. „Sie ist eine Verwandte meiner Lady
ünd ist meiner Lady sehr verpflichtet und unge-
mein anhänglich. Ja, die Hälfte ihres Einkom-
mens besteht in einer Jahresrente, die ihr meine
Lady gekauft hat, obwohl ich Ihnen das vielleicht
üicht sagen sollte. Seien Sie versichert, Fräulein
^lcrre, daß Fräulein M'Tavish Sie herzlich will-
kommen heißen wird."
Die kurze Fahrt, von welcher Frau Talcut
Mprochen hatte, dauerte dennoch eine ganze
Viertelstunde.
, Sie fuhren durch mehrere Straßen der Stadt
^ann über eine Brücke und dann in der Richtung
Strome entlang mehr ins Freie hinaus.
Sie fuhren eine Strecke weit die Landstraße
entlang, bis die Häuser ganz vereinzelt wurden,
^tzd dann bogen sic in eine einsame, grüne Allee
Mn, die znm Flusse hinabführte. Am Ende der
Mee, ganz nahe am Ufer des Flusses stand eine
meine, hübsche Villa mitten in einem Garten.
ftMe hohe Ziegelmauer trennte das Grundstück
don der Allee.

Der Garten erstreckte sich bis zum Flusse hinab
M>d Beatrix erblickte einen kleinen Damm, ein
Bootshaus und einige Boote.
Der Wagen blieb vor einer schmalen, grünen

Thür in der hohen Gartenmauer stehen, und der
Kutscher stieg ab und zog an der Glocke.
„Das ist Bruce Cottage," sagte er zum
Wagenschlage zurückkehrend. „Ich hörte jemanden
kommen."
Beatrix stieg aus und Frau Talcut folgte
ihr. Als sie vor dem Gartenthore stehen blieben,
hörten sie Schritte auf dem Kieswege drinnen
und fast gleich darauf wurden Riegel zurückge-
schoben, man hörte Klirren im Schlosse und die
Thür ging langsam nach innen auf.
Ein alter, kränklicher und gebeugter Mann,
mit grauen Haaren und stark ausgeprägten
Zügen — offenbar ein Schotte — erschien in der
Oeffnung und fragte, was sie wünschten; aber
noch während er fragte, erkannte er Frau Talcut
und machte für sie und ihren jungen Schütz-
ling Platz.
Der Kutscher wurde fortgeschickt; der alte
Schotte nahm das Gepäck, schloß das Thor zu
und ging auf dem Kiesweg voraus nach der
Villa, und nun sah Beatrix ganz deutlich, daß
das Bootshaus sammt den Booten zu dem Land-
hause gehörte. Sie schaute neugierig Haus und
Garten an.
Da Lady Folliot ihr diesen Ort für ein
ganzes Jahr angewiesen hatte, betrachtete sie den-
selben mit großem Interesse.
Hier wohnte Fräulein M'Travish mit zwei
bis drei alten Dienern, wie es einer Edeldame
von beschränkten Mitteln, gastfreundlichen Ge-
wohnheiten und luxuriösen Geschmacke wohl
passend war.
Der Schotte führte Beatrix und Frau Talcut

durch die Pforte und durch eine gepflasterte Vor-
halle in ein kleines Empfangszimmer.
Hier überließ er sie sich selbst, während er
sich entfernte, um seine Herrin von dem Besuche
zu verständigen und ihr den Brief zu übergeben,
den Lady Folliot an Fräulein M'Travish ge-
schrieben hatte.
Beatrix setzte sich, Frau Talcut aber blieb
in ehrerbietiger Haltung in der Nähe der Thür
stehen.
„Fräulein M'Travish kommt lange nicht,"
sagte Beatrix mit unruhigem Blick.
„Sie wird gleich hier sein, Fräulein," er-
widerte Talcut flüsternd. „Ich hoffe, sie wird
Ihnen gefallen, Fräulein Clare. Sie ist eigen-
thümlich, aber sie ist eine echte Dame und wird
einer Freundin Lady Folliots auch immer eine
Freundin sein."
Die Dienerin hatte ihr kaum die Versicherung
gegeben, als man draußen in der Halle leichte
Schritte hörte und Fräulein M'Travish mit einem
rauschenden Seidenkleide eintrat.
Beatrix hatte erwartet, eine große, starke
Schottin mit blondfarbenem Haar und groben
Zügen zu erblicken.
Als sie aufstand, erblickte sie aber eine sehr
kleine Frau mit weißen Haaren, die von den
eingefallenen Schläfen glatt zurückgestrichen waren,
einem feinen, kleinen Gesichtchen, das an einen
runzlichen Apfel erinnerte, und eine verschrumpfte
kleine Gestalt, die, wie wir gesagt haben, in Seide
gekleidet und dicht in einen Cachemirshawl ge-
hüllt war.
Der Ausdruck von Fräulein M'Travishs

Gesicht war milde, aber ängstlich. Sie war
eines jener unglücklichen Wesen, welche nur aus
Nerven zusammengesetzt scheinen. Sie liebte Ge-
sellschaft, aber Geräusch und Verwirrung regten
sie auf.
Da sienie im Leben große Kümmernisse durch-
gemacht hatte, so verursachten ihr ost ärgerliche
Kleinigkeiten den gewaltigen Schmerz. Freund-
lich, gesellig, großmüthig und gutherzig, war sie
dennoch unbewußt, etwas selbstsüchtig und leicht
erregbar. Ihr erster Gedanke bei allen Vorkomm-
nissen war ihre Gesundheit und wie dieselbe von
den Dingen beeinflußt würde.
So war Fräulein Oktavia M'Travish, oder
Fräulein Tavia M'Travish, wie sie gewöhnlich
von ihren zahlreichen Freunden und Bekannten
genannt wurde, die sich so gern in ihrem hüb-
schen, freundlichen Hause um sie scharten.
Sie trat auf Beatrix zu, die beiden magern
Hände ihr cntgegenhaltend, mit einem freundlichen
Lächeln anf dem verfallenen Gesichte.
„Willkommen, mein liebes Fräulein Clare,"
rief sie mit ihrer dünnen, hohen Stimme aus.
„Lady Folliot hat Sie meiner Sorgfalt empfohlen.
Sie sind um Lady Folliots und um Ihrer selbst
Willen herzlich willkommen."
Beatrix crröthete unter der Wärme des
Empfanges und reichte Fräulein M'Travish eine
Hand. Aber diese Dame, welche trotz ihrer
Jahre eine etwas ungestüme Natur war, hielt
ihr wie ein Vogel den Mund zum Kusse hin,
welchen Beatrix sich beeilte zu empfangen und
zu erwidern.
 
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