Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Juli bis Dezember)

DOI chapter:
No. 211 - No. 220 (7. September - 18. September)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44142#0261

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

> ... -——»
Aborrnementsprcisr
mit 8scitigcm illnstrirtem Sonntagsblatt: monatlich
35 Pfennig frei in's Haus, durch die Post bezogen
vierteljäbrlich SV Pfennig ohne Bestellgeld.
--—Ä
(ßrpeditic>rr: Kcruptltraße Mr. 25.

für Heidelberg und Umgegend
(Würger-Zeitung).

H. » . > > - —-»> ..A
Jnsertionsprcrsr
die lspaltige Petitzeile oder deren Raum 8 Pfg.,
für auswärtige Inserate Iv Pfg., bei öfterer Wieder-
holung entsprechender Rabatt.
*-—-——»
Expedition: Kcruptstrcrße Mr. 25.

ulL 21«.

Verantwortlicher Redakteur:
Herm. Streich.

Mittwoch, den 13. September

Druck und Verlag:
Heckmann, Dörr L Wurm.

1893.

AE"" Telephon-Anschluß Nr. 102. "DR

* Unter der Lteuerpresse.
Es ist keine bcneidenswerthe Existenz — Finanz-
Minister zu sein. Herr v. Caprivi braucht sich
gar nichts darauf einzubilden, die Militärvorlage
.durchgesetzt zu baben, das war gar kein so großes
Kunststück im Vergleich zu der Riesenarbeit, die
jetzt unseren Finanzministern obliegt — nämlich
das Geld für das neue Militär aufzubEgen.
Da sind die Herren jüngst in Frankfurt, sw
sammengesessen und haben im Schweiße ihres An-
gesichtes darüber nachgedacht, welche Dinge, mit
Ausnahme der Luft, noch einen tüchtigen Druck
der Steuerschraube vertragen können.
Unter Anderem kst man dabei auch auf den
Wein gekommen und wenn die Pläne der Herren
durchgeben, wird die Traube, die an den Ufern
des Neckars, des Mains, des Rheins ckmd der Mosel
reift, in Zukunft noch einer kleinen Nachkelterung
unter der Steuerpresse unterzogen.
Denkbar wäre eine Weinsteuer in den ver-
schiedensten Formen. So z. B- als Flächensteuer,
die sich nach der Größe und Güte der Weinberge
richtet, als Materialsteuer, nach der Menge der zur
Weinbereitung bestimmten Trauben, als Steuer
auf das fertige Fabrikat, die der Produzent zu
zahlen hätte, als Einlagerungssteuer, die im Moment
des Uebergangs vom Produzenten zum Händler
von letzterem zu entrichten wäre, und endlich als
Schanffteuer. Alle diese Steuerformcn sind mög-
lich, aber alle haben nicht unerhebliche Bedenken
gegen sich. Selbst die größte „Geschicklichkeit" wird
diese Bedenken nicht herabdrücken können.
Auf den stärksten Widerstand stößt eine Be-
steuerung des Weins natürlich bei den Haupt-
interessenten, den Winzern. Sie befürchten von
der neuen Steuer eine Abnahme des Verbrauchs
und deshalb eine Abnahme der Erzeugung der be-
treffenden Marken. Eine Minderung der Ein-
nahmen würde nun aber manchen Produzenten
recht empfindlich treffen.
Ueberdies ist die Steuer deshalb nicht einwands-
frei, weil die Schwierigkeiten ihrer Erhebung groß
und die Erträge nur klein sein winden. Tiefe
Eingriffe in die Freiheit des Geschäfts und des
Verkehrs müßten, um Steuerhinterziehungen auch
nur einigermaßen hintanzuhalten, vorgenommen
werden. Der Steuerbeamte würde den Produzenten
und Händlern stets auf den Fersen sitzen und in
Keller und Komptoir eine hochnotpeinliche Kontrolle
ausüben. Setzt man eine Werthgrenze fest, bei
der die Steuerpflicht beginnt, so ist darauf zu
achten, daß theuere Weine nicht billiger deklarirt,
aber auch, daß billigere Weine nicht theurer deklarirt
werden. Denn Beides kann vorkommen; Ersteres,
wenn mun den Fiskus, Letzteres, wenn man das
Publikum täuschen will. Aber die größte Umsicht
und Vorsicht kann schließlich nicht verhindern, daß
dennoch der Fiskus verschiedentlich zu kurz kommt,
da es bekanntlich nicht leicht ist, die Güte eines

Weines sicher zu bestimmen. Welche Zunge soll
herauskvsten, wie ein Wein darüber oder darunter
zu bewerthen ist? Hier ist ein Keim zu unab-
lässigen Streitigkeiten zwischen Fiskus und Interes-
senten. Die Besoldung des zur Steuererhebung
erforderlichen Beamtenpersonals verschlingt jedenfalls
ein gutes Stück der Erträge. Diese Erträge selber
aber würden deshalb nicht besonders hoch sein
können, weil die sogenannten großen Weine gegen-
über den kleinen Weinen die Minderzahl bilden,
die Steuer-Objekte also nur in beschränktem Maß
vorhanden sind.
Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus der
Frage, wie sich das Verhältniß zwischen dem Reich
und denjenigen Einzelstaaten gestalten soll, die jetzt
bereits eine Weinsteuer besitzen, denn gegenwärtig
bestehl bereits eine Besteuerung des Weines für
Staatsrechnung in Baden, Württemberg und
Elsaß-Lothringen. Also müßte eine Umänderung
dieser sehr verschiedenartig aussehenden Landeswein-
steuern nach der Schablone der Reichsweinsteuer
stattfinden, und in den Ertrag hätte sich das Reich
uud die betreffenden Einzelstaaten, deren Budgets
die Einkünfte aus dieser Steuerquelle nicht werden
entbehren können, brüderlich zu theilen.
Es dürfte also jedenfalls noch seine Haken
haben, die Poesie des Weintrinkenö mit der Prosa
des Steuerzahlens zu vereinigen, so daß das Reich
auch Etwas dabei profitirt und ohne daß der
deutsche Weinbau Schaden leidet.
Deutsches Reich.
Berlin, 12. September.
— Wie der antisemitischen „N. D. Ztg." ge-
schrieben wird, haben die hevorragendsten Fachmänner
der Tabakbranche in Karlsruhe einstimmig er-
klärt, daß das Miquelsche Steuerprojekt den
Ruin der gejammten Klein-Industrie bedeute, daß
auch die größeren Fabriken den Betrieb ein-
schränken müßten und durch die Entlassung von
50 000 Arbeitern mindestens 150 000 Personen
brotlos werden. Doch nicht genug damit, es stehe
auch fest, daß fünf Sechstel der neuen Steuerlast
nur die ärmeren Klassen der Bevölkerung treffen
würden, da der weitaus größte Theil der in
Deutschland fabrizirten Cigarren der Drei- und
Fünfpfennig-Oualität angehört.
— lieber den Zweck der kürzlichen Reise des
württembergischcn Ministerpräsidenten Frhrn. v.
Mitt nacht zum Fürsten Bismarck nach Kis-
sing en dauern die Erörterungen noch immerfort.
Die „Frkf. Ztg." hat jetzt folgende Veranlassung
zu demselben herausgefunden: Es ist bekannt, daß
Fürst Bismarck seinen Stuttgarter Verehrer münd-
lich und schriftlich einen Besuch von Kissingen aus
Ende dieses Jahres versprochen hat. Ebenso steht
jetzt bereits fest, daß dieser Besuch nicht zur Aus-
führung kommt. Nichts liegt näher als die An-
nahme, daß Herr v. Mittnacht sich mit Erfolg be-
müht habe, dem Altreichskanzler den beabsichtigten
Besuch auszureden, der der württembergischen Regie-
rung wie dem Hof zumal unmittelbar vor der An-

wesenheit des Kaisers anläßlich der Manöver pein-
lich gewesen wäre.
— Der Bundesrath nimmt nächsten
Monat seine Thätigkeit wieder auf und wird über
eine Reihe von Entwürfen beschließen, welche den
Reichstag bereits in feiner letzten Tagung beschäf-
tigen sollten, das heißt darüber entscheiden, in wie
weit und in welcher Form diese den nächsten Reichs-
tag wieder beschäftigen sollen.
— Das Verhalten des Bischofs Fleck dem
Kaiser gegenüber soll auf Grund eines voraufge-
gangenen Meinungsaustausches mit der römischen
Kurie erfolgt sein. In Paris, wo man gerade
von dieser Seite auf protestlerische Aufwallungen
gerechnet hatte, hat das patriotische Entgegenkommen
des lothringischen Klerus im höchsten Maße ver-
stimmt.
Karlsruhe, 12. Sept. Der Kaiser hat sich
gestern Abend 11 Uhr 45 Min. mittelst Sonder-
zuges nach Germersheim begeben, wohin S. K. H.
der Großherzog von Baden, die fürstlichen Gäste,
die Generalität und die fremdländischen Offiziere
ec. heute früh 5 Uhr 25 Min. nachgefolgt.
Karlsruhe, 12. Sept. Die Festaufführung
im Großh. Hoftheater begann gestern etwas spät.
Um halb 9 Uhr erschienen in der großen Hofloge
der Kaiser und die Hohen Herrschaften, mit drei-
maligem Hochruf empfangen. Das Orchester
spielte: „Heil Dir im Siegerkranz" und das Pub-
likum hörte die Hymne stehend an. In der ersten
Reihe der Hofloge saßen in der Mitte der Kaiser,
neben ihm rechts die Großherzogin und der Kron-
pr nz von Italien, links der Prinz Albrecht von
Preußen mit einer fürstlichen Dame. Hinter dem
Kaiser in der zweiten Reihe der Großherzog, der
Erbgroßherzog und mehrere hohe fürstliche Frauen,
die Prinzen von Bayern, Württemberg ec. In der
großh. Loge saßen der Reichskanzler v. Caprivi,
der preußische Kriegsminister und noch einer der
alten Paladine des Kaisers Wilhelm I., Feldmar-
schall von Blumenthal. Gegenüber, in der Loge
des Prinzen Karl, saß ein indischer Rafah mit
einer Dame und noch einige hohe Würdenträger.
In allen Logen waren die fremden und einheimi-
schen Offiziere v rtreten und die vorderen Plätze
(1. und 2. Rang) zierten lange Reihen in schwarz
gekleidete Damen. Im Parquet war außer den
Offizieren die ganze Kadettenschule anwesend und
in den Parterrelogen bemerkte man ebenfalls hohe
Offiziere und Würdenträger. Mottl's bekannte
und vielbesprochene Oper Fürst und Sänger
gelangte unter des Komponisten Leitung zur Auf-
führung. Gegen 10 Uhr begann das Ballet.
Bald nach dem 1. Bilde verließen der Kaiser und
die hohen Fürstlichkeiten (gegen 10^ Uhr) das
Theater und zugleich entfernte sich ein großer Theil
der Offiziere.
Karlsruhe, 13. Sept. Beim Paradediner
brachte derKaiser, die Ansprache des Großherzogs
erwidernd, einen Trinkspruch aus, nach welchem er,
nach den Worten innigen Gedenkens an den Groß-
vater und Vater, sagte: Der Großherzog sei

nicht nur Landesvater, sondern auch General. Als
der Kaiser in, Frühjahr nach herrlichen Tagen im
schönen südlichen Lande in Karlsruhe einige Stunden
der Ruhe gepflegt, habe sich ihnen Beiden und
manchem guten deutschen Manne der Gedanke auf-
gedrängt: Wird unser Volk seinen Aufgaben auch
gewachsen bleiben oder wird es sich unwürdig er-
weisen der großen Thaten des Kaisers Wilhelm?
Und als die Entscheidungsstunde nahte und unser
Volk von Neuem auf den richtigen Weg gewiesen
werden mußte, war es Ew. Kgl. Hoheit zuerst,
die mit inhaltreichen, goldenen Worten die Saite
anschlugen, die bei unserem Volke immer durch-
schlägt. Tie militärische Ader wurde geweckt, in
tausend Gauen lebte der neue Gedanke auf und
unser Volk fand sich wieder. Ich danke Ew. Kgl.
Hoheit, ich danke meinen Vettern im deutschen
Reiche. Jeder Fürst hat das Seinige gethan, um
seine Mannen heranzuführen und neu zu schaaren
um das Reichspanier; Ich danke Ihnen allen,
daß neu gerüstet als schirmende Wehr das deutsche
Volk, wie einst der Götterheld Heimdahl, wachet
über den Frieden der Erde. Möge es dem deutschen
Volke vergönnt sein, daß es dieser Kulturmisfion
nie untreu werde, mögen ihm stets Fürsten be-
schieden sein, wie Ew. König!. Hoheit und Ihre
Vettern. Ich trinke auf das Wohl Ew. König!.
Hoheit und Ihres Hauses, sowie auf Badens
Schwert und Söhne, alt und jung, sie leben hoch!
Ausland.
Budapest, 12. Sept. Wie das „Vaterland"
meldet, hat der ungarische Minister des Innern,
Hieronymi, die Abhaltung des dritten ungarischen
Katholikentages in Maria-Theresiopel, welcher für
heute anberaumt war und für den man bereits
alle Vorbereitungen getroffen hatte, gestern mit
Rücksicht auf die Choleragefahr untersagt. Das
feudal-klerikale Organ gibt seinem Unmuthe gegen
diese Maßregel Ausdruck und meint da der Maria-
Tberesiopeler Katholikentag das Signal gewesen
wäre, dem Heiligen Vater für die Encyklika an
die ungarischen Bischöfe begeistert Dank zu sagen,
verstehe sich wohl die besorgte Theilnabme des
freimaurerischen Ministers um das Wohl der Ka-
tholiken. Fürs körperliche Wohlbefinden sei man
ja in der Regel gewissenhafter bekümmert als dafür,
die Vergiftung der Geister und Herzen Hintanzu-
balten. H-1 W
Wien, 11. Sept. InPilse n wurden gestern
von exzedirenden Czechen die Fenster in der
Schulvereinsschule und im deutschen Kasino ein-
geschlagen. Aus der Mitte der Hetzlieder singen-
den Exzedenten wurden der Prager Gemeindcrath
Czernohorsky, Abgeordneter Dyk, ferner ein Bahn-
beamter und ein Journalist verhaftet. In Prag
ist die Garnison konsignirt und die bedrohten
Häuser werden von der Polizei bewacht. Abends
durchstreiften starke Patrouillen die Stadt.
Mons, 12. Sept. Die Grubenarbeiter des
Borinage begannen gestern die Abstimmung über
die Opportunität eines sofortigen Ausstandes, im
Falle die Grubenbesitzer eine Lohnerhöhung verwei-

Kine dunkle HHcrL.
Roman von P. E. von Areg.

51) (Schluß.)
Wieder ist es Winter geworden, ein Jahr ist
verrauscht. Lustig wirbeln die weißen Schnee-
flocken in der Luft und selbst in den Straßen
der Hafenstadt liegt eine dichte, weiße Decke, die
sich sonst hier so rasch in ein schmutziges Grau
zu verwandeln pflegt. Hinter den Fenstern ihrer
warmen Stuben schauen die Leute in den frühen
Winterabend hinaus. Ueberall schon brennt Licht,
es ist um die fünfte Abendstunde.
Ein junges Paar, Arm in Arm, dicht an-
einandergeschmiegt, er mit aufgeschlagcnem Ueber-
zieherkragen, sie in einem weiten Pelzmantel und
die Hände im Muffe, kommen die breite Straße
hinunter, die von der Altstadt nach der Neustadt
führt. Sie scheinen die Unbilden des Wetters
keineswegs schwer zu empfinden, denn sie legen
ihren Weg in nur müßigem Tempo zurück und
plaudern dabei munter und lustig miteinander.
Und jetzt kommen sie an das Wienbrand'sche
Haus. An ihm ist eine Veränderung nicht zu
bemerken. Aber ein aufmerksamer Beobachter
würde doch sehen, daß die Porzellanplatte, die
sonst die Aufschrift trug : „Peter Wienbrand,
Kommissionär", durch ein Marmorschild ersetzt
ist, auf dem zu lesen steht: „Doktor Schwancnfeld,
Praktischer Arzt."
Ja, unser Doktor hat seine kleine Frau heim-
gfführt, nachdem sic Beide nach Brauch uud

Sitte so lange gewartet hatten, bis das Trauer-
jahr verlaufen war.
„Werden sie auch zu Hause sein?" fragte die
junge Dame am Arme des Herrn diesen.
„Natürlich, liebes Kind, entgegnete er. „Wo
sollten sie sonst sein? Junge Vögel, die eben in
ein frisch gebautes Nest gelangen, halten es warm
und sitzen lieber darinnen und zwitschern mit-
einander, als daß sie in der Welt Herumfliegen.
„Du weißt ja, wie wir selbst es damit
halten, Lenore."
Und nun sind sie oben.
Klara öffnet gerade die Stubenthür, als sie
auf dem Flur erscheinen.
„Assessors kommen, Richard!" ruft sie durch
die Thür ins Zimmer ihres Gatten.
Und nunmehr haben sich die Assessors ausge-
schält und die jungen Frauen haben sich herzlich
geküßt, denn sie sind natürlich längst eben so
gute Freundinnen, wie ihre Männer Freunde.
Und jetzt sitzen sie Alle drinnen um den großen
Tisch in des Doktors Wohnstube, an dem die
alte Frau Wienbrand den Vorsitz führt, sie ist
jetzt fast völlig genesen und seit ihr das Töchterchen
die Sorge um den Haushalt abgenommen hat,
kann sie sich in aller Muße und Behaglichkeit
des jungen Glückes ihrer Kinder erfreuen.
„Wir sind zu Euch herausgekommen, Kinder",
sagt der Assessor, „weil ich heute einen Brief
von Amerika bekommen habe, der auch für Dich
nicht ohne Interesse sein wird, Richard. Hans
hat mir geschrieben."
„Es geht ihm gut, wie ich hoffe?" fragte
der Doktor.

„Er ist mit seinem Lose zufrieden", erwiderte
der Assessor. „Er arbeitet als Clerk in einem
Bankgeschäft und hat dadurch einen Verdienst,
der es ihm seiner eigenen Angabe nach möglich
machen wird, mir binnen Jahresfrist den Vor-
schuß zurückzuerstatten, den ich ihm bei seiner
Abreise gegeben habe."
„Weiß er um die Vorgänge vom letzten
Winter?,, fragte der Doktor.
„Ich hielt es für meine Pflicht, ihn davon
in Kenntniß zu setzen, nachdem das Urtheil im
Frühjahr gesällt worden war, weil er sein Theil
dazu redlich beigetragen hatte. Du kannst Dir
selbst denken, daß er durch den schließlichen Aus-
gang nicht wenig überrascht worden ist."
„Sie sind wieder bei Ihrem Liebesthema",
sagt die Doktorin zu ihrer Freundin, die ihr
stumm lächelnd zunickt.
„Das sagst Du blos," meiute der Doktor,
der gleichfalls nickte, „weil Du mich abhalten
willst, unseren Freunden von einem Besuche zu
erzählen, den wir diesen Morgen hatten. Johann
Ohlsen war in Person hier und brachte den
Christian Müller mit, der zu ihm gekommen
war, um sich nach mir zu erkundigen. Es ist
das derselbe brave Mensch, der mich am Abende
meines ersten Eintreffens hier zu Johann Ohlsen
führte und wenn man den Dingen auf den Grund
gehen will, so war das die eigentliche Veran-
lassung zu meinem Glücke."
„Und was sagte Ohlsen?" fragt der Assessor.
„Er sagte", lautete die Antwort, „wir beide,
Du und ich, seien ein Paar brave Kerle und

deßhalb hätte uns auch der Himmel solche hübsche
Frauen bescherrt."
„Das klingt ganz wie Ohlsen", versetzte
Lindemann. „Er ist eine Kernnatur von Haus
aus und scheut sich nicht das auszusprechen, was
er fühlt."
„Laß uns das Vergangene bei Seite, Ihr
Männer", mahnte Frau Lenore.
„Nur noch eine einzige Frage gestatten Sie
mir", entgegnete der Assessor, „die ich schon oft
habe stellen wollen, ohne daß ich jemals dazu
gekommen bin. Wie hast Du Dich mit jenem
Detektiv in Berlin abgefunden, Wilhelm, der Dir
behilflich war, jene Spuren zu entdecken, die
schließlich auf die Entlarvung der Verbrecher
führten?"
„Er hat von mir tausend Mark erhalten",
antwortete Lindemann, „und er war von diesem
Betrage nicht weniger überrascht, als befriedigt.
Das sagte mir ein Bries von ihm, in dem er
mich mit warmen Worten seiner tiefen Dankbar-
keit versicherte."
"Nun aber ist es genug der Erinnerungen
aus der Vergangenheit", warf die alte Frau
Wienbrand ein. „Lasset die Todten ruhen und
lebt für die Lebenden, Ihr jungen Herrn und
vor Allem sage ich Euch, achtet auf das Wort
Eurer Frauen. Sie sollen zwar nicht das erste
reden im Hause, aber das zweite. Und die Ehen
werden die glücklichsten sein, in denen es die
Gatten verstehen, das weder unter sich noch vor
Anderen merken zu lassen."
„So ist cs ganz genau bei uns," antworteten
der Doktor uud orr Assessor aus einem Munde-
 
Annotationen