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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 22
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Kirchbach, Wolfgang: Poesie und Rhetorik, [2]
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0323

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L)

sD

G wie schwül nnd banq
Alle N?inde fliehnl

Durch den Lsiimnel wild
Iagen Blitze, bleich;

Ihr vergänglich Bild
Wandelt durch den Teich.

lVie gewitterklar
Mein' ich Dich zu sehn,

Und Dein langes ksaar
Frei im Sturme wehn!

Lin herrliches Gedicht! Ls ist durchaus poetisch;
nicht ein wort, das redefalsch wäre; Alles mit be>
strickender Deutlichkeit gesehn. Darum wirkt es auch
so unmittelbar. Nie hat bseine ein besseres Gedicht
gemacht, das mit so sicheren und ehrlichen AAtteln
wirkt. wunderschön dieses „Wandelt", vom Neflex
des Blitzes gesagt. Der wirkliche Blitz sagt; sein
Spiegelbild „wandelt"; die Lrscheinung dieses Spiegel-
bildes, das so geheimnisvoll nachblitzt, ist meisterhaft
beobachtet. „Wandelt" hat hier eine Doppelbedeutung:
für „wandelt sich" und „wandert"; es ist aus dem
tiefsten Sprachgefühl geschöpst, daß gerade hier dies
wort steht.

Man sieht daraus, daß, wenn Llenau an anderen
Ltellen rhetorisch wird in seiner Meise, wie cheinrich
bseine in andrer Art les kommt aus der Dorliebe
des Linen für Aietaphern, des Anderen für gewisse >
andre Tropen), es in der That nur Unart, dichterischer
Unfleiß ist, welcher das eigne werk nicht in
seiner ganzen Folgerichtigkeit durchdenkt, sondern nur
spielt. Nian sieht, daß Lenau auch Anderes kann.

Diese ästhetische Unbildung so vieler deutscher
Dichter ist höchst beklagenswert. chie hat es möglich
gemacht, daß auch die große Ulasse der Leserwelt ein
reines poetisches Genießen kaum mehr kennt, sondern
zuletzt immer nur ein willkürliches chpiel mit worten
für Dichtung nimmt. Die Unart, Gedichte nur höchst
flüchtig zu lesen und sich einseitig am Nhythmus zu
berauschen, hat insbesondere einen großen Teil deutscher
Lyrik von Grund aus verderbt.

Andere Unarten haben unsere Dramatiker über-
nommen. Z. B. findet man bei den shakespearesieren-
den oft fene sDersonifikation von allgemeinen Begriffen,
welche im Deutschen ganz überflüssig ist, ein Über-
treiben ist, indein die deutschen Wortwurzeln noch jene
volle Anschaulichkeit enthalten, welche die englische

Lprache Shakespeares nicht in dieser Art kennt. Die
deutsche Sprache, welche jeden Augenblick in der Lage
ist, durch Zusammensetzung ein neues U)ort zu bilden,
wird durch jene Bprachbehandlung nur einfach ver-
derbt. Auch hierzu bemerkt Goethe:

„Lhakespeare ist reich an wundersamen Tropen,
die aus personifizierten Begriffen entstehen und uns
gar nicht kleiden würden, bei ihm aber völlig
am jAatze sind, weil zu seiner Zeit alle Runst von der
Allegorie beherrscht wurde." Zm Linne von Goethes
Bemerkung erwähnt denn auch Vischer in seiner Ästhe-
tik die allegorischen Spiele jener Zeit, wo alle mög-
lichen Begriffe, wie Tugend, Laulheit u. s. w., als han-
delnde sdqrsonen auftraten, so daß der Dichter sie nun
auch ohne Weiteres in der Nede als s)ersonen be-
handcln konnte. (Lfierzu verweisen wir indessen auch
auf unsere obigen Bemerkungen über die englische
Lprache.)

Goethe fährt fort: „Auch findet derselbe Gleich-
nisse, wo wir sie nicht hernehmen würden, z. B. vom
Buche. Die Druckerkunst war schon über hundert
Zahre erfunden; dem ungeachtet erschien ein Buch
noch als ein heiliges, wie wir aus dem damaligen
Linbande sahen, und so war es dem edlen Dichter
lieb und ehrenwerth; wir aber broschieren jetzt Alles
und haben nicht leicht vor dem Linbande und seinem
Znhalt Nespekt."

Auch das muß man bei chhakespeare in Lrwägung
ziehen, um ihn nicht fälschlich als Nhetoriker anzu-
sehen, da er vom Bewußtsein einer andern Nultur-
stufe aus spricht. Dann aber wird man ihn in seinen
Meisterwerken auch sprachlich als einen ebenso
großen Nealisten erkennen, wie er es in den Lachen
ist, und er erweist sich ebenso wie chomer und Goethe
als Dichter in dem Linne, wie wir hier zwischen Dich-
tung, Nedekunst und Nedefälscherei unterschieden. —

Zch denke, Deine Leser, lieber Freund und
ausgeber, wissen nun mit der gewünschten Alarheit,
um was es sich handelt, wenn der Nunstrichter jene
Unterscheidungen macht. N'lögen sie das Meitere wil-
lig aus der Fülle eigner Letzenserfahrung und eigener
klarer Lachlichkeit ergänzen. Alles zu sagen ist nicht
möglich; aber die Gesichtsxunkte aufzustellen ist immer-
hin ein weg zur Wahrheit. Dein

Molkgung Iklrcbbucb.

Dicbtung. Kundscbn u.

^ „Voesie und Tendenz" nennt Z. üart
einen Aufsatz (T. R. t89 B.>, in welchem er es zu-
nächst als unfraglich hinstellt, „daß wir jeder Dichtung
irgend eine kurze bestimmte Lehre entnehmen können,
einen Gedanken, zu dem sich die Fsandlung zuspitzt,
wie überhauxt jede Begebenheit des Lebens, jede
Lrscheinung der Natur dazu ausgenutzt werden kann.
Die Ameise legt dem jDrediger Lalomonis die Meis-
heit in den Nlund, daß Arbeit Legen bringt. Der
Laie faßt wohl zu allernächst derartige Tendenzen
als den eigentlichen Nern einer Dichtung auf. Der
»Nönig Lear« wird ihm zu einer Bestätigung des
vierten Gebots, der »wilhelm Tell« predigt ihm, daß
Lintracht stark macht und daß man ans Daterland,

ans teure, sich anschließen soll, aus dem »Faust« ent-
nimmt er eine die christliche weltanschauung erwei-
lernde Lntsühnungslehre, daß auch die schwerste
Schuld durch redliche Arbeit für das Gemeinwohl
gebüßt werden kann. Das sind doch moralische, sitt-
liche und politische Tendenzen. Nnd wir lesen sie
nicht nur zufällig heraus, fie sind auch wirklich von
dem Dichter mit voller Absicht durchgeführt. 5ie sind
der Ltock, an dem sich die Blume der ^andlung
emporwindet. Auch nicht in den orientalischen Mär-
chen ist der Nünstler so rein Nünstler, daß er nichts
will als den bunten Teppich einer Lsandlung entrollen
und wlenschen darstellen; die Ljandlung müßte in
Unendlichkeit weiterfließen, wenn sie sich nicht um eine

Lb

—Zls

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