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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 26-39 (März 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0147

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unreif vom Baume gefallen und darum ungenießbar iſt.
— Ich gebe hier dem obſcuren Verfaſſer jener Kritik ſein
eignes Bild zuruͤck, da er doch Dramen mit Aepfel, Bir-
nen und Nuͤſſen vergleicht, wie es ſcheint um die rhetori-
ſchen Regeln einzuüben, welche, ich verſichere es ihm, meine
Schuͤler beſſer, als er verſtehen, da er das tertium com-
parationis ſchlecht getroffen hat.
Die Aufopferung der Iphigenia motivirt ſich bei Aga-
memnon durch das große Gefuͤhl der Ehre, ein Unterneh-
men, an deſſen Spitze er ſteht, nicht ruͤckgaͤngig zu machen;
und hier haͤtte Agamemnon, wenn ihm Euripides einen gro-
ßen Charakter gegeben haͤtte, ziemlich dem Polynices des

Sophokles gleichen muͤſſen, der trotzig lieber ſelbſt in ſei-

nen eignen Tod geht, als daß er ſein verbündetes Heer
und die Fuͤrſten zuruͤckfuͤhren, oder überhaupt nur etwas von
ſeinem gefaßten Entſchluſſe der Rache fahren laſſen will.
Oder ſollte Agamemnon als Vater handeln, ſo mußte eine
andere (von Ulyſſes etwa erdachte) Liſt die Tochter herbei-

führen, und er nun auf ihre Rettung bedacht ſeyn und lie⸗.

ber ſeine Anfuͤhrung als ſeine Vatergefuͤhle aufgeben. Kly-
taͤmnaͤſtra's nachheriger Haß aber zeigt im Agamemnon
mehr den Mann, der ſeine Ehre, als ſein Gefuͤhl um Rath
gefragt hat. Der Klytämnaͤſtra als Mutter kam es alſo
mehr zu die Tochter zu retten; Agamemnon, einmal ent-
ſchloſſen, durfte nun nicht mehr bereuen. Doch wir wollen
den Zweck der Ruührung, welchen Euripides bei der Dar-
ſtellung ſeines weichern Agamemnons hatte, hier gelten laſ-
ſen; er iſt allerdings unſerer Zeit angemeſſener, als die
Starrheit der Charaktere des Aeſchylos oder des Sophokles,
ſelbſt in ſeiner Elektra und Antigone: aber man ſtelle ihn
nur nicht als einziges Muſter fuͤr Behandlung aͤhnlicher
Charaktere auf; man laſſe jeden Dichter ſeinen eignen Weg
in der Erfindung gehen. Ich bin überzeugt, weder So-
phokles noch Aeſchylos haͤtten den Agamemnon eben ſo wie
Euripides dargeſtellt, denn letzterer hat den einmal von
Agamemnon angenommenen, homeriſchen alten Charakter-
typus zu ſeinem Zwecke umgemodelt, und iſt uͤberhaͤupt von
der Staͤrke heroiſcher Charakterzeichnung abgewichen.
Das Geluͤbde Jephtha's war durch die Noth erzeugt;
hätte ihm in dem entſcheidenden Augenblicke auch nur ge-
ahnet, ſeine Tochter werde ihm entgegenkommen als erſtes
aus ſeinem Hauſe, ſo würde er wohl ſein Geluͤbde entwe-
der nicht gethan oder anders motivirt haben. Denn bei
dem erſten Anblicke ſeiner Tochter zerreißt er ja ſeine Klei-
der, ein Zeichen, wie unerwartet und ſchrecklich ihm ihre
Erſcheinung war. Daß er ſie nun dennoch opfert, kommt
von dem Glauben an die Verbindlichkeit ſeines Verſpre-
chens und ſeiner Furcht vor Gott, als den Raͤcher des
Meineids. Hier iſt alſo ein religioͤſer verpflichtender Grund
im Glauben der Zeit, aͤhnlich wie bei Idomeneus, der auch
im Schiffbruche ein gleiches Geluüͤbde that und es eben ſo
loͤste, aber von den Kretern deßhalb vertrieben wurde, in-
dem ſie ſolche Blutſchuld auf ihrem Lande nicht dulden woll-
ten, vermuthlich auch weil Minos weiſe Geſetze dagegen
ſprachen, die der Vertriebne nun in Salent, ſeinem
neuen Sitze einführte.

Die That des Ariſtodemos wurde außer dem
allgemeinen Glauben: dem Vaterlande jedes
Opfer ſchuldig zu ſeyn, noch durch beſondere
Nebenumſtaͤnde als Triebfedern motivirt, welche jene
oberflaͤchlichen Recenſenten (doch dieſen Namen verdienen
ja nur ſolche, welche auch wirklich den Sinn des Wortes
recensere, beſonders das re, das wiederholte Durchdenken,
gewiſſenhaft beherzigen) in dem Reiſe-Werke des Pauſa-
nias, wovon eine neue Ueberſetzung angekundigt iſt, oder
in meiner Tragoͤdie bei etwas genauerem Leſen ſicher wuͤr—

den gefunden haben.
(Schluß folgt.]

—222.——2 ——979— — ͤ — — ⏑. —. — ———— — —.

Ga ſtmahle.

Wenn man von den großen Gaſtmahlen neuerer Zeit erzaͤhlt,
wie von denen bei der Wahl des Lordmajors zu London,
laſſen ſie ſich doch mit jenem nicht vergleichen, das Julius
Caſar nach ſeinen Siegen uͤber alle ſeine Gegner zu Rom
gab. Das ganze roͤmiſche Volk, die Bewohner Roms und
der Umgegend, wurden auf ſeine Koſten in 22,000 Zimmern
geſpeißt; vom freigebigen Wirthe wurde neben einem Ue-
berfluſſe von Speiſen fuͤr jedes Zimmer aus ſeinem Keller
ein Faß des herrlichen Chierweins und ein andres mit Fa-
lernerwein Preis gegeben. Darum ward aber auch der Zu-
drang zu dieſem Gaſtmahl ſo groß, daß viele der Eßluſti-
gen zerdruͤckt und zertreten wurden.

Montmorencey.

Der berühmte Connétable von Montmorency hatte weder
leſen noch ſchreiben gelernt; dennoch nahm er immer zum
Schein ein Buch mit in die Meſſe. Patente und Ordres
unterzeichnete er ſo, daß er ein Paar Dutzend große und
lange Spinnenfuͤße hintereinander machte, bis ihm ſein
Sekretaͤr den Arm anhielt und ſagte: Nun iſt es ge-
nug, gnädiger Herr!

2222—2— — — — — —— —....—. — —...—. —

16.
Von den Fruchtbaͤumen iſt der mit Recht der ſchönſte zu
nennen,
Der im Leben uns ſtets reichet die freudigſte Frucht.
Ihm vergleich' ich die gluͤckliche Ehe, welcher die Tugend
Iſt die Sonne, das Leid nur der befeuchtende Thau.

17.
Ein Magnet iſt die große Welt. Unedles Metall nur
Bleibet hängen an ihm, edleres zieht er nicht an.

18.
Eine ſeltſame Art von Schafen ſind wahrlich die Menſchen,
Welche die Wolle ſich ſelbſt wechſelnd abſcheeren mit
Luſt.
(Schluß folgt.)
 
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