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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 26-39 (März 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0150

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Starey, Tillys Adjutant, Orczamys vertrauter Freund,

hatte Jenem, deſſen Grundſaͤtze, Art und Weiſe zu denken

und zu handeln, und wie er es ſchon im Kreiſe ſeiner Ver-
trauten, in Blut und Gedanken verwandele, bei der geſt-
rigen Unterhaltung verrathen und Tilly's Mißmuth erregt.
Als Nachklang des Abentheuers mit der ſchoͤnen Pachters-—
Tochter, das Orczamy's Huſaren in ſeiner ganzen Natuür-
lichkeit erzaͤhlt hatten, und die Offiziere nun gedeihlich wie-
der erzaͤhlten — toͤnte es Tilly'n, der ohnehin den Ungarn
nur halb traute — ſo widerwärtig in die Ohren, daß ſein
Entſchluß auf der Stelle gefaßt war. Ein Chevalier aus
den Zeiten der Amadiſſe! rief der alte Krieger, — er hat

ſeine verwünſchte Prinzeſſin gefunden, nun iſt gar nichts

mit ihm anzufangen. — Das Maͤdchen will ich Morgen
ſehen und nach dem Grade ihrer Schoͤnheit den Obriſt taxi-
ren. — Dieſes geſchah und Tilly fand des Mädchens Schön-
heit, Unſchuld und Liebenswuͤrdigkeit gefaͤhrlicher, als He-
lena den trojaniſchen und griechiſchen Helden ward, und
beſchloß auf der Stelle ſie und Orczamy zu entfernen. —
O Vater! rief Gertrude, als der Obriſt ihr Tilly's Auf-
trag mittheilte: — Wer Gott vertraut — Traumann ließ
die fromme Seele nicht zu Worte kommen, ſondern fragte
Orczamy: — Was er entſchloſſen ſey zu thun. — Ich folge
meinem Schickſal, indem ich es zu beherrſchen ſuche, ver-
ſetzte der Obriſt. — Als eine Frucht des blinden Eifers und
eines getrennten Intereſſes, iſt mir dieſer Krieg ſo veraͤcht-
lich wie jeder andere, den nicht die Noth erzeugt hat, jene
die von Anfang her den nackenden Menſchen den verhüllten
Beſtien Preis gab. — Wenn ich aber glaube, daß das,
was in mir denkt und durch die Finſterniß dieſes erbaͤrm-
lichen Lebens hindurchzudringen ſucht — ſein beſtes Ziel in
dieſem Kriege gefunden hat, ſo iſt es auch immer beſſer
und edler, wenn ich glaube, daß der Krieg mir, als daß
ich ihm diene. — Iſt es nicht ſo, meine Liebe? fügte der
Obriſt hinzu — und drückte Gertrude an ſeine Bruſt. —
Nicht ſo, wie man Gott vertraut? Gertrude ſenkte den
Blick zu Boden und eine keuſche Roͤthe uͤberflog ihr from-
mes Antlitz. —
Graf! rief Traumann, Sie ſind am Ziele Ihres Glau-
bens! — Er iſt auch der Meinige! — Billig unterſcheiden
wir einen mannlichen und einen weiblichen Glauben. —
Meine Gertrude will ich umfaſſen“, rief der Obriſt dem
Vater entgegen, „und in den Wohnungen des Friedens und
der Liebe fühlen, daß ich — nicht ein Mann, daß ich ein
Menſch bin. — Ich fuͤhre dich zu meiner Schweſter Ag-
neta, holde Seele! fuhr der Graf fort und küßte Gertrude
— dich habe ich errungen, du ſtandeſt vor meiner Seele,

als mich die Menſchheit aneckelte; durch dich will ich mich

mit ihr wieder ausſoͤhnen!“ — Gertrude weinte.
„So verſchiedenartig die Depeſchen waren, die Tilly dem
Obriſten anvertraute, ſo von einander abweichend waren
aüch die Wege, die er zu durchreiſen hatte. Oberfeldherr
der Ligiſten, Generalfeldmarſchall in Dienſten Maximilians
von Baiern, ſah ſich Tilly — nach Wallenſteins erſtem
Sturtze, auch noch als Generaliſſimus des geſammten ge-
gen die Proteſtanten agirenden Heeres — und beſeelte ihn

vielleicht nicht der Ehrgeitz, der einen Wallenſtein entzün-

dete, ſo beſaß er doch unſtreitig die Kraft, ſich in allen
Würden aufrecht zu erhalten, die ihm Menſchen verliehen
hatten. Die Naͤhe des Schweden-Koͤnigs war ihm, dem
Sieger in ſo vielen Schlachten, als er kaum Jahre kriege-
riſcher Thaͤtigkeit zaͤhlte, von boͤſer Vorbedeutung. — Eben
jene Bedaͤchtigkeit und Vorſicht, die Guſtav Adolphs Schritte
leiteten und ihn einem Fabius Cunctatar an die Seite
ſtellten — mußten Tilly'n, der nicht gewohnt war ſeinem Feinde
Zeit zu laſſen, wie eine Jahrelange Botſchaft des Todten-
engels, oder wie ein Stundenlang herannahendes Gewit-
ter — durch den kalten Krieger-Sinn fahren. —
(Fortſetzung folgt.)

—26„76.... — — — — — — —— — ———— —— ————8—8—

Etwas über die Aufopferung
der Töchter Agamemnons, Jephthas und Ariſtodems.

(Schhu ß.)
Das Land Meſſene war mit den Spartern in einen gefaͤhr-
lichen Krieg verwickelt: Ariſtodemos, ein Edler aus dem
Apytidenſtamme, überdenkt nach einem unglücklichen Ge-
fechte, worin der Koͤnig Euphaes gefallen iſt, die ganze
Lage des Vaterlandes, findet den Muth ſeiner Vertheidi-
ger ſo geſchwaͤcht, daß er ein Mittel nothwendig glaubt,
welches außerordentlich einwirken müſſe, um ihn zu heben;
dies Mittel iſt der laͤngſterwartete Orakelſpruch von Del-
phi, der jetzt im entſcheidenden Momente anlangt. In
welchem zarten Verhaͤltniſſe Ariſtodem zu ſeiner Tochter
ſteht, wie er jüngere Buͤrger als Stützen des Vaterlandes
ſchätzt, ohne jedoch dem Adel und Stolze ſeines Geſchlechts
etwas zu vergeben, das zeigt außer der Liebe eines jungen
Meſſeners von geringem Stamme zu Ariſtodemos Tochter,
der erſte Akt meines Trauerſpiels.
Ich geſtehe es gern, daß ſeit dem Verlaufe mehrerer
Jahre, während welchem dieſes Stück zufaͤllig im Verlage
gedruckt zuruͤck gehalten wurde, meine Ideen uͤber das An-
tike, beſonders in Rückſicht der Einflechtung der Liebe, ſich
etwas geaͤndert haben, und vielleicht hierdurch (aber auch
nur in dieſem Punkte) der moderne Anſtrich des erſten Ak-
tes entſtanden iſt; aber doch lag, der Geſchichte nach, eben
in jener Liebe eines geringeren Bürgers zum Theil das
Motiv zu dem, ſo uͤbereilt begangenen, Tochtermorde des
Ariſtodemos; ſie konnte deßhalb nicht fehlen, nur im gan-
zen Ausdruck haͤtte ſie antiker ſeyn ſollen, wie man dies
ebenfalls der Liebe des Philoctetes im Odipus von Vol-
taire wuͤnſchen muß. — Der zweite Akt beginnt mit einer
Leichenrede auf Euphaes, worin zugleich die Entſtehung des
ganzen Kriegs und die gerechte Sache der Meſſener darge-
ſtellt wird, die alſo hier nicht müßig ſteht. Dann wird der
Orakelſpruch verkuͤndigt. Alle ergreift banges Entſetzen;
denn zu einer ſolchen Aufopferung fuͤhlt ſich keiner ſtark
genug. Ja, Antandros, eben jener Geliebte der Eupatris,
drängt ſich vor, verwirft den Orakelſpruch und verletzt da-
durch die Ehrfurcht vor dem Goͤttlichen in dem Glauben
der Zeit und beſonders im Ariſtodemos. Dieſer alſo, ei-
ner ſolchen Geſinnung in den Weg tretend, ſpricht: Wer
Freiheit will, muß auch bereit ſeyn, dafuͤr das Theuerſte
 
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