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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 52-65 (Mai 1824)
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Nachrichten uͤber Kunſt, Leben und Wiſſenſchaft.

——— — —— — — — — — — — —.— —I...

Chronik der Großh. Schaubühne zu Mannheim.

Sonntag, den 18. April, 1824. Zum Vortheile der Pen-
ſions -Anſtalt: „Große Muſikaliſch- deklamatoriſche
Abendunterhaltung.“

Die Würdigung der wohlthätigen Anſtalt, zu deren Nutzen das heutige
Konzert gegeben wurde, ſprach ſich im Publiko ziemlich zweideutig
aus, indem der Saal zahlreicher hätte beſucht ſeyn können; dagegen
aber entſpraͤch der Gehalt des Konzerts der Abſicht und dem Zweck
der Unternehmung, indem nicht allein meiſt neue Werke gegeben
wurden, ſondern auch ihre brave Ausführung dem Kenner und Vereh-
rer der Muſik mannichfaches Intereſſe darbot Spohr's Ouvertüre
zu ſeinem „Fauſt“, einem Rieſenwerk der Tonkunſt, erregte den vor
jezt ſchwer zu befriedigenden Wunſch einer Auführung dieſer Oper,
und Schneiders gut gearbeitete Ouvertüre erſchien recht klar und ver-
ſtändlich. Herr Wiſeneder ſang eine Arie von Nicolini, welche ſich
für ſeine Stimme vollkommen eignete, da ſolche ſich weit leichter in
italieniſcher als teutſcher Muſik bewegt, und hier durch Kunſt und
Fertigkeit erſezt, was ihr dort an Klang und Stärke abgeht. Herr
Hofmuſikus Maas trug mit bekannter Geſchicklichkeit und ſeltener
Zartheit, ein Adagio und Variationen für Oboe von Vogt vor, die
um ſo mehr gefallen mußten, da nur wenige Virtuoſen dieſem ſchwierigen
Inſtrumente ſo liebliche Töne, wie die ſeinigen, zu entlocken wiſſen.
Herr Operndirektor Frey ſpielte ein Concertino für die Violine von
Cremont. Sein ſchöner angenehmer Vortrag, die feinſten Nüanzi-
rungen und Verzierungen, verbunden mit einer brillanten Ausfüh-
rung aller Paſſagen, erwarben ihm den ungetheilteſten Beifall der
Verſammlung. Die Wahl der beiden Deklamationsſtücke hätte an-
ſprechender ausfallen können. „Die Orakel⸗Glocke“ war der Feier
des Oſter⸗Sonntags nicht angemeſſen, und „der Gang nach dem Ei-
ſenhammer“, iſt ſo allgemein bekannt, daß er faſt in des Volkes Munde
lebt, der Reitz der Neuheit aber nur allein noch die ſehr in Abgang
gekommenen Deklamatorien einigermaßen aufrecht zu erhalten ver-
mag, doch iſt die Weberſche Muſikbegleitung ſehr charakteriſch und
von herrlicher Wirkung, hauptſächlich in der Stelle, wo beim Sanktus
der verborgene Chor eintritt und des Prieſters Rede beantwortet.
möge das Theaterperſonal in Wahl und Ausführuung ſeiner Stücke
für die Penſions⸗Anſtalt, ſich der nämlichen Beſonnenheit und Ge-
diegenheit befleißigen, von der das hieſige Hoftheaterorcheſter ein ſo
nachahmungswürdiges Vorbild gab.
Montag, den 19. April. Die Hochzeitfeier des Figaro.“
Oper in 2 Abtheilungen; Muſik von Mozart. (Siehe
Nro. 56. 1824. Nro. V u. 137. 1823.)
Die heutige Aufführung dieſer Oper näherte ſich wieder jener am
15. Juny d. v. J., welche wir damals nach Verdienſt würdigten. Die
Beſetzung war die nämliche; Spiel und Geſang nicht minder brav,
und wo lezterer fehlte, entſchädigte das erſte. Nur der Graf Alma-
viva, wurde von Herrn Hillebrand, vom Kön Preuß. Hoftheater in
Berlin als erſte Gaſtrolle gegeben; wir haben ihn, hinſichtlich des
Spiels und der ſich ganz dazu eignenden Perſöonlichkeit, hier noch nicht
veſſer dargeſtellt geſehen. Seine Stimme hat in der Tiefe bedeutenden
Umfang, Kraft und Wohllaut, in der Höhe, beſonders in den Mittel-
tönen aber, mochte ſie wohl durch vieles Reiſen und häufige Gaſtdar-
ſtellungen alterirt worden ſeyn.
Dienſtag, d. 20. April. Zum erſten Male: „Dir wie mir.“

Poſſe in 1 Akte, von Hensler.
Eine dumme Geſchichte, voller Verworrenheit und Unanſtändigkeit.
Man denke ſich nur, es kömmt dahin, daß die Männer ihre eigenen
Weiber dem verſchmitzten Lüſtling zuführen, der dann, man weißtnicht

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wie und warum, ein Sittenprediger wird, und ſeine abgedroſchene
Moral mit 12 Dukaten bezahlt. Ei! Ei! mein Herr Hensler, wo dachten
Sie hin, vergaſſen Sie denn ganz wie ſelten einem Teutſchen es ge-
lingt, locker und loſe zu ſeyn. Alle Anſtrengungen der Damen von
Buſch und Rüppell und der Herrn Grua d. J. und Obermayer waren
vergebliche Mühe; das Stück ward, trotz ſeiner Aegide: Poſſe,
ausgepfiffen, und das von Rechtswegen.
Hierauf:
„Der Kapellmeiſter von Venedig.“ Muſikaliſches Quodlibet
in 1 Akte, von Breitenſtein. (Siehe Nro. 16 und 22.
1821. Nro. 24. 1822. Nro. 29. 1823.)
Herr Freund vom Mainzer Nationaltheater gab den Baſſatino zur
erſten Gaſtrolle, und empfahl ſich dem hieſigen Publikum durch eine
italieniſche Buffo⸗Arie, die er mit ſeltener Virtuoſität, unter rau-
ſchendem Beifal, vortrug und wiederholen mußte.
Donnerſtag, den 22. April. Camilla.“ Oper in 2 Abthei-
lungen; Muſik von Paer. (Siehe Nro. 346. 1823.)
Die Darſtellung dieſer Oper von der wir ſchon, nach der lezten Auffüh-
rung am 6. April d. J.„ ausführlich geſprochen haben, erhielt durch
unſere beiden Gäſte neuen Reitz. Herr Hillebrand, deſſen Stimme ſich
von ihrer Heiſerkeit noch nicht erholt hatte, gab den Herzos als
mime vorzüglich. Seine ſchöne Geſtalt und Bühnengewandtheit
gab der Herzog'ichen Würde Ehrfurcht, und verlieh dem ſteten Wechſel,
von Schmerz, Zorn, Rache, Angſt und Liebe den Ausdruck tiefer Em-
pfindung und leidenſchaftlichen Gefühls; nur eine ungefällige Haltung
der Arme, iſt oft ſtörend, und den angenehmen Eindrücken entgegen-
wirkend. Herr Freund zeigte ſich in der bedeutenden Partie des
Cola, nicht nur als braver Sänger, ſondern auch als trefflicher Komi-
ker, beſonders in der Szene, wo ſeine vorherrſchende Furcht endlich
vom Schlaf beſiegt wird.
Freitag, den 23. April. „Die Schuld.“ Tragödie in“ Ab-
theilungen, von Müllner. (Siehe Nro. 56. 1824. Nro.
80. 1322. Nro. 39. 1823. Hugo, Graf von Oerindur:
Herr Hillebrand, dritte Gaſtrolle.)
Erlaſch.

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Tagebuch des Karlsruher Theaters.

Am 23. März. „Der Wollmarkt, oder das Hötel von Wiburg,“ L.
Am 25. „Die Nachtwandlerin,“ Singſp. in 2 A. und „die Papageye,“
L. in 1 A. Ein geiſtvoller verſtorbener Dichter, der beinaͤhe vergeſſen iſt,
dichtete und komponirte, als Nachtwandler, einige ſchäzbare Lieder.
Der Verf. der „Nachtwandlerin“ befand ſich offenbar nicht im Zu-
ſtande des poetiſchen Somnambulism, als er ſeinen Miſchling zur
Welt brachte, denn die Produktion deutet nicht blos aut vollkommen
wache, ſondern auch auf nüchterne Sinne. Was die Kunſt nicht ver-
mochte, das ſollte der Kunſtapparat erſetzen, darum wurden Muſik,
Tanz und Dekorationen zu Hülfe genommen, damit doch wenigſtens
Auge und Ohr hätten, was ſie erfreuen könnte. Der muſtkaliſche Tbeil
iſt des poetiſchen würdig; die Reminiszenſen abgerechnet, klingt das
übrige ſehr gemein. Mad. Neumann wurde herausgerufen. — „Die Papa-
geye“ ſind albern genug, hätte der Dichter nur den Verſtand gehabt,
die Szene in die Märchenwelt zu verſetzen, ſo konnte er ſeinem Stoff
doch noch eine komiſche Seite abgewinnen, aber dieſer Papageyvenwitz
und dieſe Papageyenſpäſſe müſſen uns, die wir längſt aus den Kinder-
jahren, und recht klug und verſtändig ſind, etwas abgeſchmackt
klingen. Mad. Mittel erſcheint in Rollen, wie die Baronin Steinberg,
immer als wackere Künſtlerin. Dem. Bauer ſpielte das Röschen mit der
Unbefangenheit und gemüthlichen Treuherzigkeit, wodurch der ſinnloſe
Charakter doch noch einen Schein von Wahrheit gewann. Die Szene

in der Laube zwiſchen Herrmann u. Marien hätte hinter die Couliſſen

gehört. (Fortſetzung folgt.)

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Verleger: Karl Groos, Neue akademiſche Buchhaͤndlung in Heidelbern. — Druckerei von F. Kaufmanns Witwe.
 
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