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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 66-78 (Juni 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0288

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Die beiden Ringe.

(ortſetzun g.)
Der ſpaͤtere Vormittag verging — weniger angenehm —
unter Anfragen und Antworten uͤber Geſchaͤftsſachen, welche
beide Handlungsgenoſſen, zu beſprechen hatten. Am Nach-
mittag hatte Ferdinand ſeine Ruckreiſe antreten wollen;
aber konnte es geſchehen? Wie er ſeine Chaiſe betrachtete,
ſchien es ihm: die eine Axe würde nicht aushalten bis
H.; der Kutſcher und Bediente, welche ſich ſehr wohl in
dem gaſtlichen Hauſe befanden, waren durchaus derſelben
Meinung; und eben ſo der herbeigerufene Wagner und
Schmidt. Die nicht eben betriebene Arbeit ging daher ge-
rade nicht raſch von ſtatten; ſo wenig raſch: daß der an-
gebliche Schade erſt am dritten Tage gebeſſert war. Doch —
immer noch zu fruͤh fuͤr den Eigenthümer, da dieſer ſich
zur Rückkehr weit weniger, als zum laͤngern Dableiben
geneigt fühlte.

Und dennoch war, waͤhrend der laͤngern Anweſenheit Fer-
dinands zu Buchenan, ſo Manches vergeſſen, was eigent-
lich mit der Haͤndlungsgenoſſin noch haͤtte beſprochen wer-
den müſſen. Sonderbar genug! da der ſorgſame Ferdi-
nand nie, was eben zu thun war, zu vergeſſen pflegte.
So ward ein zweiter, dritter und vierter Beſuch in Buche-
nau nothwendig, und immer war noch nicht Alles, wie es
ſeyn ſollte, abgemacht.

Ausgeſprochen hatte ſich Ferdinand über Bertha nicht ge-
gen ihre Mutter; ſelbſt in ſeinen Briefen an dieſe noch
nie. Wie hätte er auch vermocht, gegen die, fruher ſo
innig Geliebte, und jetzt ſo hochverehrte, immer noch, in
Ausſehen und Benehmen, ſo jugendliche Frau. — Bei
ihr zu werben um die Hand einer Andern, und wäre es
auch um die Hand ihrer einzigen Tochter! — um die reichſte
Erbin des Landes, zu werben! — Und dann die Verſchie-
denheit der Jahre! — Hatte Marie nicht einſt ſich dar-
über, als das eheliche Verhaͤltniß ſtoͤrend, ausgeſprochen? —
Nein, Ferdinand konnte das nicht uͤber ſich gewinnen! —
Indeſſen, was er für Bertha empfand, war dem ſcharfen
Blicke der Mutter nicht entgangen, und gern beguͤnſtigte
ſie des reifern, edien Mannes Neigung zu dem, etwa um
zwoͤlf Jahre jungern Maͤdchen. — Ferdinand hatte ſie
mißverſtanden! — Wohl ſtand er am Ende des dritten
Decenniums ſeines Lebens: aber dem Achtundzwanzig-
jährigen war ja noch Alles eigen, was den Jüngling em-
pfiehlt! — Wie trug ſein ganzes Aeußere, wie trugen
ſeine Worte und ſein beſcheidenes Benehmen, das Ge-
präge einer rein und ſittlich durchlebten Jugend!

Marie fragte, in dieſer Zeit, eines Abends die Tochter um

ihre Geſinnung, in Ruͤckſicht Ferdinands. — Erſt ein lan-
ges Schweigen, wobei der Blick des Maͤdchens zur Erde
ſich ſenkte. — Dann, auf neues Befragen, ihr ſchoͤnes
Angeſicht an die muͤtterliche Bruſt gelehnt, gab Bertha,
unter hohem Erroͤthen, die Antwort: „Ferdinand iſt von

allen Maͤnnern, welche ich kenne, der einzige, den ich
innigſt ſchaͤte und achte.“ — „Und — liebe?“ fragte
mit dem ſanften Tone, welchen das reinſte Muttergefüͤhl
eingiebt, Marie. Und Bertha bezeichnete mit einem bren-
nenden Kuſſe auf die, ebenfalls geroͤthete ſchoͤne Wange
Maria's, was der jungfraͤuliche Mund auszuſprechen, nun
eben nicht vermochte.

Von ihrer Mutter war Bertha ſeit jenem Tage mehr und
mehr in die Verhaͤltniſſe des innern Haushalts eingeführt,
wobei die würdige Frau Sieber, welche ſie einſt mit den
erſten Schriftzeichen bekannt gemacht hatte, redlich half,
und ſo, wiewohl in anderer Rückſicht, der aufgeblüheten
Jungfrau wieder ward, was ſie einſt dem Kinde gewe-
ſen? —treue Lehrerin. Leicht begrif die Schuͤlerin, und
in kurzer Zeit, wandte ſie mit großer Fertigkeit, das
Schnellaufgefaßte an.
Bei den nuͤtzlichen und wohlthaͤtigen Beſchäftigungen
der edlen Gutsbeſitzerin für die Umgebung von Buchenau,
war Bertha ſchon ſeit ihrem dreizehnten Jahre der Mut-
ter thaͤtiger Beiſtand geworden; anfangs nur, was dieſe
leitete, treu und mit Geſchick ausführend: ſpaͤter, —
ſelbſt leitend; oder nach den, von ihr geſchehenen, durch
Marie gebilligten Vorſchlaͤgen, weiblich milde, aber den-

noch kraͤftig und mit Umſicht handelnd.
0 fris ſicht h (Fortſetzung folgt.)

——— —222222ꝛ—— — — — — — — 9.———

Zur Geſchichte der Gegner des Sklavenhandels.

Herr Granville Sharp war bekanntlich zu Ende des letzten
Jahrhunderts einer der eifrigſten Gegner des Sklaven-
handels. Die Veranlaͤſſung, durch welche zuerſt ſeine lebͤ—
haftere Theilnahme für die ungluͤcklichen Schwarzen ange-
regt ward, war folgende:
Ein armer Negerburſch, Namens Sommerſet, litt an
einer Augenkrankheit, die fuͤr unheilbar erklaͤrt ward, und
ihn nach einiger Zeit völlig des Geſichts beraubte. Sein
Herr behandelte ihn nun wie ein unbrauchbar gewordenes
Stuck Waare, warf ihn auf die Straße, und uͤberließ es

ihm ſelbſt, durch Betteln ſein elendes Leben zu erhalten.

Allein wenige milde Gaben wurden dem armen Flehenden
mitgetheilt, und er ſah ſich nach kurzer Zeit in Gefahr,
an einer der beſuchteſten Straßen Londons, auf einer
Thuͤrſchwelle hingeſtreckt, Hungers zu ſterben. Doch jetzt
führte ſein guter Stern Herrn Sharp an ſeinem harten
Lager voruͤber. Elend bemerken und ihm abzühelfen ſu-
chen, war bei dieſem trefflichen Manne nur eins. Er ließ
den Leidenden ſogleich in das St. Bartholomaͤushospital
bringen, ſorgte ſelbſt für alle ſeine Bedürfniſſe, und über-
gab ſein Augenubel einem zuverlaͤſſigen Arzt zur Behaͤnd-
lung. Sehr bald kehrten die Kraͤfte des Kranken zuruͤck;
ja er hatte ſogar das Gluͤck, durch die Sorgfalt des kennt-
nißreichen Arztes nach einigen Monaten ſein Geſicht wie-
der zu bekommen. Herr Sharp verſchaffte ihm nun einen
ſehr guten Dienſt bei einer Dame ſeiner Bekanntſchaft,
verlor ihn aber dann voͤllig aus den Augen, und ſelbſt der
Name des armen Negers entfiel ſeinem Gedaͤchtniß.
 
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