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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 66-78 (Juni 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0289

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Nach zwei Jahren erhielt er einen Brief von einem

Manne, Namens Sommerſet. Dieſer Brief war im Ge-
faͤngniß geſchrieben, doch gab der Einſender keinen Grund
ſeiner Verhaftung an, ſondern bat nur flehentlich, daß
Herr Sharp, durch deſſen milden Beiſtand er ſchon ein-
mal vom Tode errettet ſey, ihn jetzt vor noch weit groͤ—
ßerm Unglück bewahren moge. Das menſchenfreundliche
Herz des braven Mannes trieb ihn ſogleich, den Brief-
ſteller aufzuſuchen, und er fand denſelben armen Neger,
dem er einſt Leben und Geſicht erhielt. Sein ehemaliger
Herr, von dem er in Elend und Hulfloſigkeit verſtoßen
war, hatte ihn als Bedienten auf dem Wagen ſeiner jetzi-
gen Gebieterin ſtehen ſehn, ihn erkannt, und auch ſogleich
bemerkt, daß ſein Augenübel geheilt und er wieder zum
Dienſt vollkommen brauchbar ſey. Mit einem Strom von
Schmaͤhworten drang er nun auf den armen Burſchen ein,
riß ihn eigenhaͤndig vom Wagen, und ließ ihn als einen
entlaufenen Sklaven ohne Aufſchub verhaften. —
Im Innerſten empört durch dieſe zwiefache Schaͤndlich-
keit, begab ſich jetzt Herr Sharp zu dem Lord Major, eine
beſtimmte Anzeige derſelben zu machen. Sommerſets ehe-
maliger Gebieter ward nun vor Gericht gefordert, und
Herr Sharp erinnerte ihn mit ſtrengem Vorwurf an ſeine
fruͤhere Barbarei gegen den huͤlflos Leidenden. Doch mit
den frechen Worten: wahrſcheinlich nach dem Zeitraum
ſeiner Entweichung von Krankheit befallen, habe der Burſch
dieß Maͤhrchen recht glucklich erſonnen — laͤugnete jener
das ganze unwürdige Verfahren. Gerichtlich zu erweiſen
war dieſes nicht, es blieb alſo Herrn Sharp nur uͤbrig,
ſich auf das Freiheitsrecht jedes Negers zu berufen, ſobald
dieſer den engliſchen Boden betrete. Hierauf geſtützt,
machte er eine Klage gegen den tyranniſchen Verfolger
ſeines Schuͤtzlings anhaͤngig; dieſe ward nach einiger Zeit
zu ſeinem Vortheil entſchieden, und ſo hatte er nicht nur
die Freude, den armen zagenden Burſchen von dem zum
Zweitenmal drohenden Joche zu befreien, ſondern auch die
noch groͤßere, auf ſeine Veranlaſſung zuerſt das Geſetz in
unwiderrufliche Kraft treten zu ſehen, welches jedem auf
engliſchen Boden angekommenen Neger perſönliche Freiheit
zuſichert; ein Geſetz, welches bis dahin noch von mehre-
ren vielgeltenden Rechtsgelehrten Englands angefochten
worden war. —
Von dieſer Stunde an richtete Herrn Sharps menſchen-
freundlicher Blick ſich immer ernſter und angelegentlicher
auf das Loos der unglücklichen Schwarzen, und er ward
einer ihrer entſchiedenſten Beſchützer. Unter anderm ſandte
er eine Anzahl brodlos gewordener Neger, welche in den
Straßen von London bettelten, ganz allein auf ſeine Ko-
ſten in ihr Vaterland zuruͤck, ſowohl um ihren eigenen
Zuſtand zu verbeſſern, als um den Samen künftiger Kul-
tur in Afrika auszuſtreuen. Dieſe Heimgekehrten bildeten
eine eigne Colonie, und erbauten eine Stadt, welche ſie,
ihrem Wohlthaͤter zu Ehren, Granville nannten. Sie liegt
am Fluſſe Sierra Leone, in der Nahe von Free Town.

Da einmal vom Kampf gegen den Sklavenhandel die Rede

iſt, moͤgen jetzt auch noch aus dem Leben vielleicht des be-
rühmteſten aller Negervertheidiger, Wilberforce, einige
kleine Zuͤge hier eine Stelle finden. Es erſcheint als merk-
würdig, daß dieſer durch ſeinen menſchenfreundlichen Eifer
fuͤr die Abſchaffung jenes Handels ſo bekannt gewordene
Mann eine ſehr ausgezeichnete, durch Geiſt und Gemuͤth
gleich liebenswuͤrdige Mutter hatte, der nach dem fruͤhen
Tode ſeines Vaters die Sorge fuͤr ſeine erſte Erziehung
ganz allein uberlaſſen blieb: und etwas Wohlthuendes
liegt in dem Glauben, weibliche Milde, weiblicher Trieb

ſich des Leidenden anzunehmen, habe zuerſt in dem zarten

Gemüuͤth des Knaben jene Regungen geweckt, deren Ein-
fluß auf ſein ſpaͤteres Wirken naͤchher ſo bedeutend ward.
— Aber ſchmerzlich wird von der andern Seite das Ge-
fuͤhl durch die ernſte Kunde bewaͤhrt, eben der Mann,
deſſen edles Streben ihn zu einer Begeiſterung erhob, de-
ren Feuerſtrom ſelbſt manches kaͤltere Herz unwiderſtehlich
mit ſich fortriß, habe in ſolchem Grade mit Schwaͤche des
Korpers zu ringen gehabt, daß er jede ſeiner ergreifendern
Reden im Paͤrlament mit eigenem mehrtaͤgigen Leiden
büßen müſſen. — So vereinzelt ſpendet der Himmel ſeine
edelſten Gaben! ſo ward vielleicht auch hier Leiden, Ent-
behren, Ertragen, zum Bildungsweg der Seele. Denn
im würdigen Kampf — von welcher Art er auch ſey —
wird ja wunderbar oft Geiſt, Kraft und Gemüth am Herr-

lichſten geſtaͤrkt.
Caroline Stille.

Epigramme.

Der Kunſtliebhaber.
Hans fühlt zur Kunſt ſich hingetrieben,
Und luſtig faͤngt er an, am Nackten ſich zu uͤben.
Auf eine indecent gekleidete Schauſpielerin.
Mit dem Geiſte mocht' es nicht gelingen,
Mit dem Fleiſche wird ſie's leichter zwingen.
Die Geſchmückte.
Vom Schlachtfeld kehrt der Sieger mit Trophaͤen,
Hier koͤnnt ihr ſie an der Beſiegten ſehen.
An Corrinna.
Sich mit dem Preis der Schande ſchmuͤcken
Heißt, mit dem Adelsbrief das Loch im Strumpfe flicken.
Corrinnens Bild. ö
Was mackelt ihr denn an Corinnens Bild?
Den offnen Buſen? Ei, der dient zum Wirthshausſchild.
ber.

2 — —— — — —— — — — —— —cůb5....=

Gedanken⸗Archipelagus.

(Fortſetzung.)
29. Wo viel geſtraft wird, fehlt es nicht an Belohnun-
gen. Die Tugend wird nicht belohnt.
30. Die Leſeſtücke heißen jetzt gewoͤhnlich Deklamirubun-
gen — wie man Holz nicht nur ſchneiden, ſondern
auch räͤſpeln kann.
31. In unſerer Zeit brennt das Feuer unter dem

Altare.
(Fortſetzung folgt.)
 
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