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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 105-117 (September 1824)
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Amerika, von allem abweicht, was die revolutionaͤren Koͤpfe
von dieſer Seite des Atlantiſchen Ozeans her in ihm zu ſehen
glaubten.
Wollen wir nun annehmen, daß jene Reſultate, die wir
jezt aus dem natuͤrlichen Lauf der Begebenheiten herleiteten,
durch Gewalt herbeigefuͤhrt werden ſollten, dann wuͤrden zwei
moͤgliche Faͤlle eintreten: der eine, daß ſich große Maͤchte ver-
einigten, unmoͤgliche Vereinigung, wenn man die Schritte be-
denkt, die ſchon eine von ihnen gethan; der andere, daß Spa-
nien allein einen Verſuch wagte, ſeine Amerikaniſchen Provin-
zen wieder zu gewinnen. Wir haben bereits vor Augen ge-
legt, was fuͤr und wider den entſcheidenden Erfolg einer ſol-
chen Unternehmung ſpricht; der unmittelbare Erfolg wuͤrde ge-
wiß ſeyn, die Macht der Heerfuͤhrer zu verſtaͤrken, die Volks-
koͤpfe zu erhitzen, und jenem Geiſte kriegeriſcher Demokratie
Nachdruck zu geben, welcher die Republik Columbien ſchuf.
Es iſt alſo zu befuͤrchten, daß, wenn man der Revolution einen.
ungleichen Kampf anbietet, man ihr einen neuen Triumph be-
reitet, waͤhrend wenn man ſie beobachtet, ein wachſames Auge
auf ſie richtet, ſie ſich in ſich ſelbſt verzehren laͤßt, man ohne
Kraftanſtrengung, ohne Ungluͤcksfaͤll, ohne Europaͤiſches Blut-
vergießen, Amerika zu einer Ordnung der Dinge wird gelan-
gen ſehen, die nichts Beunruhigendes fuͤr Europa haben kann.
Aber es giebt noch eine andere Art von Vermittelung, als dte
Verſendung europaͤiſcher Heere. Die Rechtmaͤßigkeit hat wuͤrdigere
Dolmetſcher als Kanonen und Saͤbel; ihre Sprache iſt die
des Friedens; ihr Triumph der der Vernunft; ſie will uͤber
Herzen, aber nicht uͤber Truͤmmer herrſchen.
Welche glorreiche und einzige Rolle koͤnnte Spanien nicht
in dieſer großen Kriſis ſpielen! Mutter aller dieſer nenen
Voͤlker, wuͤrde es nicht zugleich ſeinen Vortheil und ſeinen Ruhm
befoͤrdern, wenn es ihnen behuͤlflich waͤre, die in den gegenwaͤrtigen
Verhaͤltniſſen moͤglichſt beſte Ordnung der Dinge zu befeſtigen?
Laut kann es geſtehen, ja ſelbſt mit gerechtem Stolz, daß ſein
Reich zu ausgebreitet iſt, um eine einzige Oberherrſchaft zu
bilden; daß die neuen Nationen womit es eine Haͤlfte des
Erdkreiſes bevoͤlkert hat, Regierungen beduͤrfen, und daß es ſeine
Schuldigkeit iſt, ſie ihnen zu geben. Um ſeine Stimme inmit-
ten der Amerikaniſchen Staaten ertoͤnen, um ſich mit großen
Anſehn vernehmen zu laſſen, ſollte Spanien, welches ſeinen
Nationalcharakter und ſeinen Widerwillen fuͤr jeden fremden
Einfluß gezeigt, nur ſpaniſche Kommiſſaͤre dahin ſenden, beauf-
tragt, ſelbſt im Schoße der Repreſentatif-Verſammlungen,
die Wuͤnſche der Amerikaniſchen Voͤlker zu ſammeln, und ihnen
den Wunſch einer großen, allgemeinen Verſoͤhnung mitzutheilen.
Wenn Spanien ſo in einem Familien-Kongreß die Laͤnder
beider Hemisphaͤren vereinigt, dann wird es wahrſcheinlich ſe-
hen, wie der groͤßte Theil dieſer Voͤlker Prinzen ſeines Gebluͤts
zu Herren verlangen wird, und wie ſie ſich aufs Neue durch

ein herzliches Buͤndniß anſchließen werden, welches die Haupt-

ſtadt zur hoͤchſten Stufe des Glanzes und der Macht zuruͤck-
fuͤhren wuͤrde.

Das haͤtte auch England zur Zeit des Aufſtandes ſeiner
Colonien thun ſollen; in dieſem Geiſte handelt es gegenwaͤrtig
hinſichtlich der Vereinigten-Staaten. Herrin des Ozeans, ſucht
ſie die Freundſchaft eines noch wenig furchtbaren Freiſtaats;
ſchon iſt es ihr dergeſtalt gelungen, daß Canning ſagen durfte,
das zwiefaché England bilde nur eines durch Vortheile wie
durch Geſinnungen, durch Sitten wie durch Sprache.
Wir ſind unwillkuͤhrlich durch die Betrachtungen uͤber die
wichtigen Denkwuͤrdigkeiten des General Iturbide hingeriſſen
worden, jene große Frage zu erwaͤgen, welche in dieſem
Augenblick ſelbſt Europas Kabinette beſchaͤftigt. Vielleicht ha-
ben wir uͤber alle Begebenheiten nicht hinlaͤngliche Auskunft
erhalten, wenigſtens iſt es gewiß, daß wir ſie uͤber mehrere
derſelben nicht erhielten, die wir naͤher zu kennen Verlangen
trugen. Vielleicht ſind die Kabinette Europas ſelbſt nicht reich
genug an beſtimmten Nachrichten uͤber dieſen Gegenſtand;
ſind ſie es, warum geben ſie nicht der Welt genaue und glaubͤ—
wuͤrdige Auskunft! Dies wuͤrde dem Publiko den Voftheil
eines richtigen Urtheils gewaͤhren. Dies iſt eine Art von Pub-
licitaͤ, welche in unſerer Zeit ſchlechterdings nothwendig iſt,
und die ſich mit den wahren Geheimniſſen der Diplomatik ſehr
wohl vertraͤgt. K. v E.

teflexionen.

Auch das Leben der Geiſter iſt ein ſtetes Anziehen und Ab-
ſtoſſen der Kraͤfte. Wir fuͤhlen uns oft zu dem wichtigſten Ge-
ſchaͤfte untauglich, da belebt uns die fremde That, der Geiſt
mit welchem das Geſchaͤft ergriffen wird; oder auch der fremde
Fehler reizt uns zum Widerſtand, zur Vernichtung des Man-
gelhaften, und ſtolz rafft ſich unſer Muth zu neuem Handeln
auf, und beſeelt mit unſichtbarer Gewalt oft eine lange Reihe
von Weſen. Darauf beruht auch was wir Intereſſe nen-
nen. Alles iſt uns intereſſant, was unſere Thaͤtigkeit in eine
angemeſſene Bewegung ſetzt; das hoͤhere Intereſſe beruht in
dem, was das Denken uͤber die alltaͤglichen Forderungen ſitt-
licher Triebe erhebt; das hoͤchſte Intereſſe gewaͤhrt die Sache
der Menſchheit, denn ſie nimmt alle unſere Kraͤfte in An-

ſpruch.

Sehr haͤufig vergleichen die Neuern die Poeſie mit einem
Spiegel. Aber oft wirft dieſer Spiegel nur die eitle Perſoͤn⸗
lichkeit derer zuruͤck, die vor dieſen Spiegel treten, und da-
her kommt es wohl, daß viele Autoren, die ſich gern in jeder
Pfuͤtze beſehen, ihr modiſch aufgeputztes Ich aus dem Spiegel
ſolcher Unreinigkeit, zu Nutz und Frommen der ſogenannten
eleganten Welt, abkonterfeien. Ich vergleiche die Poeſie viel-
mehr mit dem Ocean der den Erdenkreis umfließt, und den
ganzen Himmel mit ſeinen unzaͤhlichen Welten, nicht minder,
als die Kuͤſten, die ihn umgeben, ſo wie das kleine Auge, das
uach dem fernen Jenſeits blickt, in ſeine Wogen ſtrahlenbre-
chend aufnimmt. (Fortſetzung folgt.)
 
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