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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 105-117 (September 1824)
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Nachrichten uͤber Kunſt, Leben und Wiſſenſchaft. ö

Korreſpondenz⸗Nachrichten.

Berlin, den 6. Auguſt, 1824.

(Fortſetzung.)
Endlich erſchien der vierte Auguſt und mit ihm die Stunde, wo der
neue, eigentlich nur dem Scherze und der Erholung geweihte Muſentem-
pel auf dem Alexander-Plate, das Koͤnigsſtaͤdter Theater, eroͤfnet wer-
den ſollte. Dem Hoftheater durfte die Ehre der alleinigen Feier des koͤnig-
lichen Geburtstages nicht verkümmert werden — und ſo war dieſe ſoge-
nannte „Volksbühne“ auf die Nachfeier beſchraͤnkt. Wenn dieſe nun auch
in einem recht huͤbſchen Prolog, in reimloſen Jamben, von einem jungen
ſehr ſchoͤnen Mädchen, einer Demoiſelle Bauer — recht artig ausgefprochen
ward — wobei nur ihre Befangenheit, und die ſcharſe Ausſprache des Con-
ſonnanten 8, den ſie wie ein eß klingen lies — etwas ſtoͤrend eintrat: ſo
hatte die Direktion doch ſehr ſinnig, die eigentliche Tendenz dieſer
Bühne, nämlich nur Erheiterung und Erholung zu bezwecken, durch
eine Art von Introduktion bezeichnet, welche auf überraſchende Weiſe dem
Prologe voranging; und gleichſam andeutete, wie hier die Kunſt ſich beru-
fen fühle unter Scherz und Tändeln, zu den ernſteren, dem Geſchmacke und
den ähſtetiſchen Forderungen, naͤher liegenden Schoͤnheiten, überzugehen.
Es erſchienen nämlich beim Aufrollen des Vorhanges, die drei Regiſſeure
Schmelka — beruͤhmter Komiker aus Breslau, Nagel — ehemals Regiſ-
ſeur beim Hoftheater in Darmſtadt, ald trefflicher Kuͤnſtler bekannt; und
Angelyh — lange Mitglied der Bühne in Petersburg, ein gewandter Dar-⸗
ſteller der leichtern Weltmänner, den man auch als guten Ueberſetzer nennt
— in kleinen Pauſen nach einander. Der Erſtre ſprach recht launig als
ſey er eben erſt von der Reiſe gekommen, über mancherlei, wofür er die
Rachſicht des Publikums in Anſpruch nahm, unter andern über den ſchein-
baren Misgriff in der Wahl des heutigen Stuͤcks, deſſen Titel er von dem
aus dem Soufleur-Kaſten genommenen Buche ablas, nämlich „„die Ochſen-⸗
Menuet.“ Er ſprach mehreres uͤber die nahe liegende Moͤglichkeit des Witzelns
bei dieſer Gelegenheit (— vermuthlich weil ſchon wirklich in einer hieſigen
Zeitſchriſt daruͤber gewitzelt worden). Ob die Direktion jedoch weiſe ver-
fuhr am Abend der Eroͤffnung ihrer Buͤhne, den erſten Komiker derſelben,
gleich bei ſeinem erſten Erſcheinen mit beißenden Anſpielungen um ſich
werſen zu laſſen, indem er von „italieniſchen Trommelſell-Ruͤttlern“ und
der Vorliebe dieſes Theaters fuͤr teutſche Kunſt ſprach, die ſich an den
Produktionen eines Beethoven, Gluck, Haidn, Mozart u. ſ. w. begnuͤgen
wuͤrde; das wage ich, trotz dem lärmenden Beifall der Menge nicht zu
entſcheiden. Es verſteht ſich, daß unter jedem Himmelsſtriche die Vorliebe
des Künſtlers ſuͤr ſeine vaterländiſche Kunſt an ihrem Platze iſt; auch die
teutſche Muſik gewichtige, beſonders wiſſenſchaftliche Vorzuͤge vor den Uebri-
gen hat: — doch aber glaube ich, daß (den Umſtand abgerechnet wie das
Koͤnigsſaͤdter Theater ſeine Beſtimmung, aus den ihm auferlegten Be-
ſchraͤnkungen nach, nur ſelten in den Fall kommen dürfte, die Meiſterwerke
der gedachten Compoſiteurs aufzufuͤhren — da es ſo viel man im Publikum
weib, auf die Poſſe, das Licderſpiel „Vaudeville“ u. ſ. w. angewieſen iſt)
es zarter geweſen ſeyn wuͤrde, das praktiſche Kunſtleben in unſerer Haupi-
ſtadt, nicht mit unfreundlichen Anſpielungen gerade in einem Moment an-
zutreten, wo alle Partheien geſpannt ſind. Nagel — Regiſſeur des Schau-
ſpiels — ſprach recht verſtaͤndig uͤber die Schwierigkeit, einen Prolog für
eine Buͤhne zu ſchreiben; die ſeit Jahr und Tag die allgemeine Aufmerk-
ſamkeit und Erwartung errege, von der die ſeltſamſten Geruͤchte zirkulirten,
und die beſtimmt ſey, Shakspeare, Calderon, Moliere, Kotzebue, Schroͤder us a.,

———

uͤber ihre Bretter ſchreiten zu ſehen. (— Ein allgemeines Erſtaunen er-
griff uns bei dieſer unerwarteten Nachricht. —) Ein Theater auf welchem
die Prinzeſſinnen nicht ſchluchzen, die Liebhaberinnen nicht zu oft in Ohn-
macht fallen, die Komiker keine obſcoͤnen Witzeleien ertemporiren, keine
Hinderniſſe eintreten dürften. Auch hierin glaubte das Publikum Anſpie-
lungen zu finden, und klatſchte um ſo unmäßiger, je beſtimmter es vielleicht
allenthaͤlben, beſonders aber hier, ſich hauptſächlich bei Kunſtproduktionen
einfindet, um das Vergnuͤgen des Kritiſirens zu genießen.
(Fortſetzung folgt.)

Ham brurg, den 20. Juni, 1823.
(Fortſetzung.)

Wir ſind durch Demoiſelle Pohlmann auch in dieſer Hinſicht ſehr ver-
woͤhnt, denn nicht allein iſt ihre Erſcheinung auf der Bühne eine in jeder
Hinſicht anmuthsvolle und ſchoͤne, ſondern auch ihr Spiel ſo belebt, ſo
durchdacht, daß ſie die Zierde des recitirenden Schauſpiels ſeyn wuͤrde, wie
ſie es jezt die unſrer Oper iſt; freilich iſt das eine ſehr ſeltene Vollkommen-⸗
heit an Saͤngern und Saͤngerinnen, die meiſt nur ſingenden Automaten
gleichen, aber wir ſind nun einmal durch dieſe liebliche Künſtlerin, und auch
durch unſern erſten Tenoriſten, Herrn Klengel, wie ſelbſt durch die meiſten
andern Mitglieder unſerer Oper, an gutes Spiel gewoͤhnt, und empfinden
ſo leicht den Abgang deſſelben. Unſre Altiſtin, Madam Mädel, ver-
ſhmaͤht es im loͤblichen Fleiße ſogar nicht, häufig, und oft mit ſehr. gluͤck-
uchem Erfolge, im reeitirenden Schauſpiele aufzutreten; ſolch wackeres Be-
ſtreben verdient Anerkennung, und ich freue mich, ſie dieſer Frau hier zu
Theil werden laſſen zu koͤnnen. Die Hauptſumme aller dieſer Bemerkungen
iſt, daß Mad. Braun nicht bei uns angeſtellt ward, wie man zu Anfang
hoffte, daß ſie es werden würde, denn da ſich ein bedeutender Theil des Pub-
likums gegen ſie erklaͤrte, durſte dieß die Direktion nicht, ohne zuviel zu
wagen.
Eine andere Madam, früher Demoiſelle, Braun, welche ſonſt an un-
ſerm Theater angeſtellt war, ließ ſich in einigen Geſangſtuͤcken, wie ihr
Gatte auf der Obode hoͤren. Das von ihm Gegebene waren Compoſitionen
von dem Künſtler ſelbſt; eine Ouvertuͤre wollte nicht anſprechen, weil ſie
zu viel Reminiscenzen enthielt; dagegen gefiel ein Oboe-Concertino mit
Recht gar ſehr; der Kuͤnſtler iſt Meiſter auf ſeinem ſchwierigen Inſtru-—
mente und verdient Auszeichnung; der lebhafteſte Beiſall ward ihm zu
Theil. Was ſeine Gattin gab, war nicht neu, und iſt beſſer von uns ge-
hoͤrt worden; die Stimme hat eine gewiße Schaͤrfe, ihre Figuren ſind nicht
mit Correktheit vorgetragen und zu einfoͤrmig, doch rief man ein da Capo
aus alter Gunſt; nun, wer will das verdammen? —
Die Pantomimen, Le vin, treiben noch immer ihr Weſen; aber morgen
(den 21. Juni) zulezt, und dafuͤr ſey dem Himmel gedankt, indem das bunte,
unwuͤrdige Weſen dem Beſſern und Gediegenern den Raum verengte. Man
gab im Ganzen nur zwei verſchiedene Darſtellungen: „den goldeuen Schluͤſ⸗
ſel, oder der bombardierte Harlequin,“ und „Harlequin im Zaubergarten,
oder der Sternenſee.“ Ich kann nicht entſcheiden, welche Pantomime die
unſinnigſte iſt, denn ich ſah nur die erſtere, und hatte vollkommen genug
daran; doch wurde ſie bei ſehr vollem Hauſe ſechs Mal! !! gegeben; die
leztere erſcheint morgen zum fünften und lezten Male auf den Brettern.
(Fortſetzung folgt.)

Redakteur und Herausgeber: Fr. K. Frhr. v. Erlach. — Kommiſſionär: K. Groos, Neue akad. Buchhandlung in Heidelberg.
Druckerei des kathol. Buͤrgerhoſpitals in Mannheim.
 
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