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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 105-117 (September 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0463

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Nachrichten uͤber Kunſt,

Leben und Wiſſenſchaft.

Korreſpondenz⸗Nachrichten.

———
Berlin, den 6. Auguſt, 2.
(Fortſetzun g.)
Angely kam nun an die Reihe. Er begruͤßte das Publikum mit der
Gewandtheit des feinen Weltmanns, und bat um die Erlaubniß ſeine
Mitkuͤnſtler beiderlei Geſchlechts vorzuſtellen. Die Mittelgardine rauſchte
empor, und ließ eine aͤußerſt gut gemahlte Säulenhalle ſchauen — an de-
ren einen Seite das männliche, an der andern das weibliche Perſonale ge-⸗
reiht ſtand. Angely fuͤhrte nun Demoiſelle Bauer, ſie als „junge“ Kuͤnſt-
lerin vorſtellend — in den Vordergrund der Bühne. Sollte ſich das „jung“
auf den Künſtlerſtand beziehen? und alſo ein Für- und Bor-Wort be-
deuten? daß ſie als Mädchen ein ſehr huͤbſches in friſcher Jugendfuͤlle pran-
gendes iſt, haben wir ohne Verſicherung freudig wahrgenommen. Dieſe
bielt nun den ſchon erwähnten Prolog der mit dem Bedauern ſchloß; daß
es ihnen geſtern am Geburtstage Sr. Majeſiät nicht vergoͤnnt gewe ſen
ſey, ihre Buldigung darzubringen, und ſie es heute nachholen muͤßten.
Ein viermaliges, vom ganzen Publikum mit Begeiſterung wiederholtes
Vivat dem Koͤnige gebracht, ertoͤnte, und das Lied „Heil dir im Sieger-
kranz“ wozu der Text auch hier vertheilt ward, wurde angeſtimmt; worin
ſämmtliche Anweſende einſtimmten bis der Vorhang fiel. Als Entreakt
folgte nun eine eigends von Beethoven für dieſen Zweck eomponirte Feſt-
Simphonie im grandioſeſten Stil, welche das Orcheſter wuͤrdig und mit
großer Präciſion ausfuͤhrte. „Der Freund in der Noth“ der nun
begann, war die erſte eigentliche dramatiſche Produktion, denn das
unerwartete Intermezzo der drei Regiſſeur, war eher fuͤr ein artiges, gut
gedachtes Impromptü zu rechnen. Die Zeit und das Gewirre erlaubten
mir nicht die Fabel dieſer Poſſe zu notiren, aber gewiß war ſie unterhal-
tend, und wurde durchgängig raſch und gut gegeben. Demoiſelle Schirer
als Schwäbin, und Hr. Schmelka als Zweckerl, ein Wiener Paſteter, wur-
den oft durch Beifallsbezeugungen in ihren Reden unterbrochen. Am Schluß
wurde das geſamnite Perſonale hervorgerufen.
Endlich begann das ſo ſehnlich erwartete Singſpiel, deſſen ſonderbarer
Titel ſchon Tagelang Neugier und Witz, voreiligen Tadel, wie vorlaute
Erwartungen angeregt hatte — die „Ochſenmenuet“ von Hofmann, die
Muſik von Seifried nach Haidns Compoſition arrangirt. Das Stück hat
die Tendenz uns Haidn als Künſtler und Menſchen im bürgerlichen Kreiſe
vorzu fuͤhren. Wir erblicken ihn in der lezten Beziehung wie er voll Wohl-
wollen und Güte, nur Liebe und Segen um ſich verbreitet. Den Kuͤnſt-
ler finden wir voll heiliger Begeiſterung — nicht jener ſtuͤrmiſchen, die ſich an
ihren eignen Flammen die Flügel verſengt, — nein, jener ſtillen frommen,
für das Hoͤchſte im Leben und der Bruſt Ergluͤhenden. Er ſpricht es aus,
wie er im Anſchauen „des Sternenmantels heiliger Nacht““ Kraft finde,
„die Schoͤpfung“ darzuſtellen, und im Genuß einer bluͤhenden Fruͤhlings-
natur zur Vollendung „der Jahrszeiten“ begeiſtert werde.
Zu dieſem Haidn kommt ein ungariſcher Ochſenhaͤndler, ein kräftiger,
unkultivirter, jovialer, für die Muſik ungewoͤhnlich eingenommener Mann.
Er bittet den „Maſter Hoadn“ füͤr die nahe Hochzeit ſeiner Tochter eine
Menuet zu ſchreiben, und trägt dieſe Bitte mit Wärme aber ächt komiſch
vor. Haidn laͤchelt, und will den Supplikanten mit irgend einer vorraͤthi-
gen Menuet abſpeiſen, wogegen jener proteſtirt, und eine eigends für dieſe
Gelegenheit componirte verlangt. Haidn will ſich Zeit ausbedingen, wor-
auf aber der Ungar nicht eingeht, vielmehr rund erklärt, wie er die Menuet
durchaus noch heute bekommen müſſe, und vorausſezt, ein ſo großer Mei-

2 —

ſter werde ſie leicht in einer halben Stunde anſertigen koͤnnen. Endlich
willigt Haidn lächelnd ein. Der Ungar iſt außer ſich für Freude, und will
ſie auf der Stelle von ſeinen ſaͤmmtlich muſikaliſchen Verwanden auffuͤhren
laſſen. Haidn wird feierlich eingeladen Zeuge dieſes Vorganges zu ſeyn.
(Fortſetzung folgt.)

Samburg, den 20. Juni, 1824.
(Fortſetzung.)
Nur Herr Levin zeichnet ſich als Harlequin durch Gewandtheit und be-
ſonders durch ſeltene Muskelkraft aus; alles Andere iſt unter dem Mittel-
maͤßigen, und ſelbſt die Verwandlungen ſind auf jedem Metamorphoſen-
Theater tauſendmal beſſer zu ſehen. An kunſtgerechten Tanz, an ſinnige
und geſchmackvolle Gruppirungen iſt nicht einmal zu denken; die Scherze
ſind abgenuzt und platt, oft ſogar im hoͤchſten Grade unanſtändig und
zotenhaft — und ſolchen raͤumte man Thaliens, Melpomenens und Euter-
pens geheiligten Tempel ein? — Otempora, o mores! Nun, das Schlechte
mag in Maſſe kommen, um endlich durch ſich ſelbſt erſtickt zu werden, denn
jede warnende Stimme verhallt in der Wüſte; warum denn eigentlich noch
reden? man ſollte lieber die Arme in einander ſchlagen und dem Unweſen
mit Gelaſſenheit zuſehen; wer doch gelaͤſſen ſeyn koͤnnte!! —
Aber nur Geduld, wenn erſt die Hunde und Affen auf unſern Büh-
nen tanzen, die Baͤrenfuͤhrer ihre Künſte mit ihren Beſtien darauf pro-
duciren, dann wird das ſchlaftrunkene Publikum erwachen, das Unweſen
mit Feuer und Schwert ſelbſt ausrotten, und den entflohenen Muſen ihr
gereinigter Sitz zum ewigen Eigenthume wieder eingeräumt werden! Ich
dachte mir waͤhrend der Aufführung jener unwürdigen, zorenhaften Panto-
mime immer, welch ein Schrecken das jauchzende Publikum und die Dar-
ſieller wohl ergreiſen wuͤrde, wenn ploͤtzlich Schroͤders Geiſt, rieſengroß und
furchtbar mit drohendzürnender Miene über die entweihte Bühne, der er
Wuͤrde und Glanz verlieh, hinſchritte und ſo den ganzen Plunder über den
Haufen wuͤrfe. Nein, es giebt keine Wiederkehr aus dem Reiche der
Schatten, denn ſonſt haͤtte ſich ereignen müſſen, was meine aufgeregte
Phantaſie ſich während der Darſtellung jener Pantomime dachte.
Ein Gluͤck für mich neuem Reſerenten iſt es, daß ich gleichſam die
Knipchen in der Taſche fchlage, d. h. daß dieſer Bericht den Damen Levin
erſt zu Geſichte kommt, wenn ſie ſchon fern von hier ſind, denn ſonſt wurde
ich, wie der arme Breslauer Leidensbruder, einen Beſuch, gecompagnirt
von einem antikritiſchen Donnerwetter, von ihnen zu erwarten haben, und
wie er aufgefordert werden, beſſer als ſie zu tanzen, was leicht moͤglich
ſeyn koͤnnte, aber mich doch genieren wuͤrde, da ich lange nicht getanzt, am
wenigſten nach Anderer Pfeife.
Es iſt ein ſchlechter Troſt, den uns Goethe im Fauſt giebt, uns Rezen-
ſenten und Kritikern naͤmlich, die wir es ernſt mit Kunſt und Wiſſenſchaft
meinen:
“— — Die Wenigen, die was davon erkannt,
„„Die thoͤricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
„Dem Poͤbel ihr Gefuͤhl, ihr Schauen offenbarten,
„Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.“
Aber wer kann trotz dem, ruhig mit dem Strom der Seichtigkeit und
des Unweſens fortſchwimmen? Doch genug, nun wieder zu den Lichthoͤ⸗
hen der goͤttlichen Kunſt! (Fortſetzung folgt.)

Berichtigungen.
Nro. 88. Sp. 5 Z. 16 lies: den Ton, ſtatt: der Ton
— — — 25 — einen nachtheiligen, ſtatt: immer nachtheiligen
— — 6 — 5 — eeine Predigt, ſtatt: kein Verdienſt
— — — 18 — verlezt, ſtatt: zulezt.

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Redakteur und Herausgeber: Fr. K. Frhr. v. Erlach. — Kommiſſionär: K. Groos, Neue akad. Buchhandlung. in Heidelberg.
Druckerei des kathol. Bürgerhoſpitals in Mannheim.
 
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