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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 105-117 (September 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0462

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fuͤr welche ſie berechnet ſind, kommt ihr in den meiſten Faͤllen
zuvor und von etwas Anderm, als dieſen Gefuͤhlen, kann nicht
die Rede ſeyn. Ihr bliebe alſo im Allgemeinen nur noch der
Einfluß auf die Verfaſſer uͤbrig, und damit ſind wir bald fertig.
1 Herr Joͤrdens erzaͤhlt gut, das iſt ſo ziemlich bekannt.
Er beſizt Gewandtheit in der Sprache, legt die Plaͤne nicht
ungeſchickt an, und hat Phantaſie, um im Nothfall eine Un-
wahrſcheinlichkeit zu bemaͤnteln, aber nicht Schaͤrfe des Verſtan-
des genug, um hierin der Phantaſie nicht zu beduͤrfen. In
der erſten Erzaͤhlung: (Die Stimme des Bluts v wird eine
Graͤfin durch Liſt ihrer Schwaͤgerin, um ihr eben gebornes Kind
gebracht, und von der Wehmutter uͤberredet, ſie habe blos in
Gedanken geboren, d. h. ſie ſey gar nicht ſchwanger geweſen.
Wir koͤnnen nicht ſagen, in wie weit eine Frau im neunten
Monate davon zu uͤberzeugen ſey, aber wie ſteht es mit dem
Arzte, der nicht zu dem Betrug beſtochen worden iſt? Die reiche,
kranke Graͤfin zu Paris hat keinen! Was ſagt aber ihr Mann,
der ſie liebt, der nicht von ihrem Bette gekommen iſt, bis zur
entſcheidenden Stunde? Er glaubt der Wehmutter. Da hat
ſich Herr Joͤrdens das Spiel etwas zu leicht gemacht. Wir
koͤnnten ihm beweiſen, wenn wir es fuͤr noͤthig hielten, daß
unter ſolchen Umſtaͤnden ein ſolcher Betrug nicht moͤglich
war. — Die folgende Erzaͤhlung dieſes Buches von Klotar iſt
eine Ueberarbeitung von: (Eine ſchoͤne Hiſtoria von Engelhardt
aus Burgund, Herzog Dietherichen von Brabant, ſeinem Ge-
ſellen vnnd Engeldrut u. ſ. w. Vormals nie im Druck aus-
gangen. Gedruckt zu Frankf. a. M. MDLXXIII.9 Warum
ſie nochmals im Druck ausgangen, begreifen wir nicht wohl.
Man ſtoͤßt hier auf eine noch groͤßere Unwahrſcheinlichkeit, die
ſich in unſern Augen blos dann aufheben wuͤrde, wenn man
die Lehre von den millionenartigen Combinationen des menſch-
lichen Geſichts nicht kennte. Zwei ſchoͤne Ritter (nicht einmal
Bruͤder) ſehen ſich ſo aͤhnlich, daß eine ſchoͤne Prinzeſſin den
Freund ihres Braͤutigams nicht von dieſem zu unterſcheiden
vermag und ein Beilager, wenn auch nur ein trocknes, mit ihm
haͤlt. Die alte Geſchichte erzaͤhlt nicht, ob blos der Winkel,
unter welchem der Augenſtrahl gefallen iſt, ſchief geweſen ſey. —
2) Ewald iſt ſchon deßwegen vor ſolchen Mißgriffen mehr
geſichert, als ſeine Vorgaͤnger, weil er auf Grund und Bo-
den der Geſchichte baut. Vielleicht der einzige Vortheil, den
man aus der Wahl hiſtoriſcher Stoffe ſchoͤpft, wie Ariſtoteles
(Poet. 9, 6.) ſchon laͤngſt geſagt hat. Sucht man glaͤnzende
Darſtellungen, großartige Gemaͤlde, ungewoͤhnliche Leidenſchaf-
ten, ſo wird man ſich taͤuſchen. Es iſt ungefaͤhr das Treiben
eines Feldlagers in der Naͤhe eines Staͤdtchens. Steht man
in einer gehoͤrigen Ferne, ſo wird es intereſſant, eben weil
man in der Ferne ſteht. Will man, nach Art der Maler-
ſchauſpiele, nach einem Pinſel klaſſificiren, ſo kann man dieſe

Huſſiten ein Produkt der niederlaͤndiſchen Schule nennen.

Leipziger Studenten ſpielen eine Hauptrolle und beweiſen da-
durch den niedergeſetzten Commiſſionen, daß dieſe Leute ſich
gern in politiſche Angelegenheiten miſchen. Wir moͤchten da-

her dverdoppelte Aufmerkſamkeit anrathen. Der Stil iſt im

ganzen angenehm, nur warnen wir den Verfaſſer vor dem
zu haͤufigen Gebrauch der Beiwoͤrter. Man irrt, wenn man
glaubt, hinter einen Schwall von Epitheten die Armuth der
Phantaſie verſtecken zu koͤnnen.
3) Taͤuſchen nicht alle Anzeichen, ſo ſteckt in dem Ver-
faſſer Talent, eine Laune, die Humor werden kann, wenn
ſie ſich nicht uͤbereilt. Daraus, daß ſie es thut, haben wir
geſchloſſen, daß er noch jung ſeyn muͤße. Er geſteht in der
Titelerklaͤrung, (ſtatt Vorrede) dieſe Erzaͤhlungen, welche ſein
Onkel im Flausrock geſchrieben habe, ſeyen ihm anziehend ge-
nug vorgekommen, um ſie der Welt mitzutheilen, ſetzt aber S.
VIII hinzu: (Mein Urtheil uͤber ihren Werth mag befangen
ſeyn, da ich ein naher Anverwandter des Verfaſſers bin. Wa⸗—
rum erwaͤhnt er dieſen letztern Anſtand, der heut zu Tage in
der Kritik gar nichts mehr auf ſich hat? Ein Vetter lobt den
Andern, ohne roth zu werden; das iſt der Nepotismus der
Kritik. Aus dem Strauße dieſer Erzaͤhlungen — um modiſch
zu ſprechen — haben wir uns eine Blume herausgewaͤhlt, die
(Donna Eleonorap von S. 39 bis 54. Dieſe Frau greift nun
zwar zu einem ganz gewoͤhnlichen Mittel, ihren eiferſuͤchtigen
Mann zu heilen, indem ſie in der Geſtalt einer Spanierin
ihn verfuͤhrt, aber das Abentheuer iſt gut dargeſtellt; die
Handlung geht raſch fort, vielleicht zu raſch, und Schuͤrzung
und Aufloͤſung des Knotens iſt klar und befriedigend. Die
Erxpoſition hat uns unterhalten. Fernando der Gemahl jener
Dame, ſtaͤrzt nach dem Rendezvous in das Zimmer eines
Freundes und zieht ſeinen Bedienten an den Ohren nach, im
Zweifel, ob man ihm nicht einen Betrug geſpielt habe. Statt
ſelbſt zu erzaͤhlen, eramirt er launig genug den Diener S. 41:
(Sage Strohkopf, wo ſpeiſete ich geſtern Abend
Zu Hauſe, Herr, mit der gnaͤdigen Frau, es ſchien Ew.
Gnaden aber nicht zu ſchmecken.
(Was that ich nachher 25 ö
Sie forderten Hut, Mantel und Degen, hießen mich
Ihnen folgen, und gingen aus.
Wo gingen wir hin 7
Durch die Aleala Straße uͤber die Plazza Mayor nach
der Segoviaſtraße u. ſ. w.
Es ſcheint uns aber, daß das Beſtreben die Handlung
dramatiſch raſch auf einander folgen zu laſſen, die Ausfuͤh⸗
rung uͤbereile und den Mangel an kunſtreichem Stile ver-
ſchulde. Der Zuͤgel wird ſich mit der Zeit anziehen laſſen,
wenn ſich nur der Verfaſſer uͤberzeugt, daß die Wirkung
welche ein Stoff an ſich hervorbringt, nicht auf Rechnung
der Kunſt zu ſetzen iſt, die Form iſt's welche den Zauber be-
wirkte, und zu dieſer gehoͤrt die Rede.
Die Verlagshandlung hat fuͤr gutes Papier und bequemen

Druck geſorgt. Soviel wir bemerkt haben, iſt der letztere

auch correckt. *e.
 
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