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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 144-157 (Dezember 1824)
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Nachrichten uͤber Kunſt,

Leben und Wiſſenſchaft.

2—— —2— — — — — — ——— — ——

Tagebuch des Karlsruher Theaters.

Am 16. Nov.: „Die Korſen in ungarn.“ Schauſp. in 4 Abtheilungen
von Kotzebne.
Man findet hier weder Korſen noch Ungarn, nicht einmal Teutſche,
obgleich dieſe Leute ihr Teutſch recht fertig ſprechen, und in der
Romanenleſerei ausnehmend viel gethan häben. Originalität der
Charaktere darf man bei unſeren modernen Dramatikern ohnehin
nicht ſuchen, wenn ſie aber nur richtig zeichneten, und nicht überall
ihre ärmliche Subjektivität zur Schau trügen! was dem bildenden
Künſtler, ſelbſt in der mittelmaͤßigſen Schule, täglich eingeſchärft wird:
das Studium der Natur, ſcheint jenen nur überflüſſige und läſtige
Mühe; ihre Phantaſie giebts ihnen wohlfeiler und beauemer. Daß
der Schauſpieldichter (der komiſche und ſentimentale) ſeine Zeit
erkennen müſſe, verſteht ſich von ſelbſt, aber wehe ihm, wenn er ſo
ganz in dieſer Zeit befangen iſt, daß ſie ihm nie ein reines Objekt der
Darſtellung werden kann?
Am 18. Nov.: „Die ungleichen Brüder.“ Luſtſpiel in 3 Abtheil.
von Schmidt.
Herr Schmidt iſt eben auch kein Held. Was Fallſtaff von ſeiner
Kompagnie ſagt: lauter ſterbliche Leute, das läßt ſich überhaupt auf
die große Maſſe unſerer leichtfertigen theatraliſchen Poeten anwenden.
Das materielle Intereſſe, welches ein geiſtreicher Schriftſteller das alte
Weiberintereſſe nennt, muß bei ihnen die Mängel und Gebrechen der
Form verbergen, und der wohlbekannte Theaterdialog das Kolorit
erſetzen. Man kann nicht in Abrede ſtellen, daß die teutſche Bühne
ſich ſelbſt überlebt habe, und gemächlich auf ihren Lorbeern ruhe,
während die Wiſſenſchaft ſo wie jede andre Kunſi im Fortſchreiten
begriffen ſind. Von den Dichtern wollen wir nicht reden, aber wenn
die Direktionen oder das Publikum oder beide zugleich auch gleichwohl
ihre Frende an den Produktionen der Hrn. Schmidt und Kompagnie
haben, ſo bleibt doch immer noch eine gerechte Anforderung übrig,
die der ſtrengere Kunſtfreund zu machen berechtigt iſt, nämlich eine
in allen Partieen vollendete Darſtellung. Jede Bühne hat mittelmä-
ßige und unbedeutende Subjekte, allein dieſe an den Platz zu ſtellen,
für welchen ſie mit ihrer Kraft ausreichen, um dadurch jene ſchöne
Uebereinſtimmung des Ganzen, jene Rundung und Haltung zu gewin-
nen, ohne die eine theatraliſche Vorſtellung nicht als Kunſtwerk gelten
kann, dies bleibt die Aufgabe, nach deren erfreulicher Löſung jedes
Theater ſtreben muß.
Wir bemerken dies im Allgemeinen, müßen aber in Bezug auf
die heutige Vorſtellung noch hinzufügen, daß es weder Achtung gegen
die Kunſt noch gegen das Publikum zeigt, wenn eine Schauſpielerin
(oder ein Schauſpieler) es nicht einmal der Mühe werth achtet, ihre
Rolle zu memoriren. Wie kann da noch vom Erfaſſen des Geiſtes
einer Rolle, von durchdachtem Spiele u. ſ. w. die Rede ſeyn?
(Fortſetzung folgt.)

—92—2..29 ——. — — — .—.—2—2.96.— 2— — ..— .— —¼— —

Das Frankfurter Quodlibet.

(Sortſetzung.)

Waslin Bewegungſetzt, ſteht über dem in Bewegung Geſetzten, einzelne
Figuren eines Gemäldes mögen iſolirt intereſſiren, im Eindruck des Gan-
zen faßt nur der Hauptmoment; und dieſer wird hier durchedie nieder-
trächtige Bravaͤde des ſpitzbübiſchen Sekretärs — faſt gänzlich vernichtet
und zur romanhaften Kataſtrophe. — Nächſtens hoffen wir dieſes
intereſſante Gemälde in der Umarbeitung zu erblicken!

Donnerſtag den 22. Juli: Aurelia, oder der Raub im Schwarzwalde.
Schauſpiel in 4 Abtheil.
Samſtag den 24. Juli Tankred. Tankred — Herr Bader vom Kgl.
Berliner Hoftheater.
Sonntag den 25. Juli: Otto von Wittelsbach. Trauerſp. in 5 Abth ⸗·
von Babo.
Bisher ſahen wir immer nur den teutſchen biderben, tapfern Ritter, aus
dem Geſchlecht der Agilolfinger — dieſen Abend ſahen wir aber auch
den Herzog und Pfalzgraf in Baiern. — Herzlich erfreute uns' Herrn
Weidners kräftiges Spiel und die durchgeführte Meiſterſchaft eines
keutſchen Charakters, wie wir deren wenige auf unſeren Bühnen haben.
Es wird hier nicht mit ſenſiblen und rohen Tiraden geſpielt / es fallen
keine Schwetelblumen auf die tragiſche Flur; die Verzweiflung ergreift
nicht die Schuld, die den Menſchen zum Tolthäuſfler hinaufſteigert und
das Verbrechen iſt ſchneeweiß ehe noch die rührendſte Reue uns ſagt,
daß Otto nicht den Kaiſer, daß er den Freund ermordet habe. Ach,
beſäßen wir doch mehr ſolcher Kernſpeiſen! Der herrſchende Geſchmack
verſteht es recht gut Nationalität zu untergraben, aber er verſteht es
nicht) uns etwaͤs Veſſeres dafür zu geben, darum bleiben wir
Teutſchen in dieſer Hinſicht ein ewiges Zwittervotk und können uns
auf keine Weiſe mit dem nationalen Takt der Italiener, Spanier,
Engländer und Franzoſen meſſen! — Gott beſſre's! würden wir mit
Werners Molai ausrufen: wenn es nicht wie — Gott verſchlimmre's!
lautete. — Es fehlt nicht an Materialien in der Geſchichte unſers
Volks. Erſt vor einigen Tagen ſahen wir das ſchöne Schauſpiel:
Aureliga. — Es ſchrieb's ein Frauenzimmer, die ſtarke Fauſt des
männlichen Poeten, bewaffnet mit dem eiſernen Handſchuh der Kunſt,
will, ſeltſam genug! weiblicher Fingerarbeit gar manches zumuthen,

was wenigſtens nicht nach alter Rittergalanterie ſchmeckt — für

nationalen Sinn, dürfte es aber bald Noth thun unſere Weiber allein
ſorgen zu laſſen, wenn nur — die verdammten Kleidermoden nicht
wären! —
Was die franzöſiſche Tragödie über die teutſche erhebt iſt der Vers,
aber ſie iſt und bleibt dem Teutſchen annatur, ſo bald ſich ſeiner nur
nicht die Thorheit bemeiſtert hat, zu glauben, mit vollem Maul und weit
geöffnetem Munde auftreten, heiße darſtellen; oder Proſa ſey aus dem
Trauerſziel zu verbannen.
Die heutige Darſtellung des Otto von Wittelsbach wurde uns —
wenn wir einige wenige ſtörende Nebenperſonen ausnehmen — ganz
teutſch und im Geiſt des Dichters. Den trefflichen Otto erblickten wir,
wie wir ihn noch nie geſehen hatten, nämlich in der hohen Würde
eines teutſchen Reichsfürſten. — Sühlen hätte Philipp (Herr Otto)
ſollen, was ein teutſcher Reichsſtand iſt, er fühlte es nicht, die

ſichtbare Unbehaglichkeit in der er vor dem Pfalzgrafen ſtand, erhöhte

die Kraft und ſteigerte die beleidigte Würde ſeines Freundes. Der
Kaiſer fürchtet dieſen Herzog, er hat der Verläumdung ſein Ohr
geliehen, vergeſſen was Otto ihm war, gebrochen ſein kaiſerliches
Wort. Ueber das tragiſche Ereigniß hat die Geſchichte ein undurch-
dringliches Helldunkel geworfen; ſo viel wiſſen wir, daß Otto auf
dem Reichstag zu Frankfurt von der Acht losgeſprochen wurde, und
folglich ſein Verbrechen nicht in dem Grad auf ihm haften konnte,
wie auf den Mördern des Kaiſers Albrecht.
Wir ſahen heute Abend dieſen Herzog der Baiern von Hrn. Weid⸗—
ner, in ſeiner ganzen teutſchen Trefflichkeit. Im Kampf mit dem
Schlechten, im Gefühl einer kaiſerlichen Geringſchätzung und Hinter-
liſt) die den teutſchen Fürſten zum Verächter ſeines Kaiſers — zur
blutigen That hinreißt — in der Szene mit Ritter Reuß im Kreiſe
weiblicher Unſchuld und Liebe, überall ſtand der Herzog über dem
Ritter, über jene teutſche Wuth erhaben, die unter dem Italiener
zum Sprichwort geworden. (F. f.)

—— +Æ Æ&ÆeÆeeÆe —IIIIIJIJIJJIJII‚IJI‚I— — —

Redakteur u. Herausgeber: Fr. K. Frhr. v. Erlach. —

Verleger: K. Groos, Neue akad. Buchhandlung in Heidelbert.

Druckerei von F. Kaufmanns Witwe.
 
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