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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 144-157 (Dezember 1824)
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Nachrichten uͤber Kunſt, Leben und Wiſſenſchaft.

2222———j — — — — — — ————————————

Tagebuch des Karlsruher Theaters.

Am 21. Nov.: „Herrmann und Dorothea.“ Schauſp. in 4 Abtheil.
nach Goethe's Gedicht von Dr. Töpfer und „der Mandarin,“ Singſp.
in einem A.; Muſik von Ritter.
Wenn Erfindung das erſte iſt, wodurch der dichteriſche Geiſt ſich
kund giebt, ſo kann man unſre meiſten jetzt lebenden und webenden
dramatiſchen Dichter eben nicht in die Reihe der Genie's ſellen. Hr.
Töpfer hat ſich diesmal recht feſt an Goethe's Rockzipfel angehängt,
aber ſchwerlich wird ihn dieſer mit zur Unſterblichkeit hinüber ziehen.
Vor allen Dingen hätte er ſich den weſentlichen Unterſchied zwiſchen
Evos und Drama klar machen ſollen. Die epiſche Handlung iſt in
ihrem Gange verweilend, die dramatiſche raſch fortſchreitend, dort
bewegen und gruppiren ſich die Charaktere ganz anders, als hier.
Götz don Verlichingen und Wilhelm Tell ſind epiſche Dramen, aber
was iſt Hermann und Dorothea? Wie wenig tief Herr Töpfer in das
Weſen der dramatiſchen Kompoſition eingedrungen, beweiſt ſchon der
Umſtand, daß er ein weſentliches und wirklich theatraliſches Motiv in
dem Gedichte, welches er dialogiſirte, die eleganten Kaufmannstöchter,
ganz überſehen und unbenutzt gelaſſen. Außerdem muß die Umgeſtal-
tung eines ſo allgemein bekannten Poems, wie Hermann und Dorothea,
das durch ſeine Simplizität, durch die verſtändige Anordnung und die
ruhige, klare Objektivität der Darſtellung ſo unendlich anzieht, den
Leſer und Zuſchauer, denen die Stellen des Originals gegenwärtig
ſind, oft unangenehm berühren. Oder ſollte Hr. Töpfer wirklich
glauven, daß man Goethe über ihm vergeſſen könne?
Die ausgezeichnete Darſtellung einiger Rollen erwarb übrigens
dem Stücke einen Beifall, deſſen es ſich außerdem ſchwerlich zu erfreuen
gehabt hätte.
Die anſprechende Muſck des Mandarins verfehlte auch diesmal
ihre ſchöne Wirkung nicht.
Am 23. Nov.: „die Verwandſchaften.“ L. in 5 A. von Kotzebue.
Reminiszenzen, mit Derbheiten und Gemeinheiten verſetzt. Wie
oft war dieſe lächerliche Vornehmigkeit ſchon da, und dieſer reiche
Vetter aus Indien, der ſich arm ſtellt; und das ganze Gemengſel von
Theatercharakteren, die den Gliedermännern in den Ateliers gleichen,
und blos ihre Draperie wechſeln.
Am 25. Nov.: „der Wollmarkt oder das Hotel von Wiburg.“ L.
in 4 A. von Clauren. —
Wenn auch der komiſche Irrthum (die Verwechſlung des Hotels mit
einem Gaſthofe) nicht neu iſt, wie er denn früher von Goldſmith in
ſeinem bekannten,‚ trefflichen Stücke mit mehr Wahrſcheinlichkeit und
größerer Kunſt durchgeführt wurde als hier, ſo kann man dem Stücke
von Clauren doch einzelne ſchöne Szenen nicht abſprechen, und im
Ganzen macht es eine gute Wirkung, bis auf den Schluß⸗ wo ſich
der heitre Scherz in einen unzeitigen Ernſt auflöſt und in theatraliſchen
Prunk. Außerdem hat anch die Stellung des Fürſten überhaupt erwas
wunderliches und ſeltſames, ſo wie der Dichter nicht genug beachtet
hat, daß die Liebe im Luſtſpiele ganz anders als im Drama und in
der Tragödie behandelt werden mußte. Die Vorſtellung gehört zu den
beſten der hieſigen' Bühne. In dem Spiele des Hrn. C. Mayer als
Amtsrath und der Mad. Neumann als Helmine zeigt ſich jene Wahr-
heit, in welcher die Kunſt ihren Triumph feiert, weil ſie hier als
bewußtloſe Natur erſcheint. Auch Dem. Sulzer als Hannchen und
Dem. Gutſch als Fähndrich genügten ihren Rollen, wie denmüberhaupt
faſt jede Partie des beweglichen Gemäldes die gehörige Vollendung
hatte. Hier und da wurde freilich überſehen, was in Gegenwart
füwſtlicher Perſonen als ſtrenge Sitte gilt. (Fortſ. f.)

Korreſpondenz⸗Nachrichten.

Hamburg.
I. (Fortſezun g.)

Die Liederpoſſe: „die Wiener in Berlin,“ von Karl v. Holtei, füllt
noch immer das Haus, obgleich ſie faſt jede Woche gegeben wird. Die
Darſtellung auf unſerer Bühne iſt in der That auch ſo vortrefflich,
daß dieſer Scherz Glück machen mußte. Herr Beils als Franz /
Fräulein Pohlmann als Frau von Schlingen, Gloy als Huber und
Mad. Heſſe ats Dörthe ſind ergötzliche Erſcheinungen die des Effekts
nicht verfehlen können. „Der Fürſt und der Bürger“ von Houwald
begleiten gemeiniglich dieſe Poſſe ohne jedoch allgemein anzuſprechen.
Das Stück hat zu viele Mängel, als daß die Kritik es loben könnte,
ich glaube, darüber ſchon berichtet zu haben, deshalb eite ich über
dieſen Gegenſtand hinweg. „Die beiden Sergeanten,“ nach dem Frand.
des Aubigny, von Theodor Hell, haben den gräulichen „Galeerenſklaven“
den Rang abgelaufen, auf die man wohl füglich anwenden kann, was
Schlegel über Kotzebue's „Negerſklaven“ ſagt:

„Veitſcht die Galeerenſklaven geſchwind vom Theater herunter/
„Jedes Gefühl wird ſonſt euch wie mit Neſſeln gepeitſcht!“

Ich geſtehe aufrichtig, daß mir alle dieſe Melodramen ein Gräuel auf
der Bühne ſind und daß ich ſie mit Stumpf und Stiel ausgerottet
ſehen möchte, da ſie es ſind, die die wahre Kunſt zu Grabe tragen/
indem ſie das Gefühl der Menge gegen das wahrhaft Schöne abſtum-
pfen und den guten Geſchmack verderben. Dieſe zuſammen geſtoppelten
Unwahrſchemlichkeiten, dieſe Gräuelſzenen, dieſer hohle, leere Pomp,
dies Jagen nach Knalleffekten munden zwar der Menge, aber ſie
mißleiten das Urtheil, indem ſee es beſtechen, und verwunden das
Gefühl auf eine empörende Weiſe, ohne irgend einen Erſatz durch
einen wahren Kunſtgenuß und geiſtige Erhebung dafür zu bieten.
„Die beiden Sergeanten“ ſind offenbar Schillers herrlicher Ballade,
der „Bürgſchaft,“ nachgeformt und haben ſehr wirkſame Momente,
das Ganze iſt aber ſo eine Fabrikarbeit und auf Konſequenz, auf
geſchickte Aulage und eine gehͤrige Expoſition iſt nicht dabei zu denken.
Es kömmt dem Dichter nicht darauf an „einem Kadetten das Kom-
mando über ein Schiff anzuvertrauen, dieſen eine Handlung begehen
zu laſſen, worauf der Tod ſteht und ihn dann ganz ungeſtraft ausgehn
zu laſſen; es kömmt ihm nicht darauf an, einen zum Tode Verurtheil-
ten frei nach der Kirche gehen zu laſſen, um dort mit ſeiner Geliebten
— man weiß nicht zu welchem Zwecke, da er gleich darauf erſchoſſen
werden ſoll — getraut zu werden; alle dieſe Unwahrſcheinlichkeiten,
all dieſer Nonſens iſt nur, wie der Berliner ſich ausdrückt, Pommade
flir den Melodramendichter; aber wohin ſoll das alles führen, wenn
es auf der Bühne heimiſch wird, wozu jetzt alle Wahrſcheinlichkeit
vorhanden iſt, und was wird aus der mit Recht in ſtrenge Regeln
gebannten dramatiſchen Kunſt überhauyvt werden, wenn das ſo
fortgeht? Werden nicht ſchon jetzt Goethes und Schillers Stücke
nur vor leeren Bänken geſpielt, weil die mit Schrecken und Gräueln
aller Art geſättigte und überfüllte Menge an geſunder, wohl zuberei-
teter, geiſtiger Nahrung keinen Gefallen mehr findet, gleichwie der
Gaumen, der ſich an den Genuß des Cayennepfeffers gewöhnte, kaum
eine Speiſe mehr findet, die ihm zuſagt? Es betrübt mich ordentlich /
wenn ich ſo viele edle geiſtige Kräfte an ſolche Machwerke verſchwendet
ſehe. Die Darſtellung, ſowohl der „Galeerenſklaven,“ als der
„beiden —Sergeanten“ gehört auf unſerer Bühne zu den aus-
gezeichnetſten.
(Fortſ. folgt.)

Redakteur u. Herausgeber: Fr. K. Frhr. v. Erlach. — Verleger: K. Groos, Neue akad. Buchhandlung in Heidelberg-
Druckerei von F. Kaufmanns Witwe.
 
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