Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0064
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2. Heft
DOI Artikel:Feigel, August: Neuerwerbungen der Plastik-Sammlung des Landesmuseums zu Darmstadt
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NEUERWERBUNGEN DER PLASTIKSAMMLUNG DES DRRMSTADTER MUSEUMS
Abb. 2. Aquamanile
rheinifchen Schule zufammenzubringcn,
daß für deren zukünftige Gefchichts-
fchreibung die Beftände des Mufeums zu
DarmftadteineHauptrollefpielen werden.
Als Leihgabe des Großherzogs wurde
in die Kapelle ein großer romanifcher
Bogen mit den dazugehörigen Säulen
und Kapitellen eingebaut(Abb. 1, Einzel-
aufnahme). Erftammt aus dem Schlöffe
Fifchbach in Schießen, aus demfeiben
Schlöffe, aus dem die Holbeinfche Ma-
donna des Bürgermeifters Meyer nach
Darmftadt kam. Der romanifche Bogen
ift aber ficher rheinifchen Urfprungs;
er wurde dem Prinzen Wilhelm von
Preußen, als er aus feiner Stellung als
Militärgouverneur der Rheinlande aus-
fchied,zum Andenken an feinen dortigen
Aufenthalt gefchenkt. Zweifellos be-
fißen wir in diefem vorzüglich erhaltenen
Architekturftück ein Werk des entwickelten romanifchen Stiles aus der 2. Hälfte des
12. Jahrhunderts; die faftigen, flott gezeichneten vegetabilen Gebilde, die zufammenge-
halten werden durch bandförmige, mit Vertiefungen belebten Bogen, und die häufig
in fehr gut beobachtete Tierkörper übergehen, find bezeichnend für die rheinifche Kunft
diefer Zeit. Die Giebel- und Firftkämme rhcinifcher Reliquiare zeigen ganz ähnliche
Ornamente. (Vgl. Falke: Deutfche Schmelzarbeiten des Mittelalters. T. 44u. 45.) ZuSeiten
der Palmetten find kleine Szenen eingefchoben: Kämpfe zwifchen Tieren und Menfchen,
und auf der rechten Seite eineDedikationsfzene. Auf die Entfernung follen diefe Einzel-
heiten nicht wirken: es find ßüchtige aber lebenswahre Skizzen, die Zeugnis ablegen für
das erwachende Intereffe für die Natur, das fich freilich noch nicht an monumentalen
Aufgaben betätigt, fondern fich gleichfam in die dekorativen Elemente hineinfchleicht.
Der eminent plaftifche Stil des 13. Jahrhunderts ift leider noch nicht durch eine
Großplaftik vertreten: jedoch wird er durch ein kunftgewerbliches Stück, durch ein großes
Aquamanile (Abb. 2) wenigftens einigermaßen illuftriert, deffen ftraff gefpannte, wie
zum Sprunge anfeßenden Glieder an die Knappheit der Form und die Elaftizität von
frühgotifchen Skulpturen gemahnen. Ikonographifch ift dies Werk intereffant, da es an
teußifche Fabelwefen erinnert, die in der Apokalypfe Kap. 9 gefchildert werden, wo
Teufel in Geftalt von Pferden mit bekrönten Weiberköpfen und Skorpionen in den
Schwänzen auftreten. Alfo auch hier wird, wie bei den gothifchen Wafferfpeiern, das
Böfe zum Dienfte in der Kirche gezwungen.
Die mittelrheinifche Plaftik des 13. Jahrhunderts ift vielleicht die rezeptionsfähigfte
der ganzen deutfehen Kunft: von Bamberg—Alagdeburg, von Straßburg—Wimpfen,
von Naumburg und von Reims laufen hier Strömungen zufammen, aus denen fich dann
ein eigener Stil bildet, deffen bedeutendftes Denkmal das Portal der Liebfrauenkirche
zu Mainz ift. Das ganze 14. Jahrhundert feßt diefe Kunft fort, oft mit einem Seiten-
blick auf Frankreich, das auch jet^t noch manchem deutfehen Bildhauer Anregungen
gibt. Ein fehr charakteriftifches Stück, das bald nach der Mitte des Jahrhunderts ent-
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Abb. 2. Aquamanile
rheinifchen Schule zufammenzubringcn,
daß für deren zukünftige Gefchichts-
fchreibung die Beftände des Mufeums zu
DarmftadteineHauptrollefpielen werden.
Als Leihgabe des Großherzogs wurde
in die Kapelle ein großer romanifcher
Bogen mit den dazugehörigen Säulen
und Kapitellen eingebaut(Abb. 1, Einzel-
aufnahme). Erftammt aus dem Schlöffe
Fifchbach in Schießen, aus demfeiben
Schlöffe, aus dem die Holbeinfche Ma-
donna des Bürgermeifters Meyer nach
Darmftadt kam. Der romanifche Bogen
ift aber ficher rheinifchen Urfprungs;
er wurde dem Prinzen Wilhelm von
Preußen, als er aus feiner Stellung als
Militärgouverneur der Rheinlande aus-
fchied,zum Andenken an feinen dortigen
Aufenthalt gefchenkt. Zweifellos be-
fißen wir in diefem vorzüglich erhaltenen
Architekturftück ein Werk des entwickelten romanifchen Stiles aus der 2. Hälfte des
12. Jahrhunderts; die faftigen, flott gezeichneten vegetabilen Gebilde, die zufammenge-
halten werden durch bandförmige, mit Vertiefungen belebten Bogen, und die häufig
in fehr gut beobachtete Tierkörper übergehen, find bezeichnend für die rheinifche Kunft
diefer Zeit. Die Giebel- und Firftkämme rhcinifcher Reliquiare zeigen ganz ähnliche
Ornamente. (Vgl. Falke: Deutfche Schmelzarbeiten des Mittelalters. T. 44u. 45.) ZuSeiten
der Palmetten find kleine Szenen eingefchoben: Kämpfe zwifchen Tieren und Menfchen,
und auf der rechten Seite eineDedikationsfzene. Auf die Entfernung follen diefe Einzel-
heiten nicht wirken: es find ßüchtige aber lebenswahre Skizzen, die Zeugnis ablegen für
das erwachende Intereffe für die Natur, das fich freilich noch nicht an monumentalen
Aufgaben betätigt, fondern fich gleichfam in die dekorativen Elemente hineinfchleicht.
Der eminent plaftifche Stil des 13. Jahrhunderts ift leider noch nicht durch eine
Großplaftik vertreten: jedoch wird er durch ein kunftgewerbliches Stück, durch ein großes
Aquamanile (Abb. 2) wenigftens einigermaßen illuftriert, deffen ftraff gefpannte, wie
zum Sprunge anfeßenden Glieder an die Knappheit der Form und die Elaftizität von
frühgotifchen Skulpturen gemahnen. Ikonographifch ift dies Werk intereffant, da es an
teußifche Fabelwefen erinnert, die in der Apokalypfe Kap. 9 gefchildert werden, wo
Teufel in Geftalt von Pferden mit bekrönten Weiberköpfen und Skorpionen in den
Schwänzen auftreten. Alfo auch hier wird, wie bei den gothifchen Wafferfpeiern, das
Böfe zum Dienfte in der Kirche gezwungen.
Die mittelrheinifche Plaftik des 13. Jahrhunderts ift vielleicht die rezeptionsfähigfte
der ganzen deutfehen Kunft: von Bamberg—Alagdeburg, von Straßburg—Wimpfen,
von Naumburg und von Reims laufen hier Strömungen zufammen, aus denen fich dann
ein eigener Stil bildet, deffen bedeutendftes Denkmal das Portal der Liebfrauenkirche
zu Mainz ift. Das ganze 14. Jahrhundert feßt diefe Kunft fort, oft mit einem Seiten-
blick auf Frankreich, das auch jet^t noch manchem deutfehen Bildhauer Anregungen
gibt. Ein fehr charakteriftifches Stück, das bald nach der Mitte des Jahrhunderts ent-
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