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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913

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14. Heft
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Weisz, Ernst: Eine Kopie Hans Baldungs nach Jan Gossart genannt Mabuse
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0566

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EINE KOPIE HANS BALDUNGS NACH JAN
GOSSART GENANNT MABUSE
Tn Heft 6 der Zeitfchrift für bildende Kunft veröffentlichte Gabriel von Terey eine
JL Madonna von Hans Baidung, die das Germanifche Mufeum in Nürnberg erft kürz-
lich aus der Sammlung Dollfus erworben hatte. Dies Bild ftellte fich als eine Kopie
nach der Mabufefchen Madonna im Prado zu Madrid (Nr. 1865) dar, worauf ich in
einer kurzen Mitteilung in der Kunftchronik vom 2A März hinwies. Mit einigen Be-
merkungen möchte ich jeßt noch einmal auf meine Notiz eingehen. Beffer als jede
Befchreibung zeigt eine Nebeneinanderftellung beider Bilder ihre Übereinftimmung.
Gegenüber der Mabufefchen erfcheint die Baldungfche Madonna fehr vereinfacht, fchon
das würde für die Abhängigkeit der letzteren fprechen. Wichtiger aber und entfcheidend
ift die Tatfache, daß die Madonna Baidungs ihrer ganzen Erfcheinungsform nach aus
dem übrigen Oeuvre des Straßburger Meifters herausfällt. Gerade diefe befonderen Züge,
die Terey in feinem Auffa^e als fremd oder neu anführt, die ftarke Füllung des Bild-
raumes, die Großheit der Geftalten, das Chri[tkind „von bereits gut entwickelten Körper-
formen" die Art der Architektur,alles das find charakteriftifcheKennzeichenMabufefcherKunft.
Auffällig ift jedoch, daß die architektonifchen Hintergründe beider Bilder ganz von-
einander abweichen. Bei der Madrider Madonna eine Rundnifche mit einer reichen
Halbfäulenftellung vor dem oberen Wandteil, bei der Nürnberger Madonna die Hälfte
einer einfacheren Nifchenarchitektur mit oblongen vertieften Feldern aus buntem Marmor
mit Sandfteinfaffung, als oberer Abfchluß ein konfolengetragenes Gefimfe. Aber auch
diefe Architektur ift Mabufes Eigentum, fie findet ihr Spiegelbild, allerdings perfpek-
tivifch etwas verändert, in dem Hintergrund des Rofenkranzmannes in der National
Gallery zu London. Rückt man beide Wände aneinander, fo erhält man das Bild
einer vollftändigen Rundnifche, deren Augenpunkt links ungefähr in die Mitte des
Madonnenbildes zu liegen käme. Ift es nun denkbar, daß Baidung für feine Madonna
zwei verfchiedene Bilder Mabufes benutzte? Wohl kaum. Es ift vielmehr anzunehmen,
daß die Mabufefche Madonna denfelben Hintergrund hatte, wie ihn die Baldungfche
zeigt. Damit gewinnt man aber für den Rofenkranzmann einen linken Madonnen-
flügel, der ihn zum Diptychon ergänzt. Freilich muß man die Marmortäfelung etwas
nach oben verlängern Baidung verkürzte fie aus irgendeinem Grunde —, um fie mit
der Londoner Hälfte in Einklang zu bringen. Bereits in meiner Goffart-Monographie
fprach ich die Vermutung aus (S. 82), der Rofenkranzmann fei eine Diptychonhälfte.
Die andere Hälfte, die ich je^t in dem verfchollenen Vorbilde der Baidungmadonna
wiederfehen möchte, mag auf den erften Blick befremden. Die Madonna fcheint gar
keine Notiz von dem Verehrer zu nehmen, fie fcheint fich eher von ihm abzuwenden.
Doch nicht ganz. Ihr Blick geht deutlich nach rechts, wie das Madrider Bild zeigt,
das nur als eine Replik von verändertem Format und Hintergrund anzufehen ift. Über-
einftimmend ift der maffige Dreiecksaufbau bei beiden Figuren, und maßgebend ift vor
allem die Zufammengehörigkeit der Architektur, deren Augenpunkt Mabufe, ein Meifter
perfpektivifcher Künfte, nicht ohne Abficht in die Mitte der Madonnentafel verlegt,
ähnlich wie bei der zeitlich naheftehenden Wiener Lukasmadonna, die diptychonartig
komponiert, den Augenpunkt in der rechten Hälfte hat (Mabufe S. 67). Durch eine
derartige Konftruktion gelingt es Mabufe, das Auge des Betrachters faft unwiderftehlich
von der einen Bild- oder Diptychonhälfte zur andern hinüberzuzichen und fo diefe enger
miteinander zu verbinden als durch das bloße Einanderzukehren der Madonna und des
Beters vor neutralem Grunde wie etwa bei dem frühen Carondeletdiptychon von 1517.

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