Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913
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11. Heft
DOI article:Friedeberger, Hans: Die Sezession und die Refüsierten
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DIE SEZESSION UND 1)115 REFÜSIERTEN
Von HANS FRIEDEBERGER
*T^s ift wohl nicht nötig, hier die ganzen ärgerlichen Streitigkeiten noch einmal aus-
zubreiten, die diefe Sezeffionsausftellung bis zur Eröffnung begleitet haben. Sie
find durch Erklärungen und Gegenerklärungen in den Tageszeitungen fattfam bekannt
geworden, und man wird alles zum Überfluß noch einmal vorgefeßt erhalten, wenn
die Klage des Vorftandes gegen diejenigen zum Austrag kommt, die den Ausfchluß
von 26 Mitgliedern auf perfönliche Gegnerfchaft des neuen Präfidenten zurückführen
zu müffen glaubten. Man darf füglich abwarten, bis diefe Partei die tatfächlichen
Beweife vorlegen kann, die fie zu befißen glaubt, und einftweilen diefe Verdächtigung
für abfurd und unhaltbar erachten, um fo mehr, als fich — nach meiner Kenntnis der
Dinge — unter den Zurückgewiefenen auch Leute befinden, die dem neuen Präßdenten
perfönlich und gefchäftlich nahe ftehen. Im übrigen läßt fich diefe vielbefehdete Maß-
regel denn doch auch anders als nur perfönlich verftehen. Jede Revolutionspartei fand
fich fchließlich im Laufe gefchichtlicher Entwicklung liberal geworden, und wenn nach
dem Worte eines neueren Dichters leidenfchaftlich unbedingte Jugend nur durch das
Problematifche gewonnen wird, fo kann man es der Sezeffion nicht verdenken, daß
fie zugunften der Problematiker auf die Fertigen verzichtete. Denn nur wer die
Jugend hat, der hat die Zukunft, und die Jugend ift der Sezeffion heute fo nötig,
wie es ihr in ihren Anfängen jene anderen Künftler waren, deren Traditionsbeftändig-
keit ebenfo unbezweifelbar war, wie ihr Talent. Nicht daß die Bilder, die zurück-
gewiefen wurden, nicht gut waren, hat ihren Ausfchluß beftimmt, fondern daß fie
die Entwicklung nicht weiter bringen, und deshalb ift es auch verkehrt, darauf hin-
zuweifen, daß dafür genug Bilder aufgenommen wurden, die weniger reif erfcheinen.
Man muß verfuchen, die Abfichten diefer Ausftellung zu verftehen, muß bemerken,
wie jung fie ift, und daß man mit Bedacht und Enthufiasmus das aufgefucht und
hereingerufen hat, was neue Wege gehen will, mag es auch noch ftolpern und
ftraucheln. Dann wird man begreifen, daß es fich hier um nichts Geringeres han-
delte als darum, ob die Sezeffion die Rolle, die fie bisher in der Kunftentwicklung
gefpielt hat, abgeben wollte, und daß freilich nicht nur die Qualität des einzelnen
Werkes zur Debatte ftand, aber auch nicht Perfönliches, fondern die Stelle, die die
Künftler in der Entwicklung einnehmen. Und daß die Wege der Entwicklung an
manchen Mitgliedern der Sezeffion vorbeiführen, ift auch an diefer Stelle fchon im
vorigen Jahre gejagt worden. Es tut weh, wenn man das Künftlern Jagen foll, die
man fchäßt und ehrt, aber es würde nichts helfen, die Tatfachen zu verbiegen.
Diefe Ausftellung bedeutet in mehr als diefer einen Hinficht ein Programm: Sie
begnügt fich nicht damit, wie frühere, einzelne Meifterwerke der älteren Generation
vorzuführen, fondern fie zeigt in breiter Ausdehnung den Grund, auf dem die neue
Kunft erwuchs. Neben prachtvollen Kollektionen von Renoir, von Cezanne (die
außer fpäteren Werken den grandiofen „Mord" der von Daumier und Delacroix be-
einflußten Frühzeit zeigt), neben van Gogh, von dem man in diefer prächtigen Samm-
lung das peinlich-romantifche Schweigen im Walde gern entbehrt hätte, fieht man auch
den bei uns weniger bekannten Georges Seurat, den Vater des Neoimpreffionismus,
mit einer Kollektion, die bei aller Feinheit und Schönheit fchon ein wenig dünn und
felbft vergangen anmutet. Dann folgen von den Führern der Sezeffion Liebermann
und Trübner mit Sonderausftellungen. Liebermann zeigt neben älteren, noch wenig
gefehenen Arbeiten, die gleichwohl zu feinen beften gehören, neue Bilder von großer
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Von HANS FRIEDEBERGER
*T^s ift wohl nicht nötig, hier die ganzen ärgerlichen Streitigkeiten noch einmal aus-
zubreiten, die diefe Sezeffionsausftellung bis zur Eröffnung begleitet haben. Sie
find durch Erklärungen und Gegenerklärungen in den Tageszeitungen fattfam bekannt
geworden, und man wird alles zum Überfluß noch einmal vorgefeßt erhalten, wenn
die Klage des Vorftandes gegen diejenigen zum Austrag kommt, die den Ausfchluß
von 26 Mitgliedern auf perfönliche Gegnerfchaft des neuen Präfidenten zurückführen
zu müffen glaubten. Man darf füglich abwarten, bis diefe Partei die tatfächlichen
Beweife vorlegen kann, die fie zu befißen glaubt, und einftweilen diefe Verdächtigung
für abfurd und unhaltbar erachten, um fo mehr, als fich — nach meiner Kenntnis der
Dinge — unter den Zurückgewiefenen auch Leute befinden, die dem neuen Präßdenten
perfönlich und gefchäftlich nahe ftehen. Im übrigen läßt fich diefe vielbefehdete Maß-
regel denn doch auch anders als nur perfönlich verftehen. Jede Revolutionspartei fand
fich fchließlich im Laufe gefchichtlicher Entwicklung liberal geworden, und wenn nach
dem Worte eines neueren Dichters leidenfchaftlich unbedingte Jugend nur durch das
Problematifche gewonnen wird, fo kann man es der Sezeffion nicht verdenken, daß
fie zugunften der Problematiker auf die Fertigen verzichtete. Denn nur wer die
Jugend hat, der hat die Zukunft, und die Jugend ift der Sezeffion heute fo nötig,
wie es ihr in ihren Anfängen jene anderen Künftler waren, deren Traditionsbeftändig-
keit ebenfo unbezweifelbar war, wie ihr Talent. Nicht daß die Bilder, die zurück-
gewiefen wurden, nicht gut waren, hat ihren Ausfchluß beftimmt, fondern daß fie
die Entwicklung nicht weiter bringen, und deshalb ift es auch verkehrt, darauf hin-
zuweifen, daß dafür genug Bilder aufgenommen wurden, die weniger reif erfcheinen.
Man muß verfuchen, die Abfichten diefer Ausftellung zu verftehen, muß bemerken,
wie jung fie ift, und daß man mit Bedacht und Enthufiasmus das aufgefucht und
hereingerufen hat, was neue Wege gehen will, mag es auch noch ftolpern und
ftraucheln. Dann wird man begreifen, daß es fich hier um nichts Geringeres han-
delte als darum, ob die Sezeffion die Rolle, die fie bisher in der Kunftentwicklung
gefpielt hat, abgeben wollte, und daß freilich nicht nur die Qualität des einzelnen
Werkes zur Debatte ftand, aber auch nicht Perfönliches, fondern die Stelle, die die
Künftler in der Entwicklung einnehmen. Und daß die Wege der Entwicklung an
manchen Mitgliedern der Sezeffion vorbeiführen, ift auch an diefer Stelle fchon im
vorigen Jahre gejagt worden. Es tut weh, wenn man das Künftlern Jagen foll, die
man fchäßt und ehrt, aber es würde nichts helfen, die Tatfachen zu verbiegen.
Diefe Ausftellung bedeutet in mehr als diefer einen Hinficht ein Programm: Sie
begnügt fich nicht damit, wie frühere, einzelne Meifterwerke der älteren Generation
vorzuführen, fondern fie zeigt in breiter Ausdehnung den Grund, auf dem die neue
Kunft erwuchs. Neben prachtvollen Kollektionen von Renoir, von Cezanne (die
außer fpäteren Werken den grandiofen „Mord" der von Daumier und Delacroix be-
einflußten Frühzeit zeigt), neben van Gogh, von dem man in diefer prächtigen Samm-
lung das peinlich-romantifche Schweigen im Walde gern entbehrt hätte, fieht man auch
den bei uns weniger bekannten Georges Seurat, den Vater des Neoimpreffionismus,
mit einer Kollektion, die bei aller Feinheit und Schönheit fchon ein wenig dünn und
felbft vergangen anmutet. Dann folgen von den Führern der Sezeffion Liebermann
und Trübner mit Sonderausftellungen. Liebermann zeigt neben älteren, noch wenig
gefehenen Arbeiten, die gleichwohl zu feinen beften gehören, neue Bilder von großer
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