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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913

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2. Heft
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Feigel, August: Neuerwerbungen der Plastik-Sammlung des Landesmuseums zu Darmstadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0080

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NEUERWERBUNGEN DER PLASTIKSAMMLUNG DES DARMSTÄDTER MUSEUMS

als auf die malerifche Erfcheinung der Oberfläche gerichtet ift. Im malerifchen Er-
faffen des Objektes entfernt fich der Künftler wohl am meiften vom Ideale der Gotik.
Wie hier ganze Partien durch das Licht zufammengehalten werden neben großen Kom-
plexen von Schatten, aus denen dann wieder die wellenförmigen Faltengrate blißartig
hervorleuchten, das ift ganz barock. Auch die feelifche Auffaffung des Bußpredigers
entfernt fich weit vom gotifchen Ideal. Während dort der ganzen Zeitftimmung nach
mehr der in fich verfchloffene, der Welt abgekehrte Asket gefchildert wurde, hat hier
der ftrenge Richter das Wort, der faft zornig mit flammender Rede das Volk zur Be-
kehrung und Buße auffordert. Das geiftige Moment ift in diefem mächtigen Haupte,
mit feinem weit geöffneten fprcchenden Munde, mit den blitzenden Augen und drohend
zufammengezogenen Brauen fo ftark herausgearbeitet, daß der Kopf allein auch rein
optifch genommen dem barocken Überfchwall der unteren Partien die Wage halten kann.
In diefem Bußprediger fteckt ficherlich Grünewaldfcher Geift. Er erfcheint geiftig wie
eine Weiterbildung des Kolmarer Johannes, deffen unerbittliches Hinweifen auf die
Qual des Gekreuzigten den Menfchen ihre Sündenfchuld fühlen läßt; auch dort fchon
ift er nicht mehr Symbol, fondern feine Anwefenheit bei der Kreuzigung ift zu einem
übermenfchlichen Erlebnis geworden. Man wird fich fchwer vorftellen können, welch
einen ungeheuren Eindruck die Kunft Grünewalds auf unfere mittelrheinifchen Künftler
gemacht haben muß; aber begreiflich ift es, daß fein Feuergeift Gleichgeftimmte mit
fich geriffen hat. Wir finden deshalb am Mittelrhein, mehr wie anderwärts, öfters
Kunftwerke, die Blut von feinem Blute und Geift von feinem Geifte in fich tragen.
Die Erwerbung diefer Johannesfigur bedeutet ficherlich die glücklichfte Bereicherung
des Darmftädter Mufeums, die in den letzten Jahren gemacht wurde. Einmal wegen
der hochftehenden Qualität, zum anderen weil es fich um ein mittelrheinifches Werk
ficherer Provenienz handelt. Der Erhaltungszuftand ift gut, mit Abrechnung der feh-
lenden Finger der vorgeftreckten Hand. Durch die erhaltene alte Faffung ift die Figur
zugleich intereffanter wie auch wertvoller. Nur durch die Liberalität des Konfuls
P. Boeddinghaus jr. in Elberfeld, der die Mittel für ihren und noch anderer Kunftwerke
Ankauf bewilligte, war es möglich, daß fie vor der Auswanderung nach Paris verfchont
und ihrer engeren Heimat erhalten blieb.
Als ferneren Beweis für den Einfluß Grünewalds auf die gleichzeitige mittelrheinifche
Bildhauerkunft will ich noch die Kreuzigungsgruppe des Darmftädter Mufeums anführen,
die aus Mosbach bei Afchaffenburg ftammt (Abb. 23). Diefe Gruppe, die ich an anderer
Stelle ausführlich behandelt habe\ ift ficherlich von einem Bildfchni^er gefertigt worden,
der mit den fpäten Arbeiten Grünewalds vertraut war. Gerade weil er deffen Kunft
nicht fo felbftändig gegenüberftand wie der Künftler unferes Johannes, beweift er noch
beffer als diefer den faszinierenden Eindruck, den Grünewald auf einige Künftler feiner
Umgebung ausgeübt haben muß. Wenn auch anderwärts, befonders in Bayern, die
fpätgotifche Plaftik barocke Tendenzen verfolgt und die feelifche Erregung, die aus
den Kunftwerken fpricht, in der allgemeinen geiftigen Verfaffung der Reformationsjahre
ihren tieferen Grund haben muß, fo ift doch nicht zu leugnen, daß diefe Stimmung
und Kunftrichtung am reinften und am kräftigften gerade am Mittelrhein, dem Wirkungs-
kreife Grünewalds, durchbricht, und man wird nicht fehl gehen, gerade ihn als den
geiftigen Mittelpunkt diefer künftlerifchen Revolution anzufehen.
i Münchener Jahrbuch der bildenden Kunft. II. Halbband 1909.

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