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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913

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3. Heft
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Friedeberger, Hans: Das Lebenswerk Lovis Corinths
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0125

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DAS LEBENSWERK LOVIS CORINTHS

kraffe Körperlichkeit, ja nicht einmal der elemen-
tare Temperamentausbruch einer fonft gehaltenen
Natur, wie bei Rittners Florian Geyer, Vorbe-
dingungen für das Gelingen Corinthfcher Por-
träts find.
Den menfchlich Mitempfindenden hat es immer
wieder auch zu den heiligen Gefchichten ge-
zogen, und er hat fie da zu geftalten verfucht,
wo die ewigen Inhalte des Vergehens und der
Totenklage fich zur Darftellung anbieten. Es
find Kreuzigungen und Grablegungen, gemalt
in einer durchaus uniiterarifchen, nicht klügeln-
den Art, die den bewußt-modernen Chriftus-
darftellungen Uhdes wie der hiftorifch-pfycho-
logifchen Art Liebermanns gleich fern fteht. Ein
volles großartiges Gelingen war ihm hier be-
fchieden in der Tapiauer Kreuzigung, von der
es mich nur wundert, daß niemand in dem Ge-
kreuzigten mit den ohnmächtig-verzweifelt,
gräßlich-anklagend umhergreifenden Fingern
den Geift Matthias Grünewalds erkannt hat.
Und der Evangelift wie der Apoftel der Flügel-
bilder find wirklich von bibiifcher Größe, gerade
zeitlos genug, um jedes Gefühl einer neuzeitlich
übertragenen Hiftorie zu entfernen, und doch
wieder fo modern, daß auch der Eindruck einer
gewollten Primitivität nicht aufkommen könnte.
Diefe und die heidnifch-mythologifchen Stücke
rühren aber auch an die fchwache Seite der Co-
rinthfchen Kunft: Im Kompofitionellen bleibt fie

oft hinter ihren fonftigen Qualitäten weit zu-
rück. Es mag das wohl mit der befonderen,
gleichmäßig-lichten Farbigkeit diefer Bilder zu-
fammenhängen. Auch da glücken freilich — neben
fo völlig mißratenen Dingen wie der Kreuz-
fchleppung, dem Familienbild von 1901, dem
Bacchuszuge — gute Leitungen, wie das in feiner
Diskretion befonders fchöne „homerifche Geläch-
ter", wie vor allem der Diogenes, aber das Rechte
wird hier nicht mit der gleichen gefet$mäßigen
Sicherheit gefunden, wie anderwärts. Es fcheint
mir möglich, ja fogar wahrfcheinlich, daß auch das
fich noch ändert; die Wand des Eingangsfaales
mit dem herrlichen Inntal und den neueften
Blumenftücken zeigt ein Fortfehreiten zu ftärkerer
Konzentration und Großzügigkeit. Aber es
bleibt auch ohnedies ein großer Eindruck von
diefer Ausftellung. Man fieht jemand am Werk,
dem vielleicht die Zartheit und letzte Differen-
ziertheit der höchften Kultur fehlt, der aber an
Kraft und Gefundheit der Perfönlichkeit, und an
dem, was denn doch fchließlich das wefentliche
eines Kunftwerkes ausmacht, an Qualität keinen
Vergleich zu fcheuen hat, und wenn es bei
uns ein Mufeum lebendiger deutfeher Kunft gäbe,
fo könnte fein Direktor fich einige wirklich mo-
numentale und doch unmittelbare Stücke er-
werben. Auch vor dem lebten Simfon brauchte
man nicht zurückzufchrecken.
H. Friedeberger.

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