Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0197
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5. Heft
DOI Artikel:Raspe, Th.: Die älteste Bildnismalerei Leonard Limosins
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DIE ÄLTESTE BILDNISMALEREI LEONARD LIMOSINS
zurückgehen muß. Weiter ift mehrfach an
der Form der Zahlen Anftoß genommen und
von waffenkundiger Seite an der mißverftan-
denen Form des Helmes. Auch in diefem
Falle wird die Entfcheidung, ob folche For-
men für das frühe 16. Jahrhundert ganz aus-
gefchloffen find, ein wenig vom Glauben an
die Echtheit oder Unechtheit abhängen. Wenn
Marquet de Vaffelot fagt, daß das Olden-
burger Email beftimmt nach dem Tyroffftich
gefälfcht ift, der Stich aber feiner L.L.-Initialen
wegen auf ein Limofinoriginal zurückgehen muß, fo haben wir eine dreifache Zeitftil-
mifchung vor uns. Folgende Fragen tauchen daher bei jeder Einzelbeurteilung auf:
wieviel erklärt fich aus dem Umftand, daß ein Franzofe, L. Limofin, nach einer deutfchen
Vorlage arbeiten mußte? was ift beim Stich auf Rechnung des 18. Jahrhunderts oder der
Willkür des Stechers Tyroff zu feßen? wie weit follte der fränzöfifche Fälfcherkünftler
wiederum felbftändig (im Sinne des 16. Jahrhunderts) von der Stichvorlage abgewichen,
inwieweit andrerfeits beeinßußt fein (z. B. in der Zahlenform, in der Wahl der Um-
rahmung, in der unfchönen — auf der Abbildung fehr gemilderten — Schärfe der
Gefichtszüge)? Bei folcher Mifchung von „Abhängigkeiten" wird man doch
wohl mit dem Urteil fehr vorfichtig fein müffen, zumal da es für das frühefte
Porträtwerk Leonard Limofins an genügend Vergleichsmaterial gebricht.
Bleiben wir aber zunächft bei der Hypothefe der Fälfchung. Dann wird die Frage
von erheblichem Intereffe, wann die Fälfchung entftanden fein kann. Das Email fißt
in einem fchlicht profilierten Holzrahmen, den wir in die erfte Hälfte des 19. Jahr-
hunderts datieren müffen. Die Rückentafel diefes Rahmens enthält nun in Tintenfchrift
eine Notiz des früheren Befißers vom Jahre 1824: „ex coliectione Dr. N. Meyer
Bremenfi (?), nunc Minden 1824". Der hier genannte Dr. Meyer war Befißer einer
größeren Sammlung, von der ein Teil in den Befiß des Großherzogs von Oldenburg -—
wann, ift nicht mehr feftzuftellen - übergegangen ift. Die weiteren Bemerkungen
find wertlos, weil fie nach Marquet de Vaffelots gütiger Mitteilung jedenfalls dem
großen Lenoirfchen Werke „Musee des monuments frangais", VHI (1821) entnommen
und obendrein falfch find: es foll fich darnach ein Gegenftück zum Wclferbilde auf
dem fogenannten Grabdenkmal der Diana von Poitiers befinden; ferner ift von den
jeßt im Louvre aufbewahrten Tafeln der Sainte Chapelle die Rede.
Mit der Möglichkeit, daß dem Original im Großherzoglichen Befiß einmal die
Fälfchung untergefchoben fein kann, ift nicht zu rechnen — bleibt alfo als Entftehungs-
zeit für die Fälfchung nur die Periode von etwa 1780 (Beftellung des Stiches) bis 1824.
Die Spezialwiffenfchaft derFälfcherkünfte würde zu entfcheiden haben, ob eine derartige
Technik, Zeichnung und Malerei unter Benußung des Kupferftichs damals denkbar find.
Diefer erheblich befchränkten Möglichkeit der Entftehungszeit fteht vorläufig das
ganz entfchiedene Urteil des Parifer Gelehrten und beften Spezialforfchers auf dem
Gebiete der Limoufiner Schmelzmalerei gegenüber. Überlaffen wir die Beftätigung
diefes Urteils einer Zukunft, die fchärfer fieht als die unfrige. Sollte aber der Ruf
der Oldenburger Platte einmal wiederhergeftellt werden können, fo möge man diefe
Erwägungen „für und wider" als eine charakteriftifche Erfcheinung unferer noch recht
oft getäufchten Fälfchungswiffenfchaft anfehen.
Buchsmodell für eine Medaille mit Kopf und
Wappen des Bartholomäus Welfer von 1534
Kunftgewerbemufeum Oidenburg
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zurückgehen muß. Weiter ift mehrfach an
der Form der Zahlen Anftoß genommen und
von waffenkundiger Seite an der mißverftan-
denen Form des Helmes. Auch in diefem
Falle wird die Entfcheidung, ob folche For-
men für das frühe 16. Jahrhundert ganz aus-
gefchloffen find, ein wenig vom Glauben an
die Echtheit oder Unechtheit abhängen. Wenn
Marquet de Vaffelot fagt, daß das Olden-
burger Email beftimmt nach dem Tyroffftich
gefälfcht ift, der Stich aber feiner L.L.-Initialen
wegen auf ein Limofinoriginal zurückgehen muß, fo haben wir eine dreifache Zeitftil-
mifchung vor uns. Folgende Fragen tauchen daher bei jeder Einzelbeurteilung auf:
wieviel erklärt fich aus dem Umftand, daß ein Franzofe, L. Limofin, nach einer deutfchen
Vorlage arbeiten mußte? was ift beim Stich auf Rechnung des 18. Jahrhunderts oder der
Willkür des Stechers Tyroff zu feßen? wie weit follte der fränzöfifche Fälfcherkünftler
wiederum felbftändig (im Sinne des 16. Jahrhunderts) von der Stichvorlage abgewichen,
inwieweit andrerfeits beeinßußt fein (z. B. in der Zahlenform, in der Wahl der Um-
rahmung, in der unfchönen — auf der Abbildung fehr gemilderten — Schärfe der
Gefichtszüge)? Bei folcher Mifchung von „Abhängigkeiten" wird man doch
wohl mit dem Urteil fehr vorfichtig fein müffen, zumal da es für das frühefte
Porträtwerk Leonard Limofins an genügend Vergleichsmaterial gebricht.
Bleiben wir aber zunächft bei der Hypothefe der Fälfchung. Dann wird die Frage
von erheblichem Intereffe, wann die Fälfchung entftanden fein kann. Das Email fißt
in einem fchlicht profilierten Holzrahmen, den wir in die erfte Hälfte des 19. Jahr-
hunderts datieren müffen. Die Rückentafel diefes Rahmens enthält nun in Tintenfchrift
eine Notiz des früheren Befißers vom Jahre 1824: „ex coliectione Dr. N. Meyer
Bremenfi (?), nunc Minden 1824". Der hier genannte Dr. Meyer war Befißer einer
größeren Sammlung, von der ein Teil in den Befiß des Großherzogs von Oldenburg -—
wann, ift nicht mehr feftzuftellen - übergegangen ift. Die weiteren Bemerkungen
find wertlos, weil fie nach Marquet de Vaffelots gütiger Mitteilung jedenfalls dem
großen Lenoirfchen Werke „Musee des monuments frangais", VHI (1821) entnommen
und obendrein falfch find: es foll fich darnach ein Gegenftück zum Wclferbilde auf
dem fogenannten Grabdenkmal der Diana von Poitiers befinden; ferner ift von den
jeßt im Louvre aufbewahrten Tafeln der Sainte Chapelle die Rede.
Mit der Möglichkeit, daß dem Original im Großherzoglichen Befiß einmal die
Fälfchung untergefchoben fein kann, ift nicht zu rechnen — bleibt alfo als Entftehungs-
zeit für die Fälfchung nur die Periode von etwa 1780 (Beftellung des Stiches) bis 1824.
Die Spezialwiffenfchaft derFälfcherkünfte würde zu entfcheiden haben, ob eine derartige
Technik, Zeichnung und Malerei unter Benußung des Kupferftichs damals denkbar find.
Diefer erheblich befchränkten Möglichkeit der Entftehungszeit fteht vorläufig das
ganz entfchiedene Urteil des Parifer Gelehrten und beften Spezialforfchers auf dem
Gebiete der Limoufiner Schmelzmalerei gegenüber. Überlaffen wir die Beftätigung
diefes Urteils einer Zukunft, die fchärfer fieht als die unfrige. Sollte aber der Ruf
der Oldenburger Platte einmal wiederhergeftellt werden können, fo möge man diefe
Erwägungen „für und wider" als eine charakteriftifche Erfcheinung unferer noch recht
oft getäufchten Fälfchungswiffenfchaft anfehen.
Buchsmodell für eine Medaille mit Kopf und
Wappen des Bartholomäus Welfer von 1534
Kunftgewerbemufeum Oidenburg
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