Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913

DOI Heft:
6. Heft
DOI Artikel:
Uhde-Bernays, Hermann: Ein unbekanntes Jünglingsbildnis des Sandro Botticelli
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0221

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EIN UNBEKANNTES JÜNGLINGSBILD-
NIS DES SANDRO BOTTICELLI
Mit einer Tafel Von HERMANN UHDE-BERNAYS

l"'s ift eine eigenartige, aber fympathifche Tatfache, die bei der Einfchät$ung der
i^künftlerifchen Perfönliclikeit allmähliclr zwar nicht als ausfchließlich entfdieidend,
aber gewiß im Gegenfa^ zu der mehr auf Inhalt und dramatifdie Kraft größerer
Werke gerichteten Vorliebe der älteren Generation als bedeutungsvoller denn früher
feftgeftellt werden kann: Die Leiftung in der Porträtmalerei verfchiebt beftimmend den
Maßftab. Dem Menfchen bleibt, um ein bekanntes Wort Goethes zu wiederholen, der
Menfch immer am intereffanteften, und in der Verbindung malerifcher Vorzüge mit
der hiftorifchen Erinnerung ergibt fich vornehmlich einem nach beiden Seiten auf glück-
liche Bereicherung ausgehenden Kunftgenießen eine willkommene Einheit von zwei an
fich verfchiedenen Elementen als kultureller Wertbegriff und Gewinft. Wenn wir uns
bemühen etwa die Spezies des römifchen Kaiferporträts mehr nach der künftlerifchen
als nach der hiftorifchen Seite zu unterfuchen oder dem glücklichen Gefchlechte der
Medicäer in der langen Reihe der Suftermansfchen Bildniffe aus der viila reale zu
Poggio a Cajano eine Lebendigkeit zufprechen, die von dem Moder der Heraldik und
der Genealogie nicht überftäubt wird, kommen wir einer verallgemeinernden, gleich-
fam generalifierenden Betrachtung des Porträts nahe, die dem „Höchftentwickelten der
Art" den Preis zuerkennen muß. Finftere Vergeffenheit über ganzen Gefchlechtern
zwingt uns häufig, mit vertraut gewordenen Porträts unbekannter Menfchen eine Unter-
haltung zu führen, welche den Reden Hamlets auf dem Kirchhofe vollkommen gleicht.
Das perfönlichfte Verhältnis zu Porträts entfteht durch die nachdenklichen Anregungen
der Phantafie, und der unmittelbare Verkehr mit den lebendig Gebliebenen früherer
Zeiten drängt uns oflmals unerfüllbare Wünfche auf die Lippen, anftatt daß wir mit
würdigem Behagen Jet$t und Einft durch das beruhigte Gefühl des eigenen Perfönlich-
keitsgedankens ergreifen: „Menfchen lernten wir kennen und Nationen, fo laßt uns
unfer eigenes Herz kennend uns deffen erfreun."
Vor einem der feltfamen Jünglingsporträts des Sandro Botticelli sind die Eindrücke
empfangen worden, die zu folch allgemeiner Formulierung führten. Es war in der
Liechtenfteingalerie, wo zwifchen den abweifenden finfteren Bildniffen der Joeft van
Cleve und Bartel Beham der nachdenklich finnende Ausdruck eines jungen Florentiners
zum Verweilen auffordert. Wir befi^en eine große Reihe von ähnlichen Bildern —
nur fcheinbar ähnlichen Bildern, deren Malerei und künftlerifche Qualität fehr ver-
fchieden ift — und unter diefen etwa zwanzig Stück, auf welche Anzahl fie Emil
Schaeffer im „Florentiner Bildnis" beziffert, find es nur drei, die fich aus der Schar
der übrigen herausheben. Vielleicht ift zu ihrem Erkennen der gelegentlich hinderliche
Befif5 kunftwiffenfchaftlichen Seminargefichts unverwendbar. Das Gefühl, mit Recht
fonft bei der ernften Arbeit verpönt, findet auf Grund der perfönlichen Vorliebe jene
Seelenverwandtfchaft, die für eine übereinftimmende Urheberfchaft des nämlichen
Künftlers fpricht. Das Unterfcheidende auf allen für diefe letztere Frage in Betracht
kommenden Porträts liegt in Richtung einer Gleichfteliung, wenn wir fo fagen dürfen,
des Malers mit feinem Objekt. Ein Teil des eigenen Wefens, in den Ausdruck eines
fremden Seins gelegt, überträgt harmonifch vom erften Bilde zum zweiten und dritten
die abfichtlich fchlecht verhüllte Pfyche des Meifters. Wir fragen nach feinem Namen.
Es kann kein anderer fein als derjenige des Sandro Botticelli, deffen Selbftbildnis in
feiner „Anbetung der Könige" den Schlüffe! zur Erkenntnis überliefert.

Der Cicerone, V. Jahrg., 6. Heft

16

195
 
Annotationen