Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0224
DOI Heft:
6. Heft
DOI Artikel:Rohe, Maximilian Karl: Bernhard Hoetger: M. K. Rohe
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BERNHARD HOETGER
möylichkeit der Plaftik [ah,
glaubte man hier am Ausgangs-
punkt einer neuen zu [tehen,
die nur noch des genialen Sach-
walters bedurfte, um alles in
den Schatten zu [teilen, was
von Meudon aus die Welt in
den Bann eines ungeheuren In-
[tinktes und Temperamentes ge-
zogen hatte. Denn Hildebrand
hatte ja mit der nur dem Deut-
fchen eigenen wiffenfchaftlichen
Gründlichkeit gerade zur rechten
Zeit wieder das „Problem der
Form" einer grundlegenden Un-
terfuchung unterzogen und wenn
einer, [o war er berufen, der
Jugend all die Erkenntniffe ein-
zuimpfen, die von entfcheiden-
der Wichtigkeit [ein konnten,
zu einer Zeit, wo es galt, den
Radikalismus und Impreffionis-
mus in all feiner Relativität zu
überwinden.
Ich erinnere mich noch deut-
lich eines Disputes, den ich vor
Jahren mit einem Kollegen in
Sachen Rodin-Hildebrand hatte.
„Zugegeben," Jagte jener, „daß
Rodin von genialer Art ift und
über eine wundervolle Induktion
verfügt, aber es fteckt doch ein
gutes Stüde Barbar in ihm und was den Nachwuchs anlangt, fo wird jeder an ihm
zerfchellen, der nicht die gleiche geniale Perfönlichkeit ift, wie er und [ich dann höchft-
wahrfcheinlich gegen ihn kehrt, aus der Einficht heraus, daß fchon er die Grenzen der
plaftifchen Form überfchritten hat. Was hat er [ich nicht alles geleiftet! Nie würde
[ich beifpielsweife ein Hildebrand erlauben, einen Rhythmus fo brutal abzuhacken, wie
Rodin das des öfteren getan, fo daß man fich chokiert fühlt, als ob man es erlebte,
daß ein Klavierfpieler mitten beim Vortrag eines Beethovenfchcn Konzertes fich plößlich
erhöbe und mit dem Fuß in die Taften ftampfte."
Nun, wie die Sache heute fteht, muß man fagen, daß gerade an diefem Manko
von Temperament und Verwegenheit die Hildebrandfchule und damit die ausfichts-
reichfte neuere deutfehe Bildnerfchule gefcheitert und der theoretifche Impuls von feiten
des Meifters in ödeftem Akademismus gelandet ift.
Denn am Anfang jeder lebensvollen Kunft fteht die Empfindung und zwar eine
Empfindung, die lieber über die Stränge fchlägt vor Überfühe, als daß fie fich von
dem Intellekt in die zweite Reihe drücken ließe. Und diefer, fo unerläßlich und för-
BERNHARD HOETGER, Porträt der Frau S. in Marmor
198
möylichkeit der Plaftik [ah,
glaubte man hier am Ausgangs-
punkt einer neuen zu [tehen,
die nur noch des genialen Sach-
walters bedurfte, um alles in
den Schatten zu [teilen, was
von Meudon aus die Welt in
den Bann eines ungeheuren In-
[tinktes und Temperamentes ge-
zogen hatte. Denn Hildebrand
hatte ja mit der nur dem Deut-
fchen eigenen wiffenfchaftlichen
Gründlichkeit gerade zur rechten
Zeit wieder das „Problem der
Form" einer grundlegenden Un-
terfuchung unterzogen und wenn
einer, [o war er berufen, der
Jugend all die Erkenntniffe ein-
zuimpfen, die von entfcheiden-
der Wichtigkeit [ein konnten,
zu einer Zeit, wo es galt, den
Radikalismus und Impreffionis-
mus in all feiner Relativität zu
überwinden.
Ich erinnere mich noch deut-
lich eines Disputes, den ich vor
Jahren mit einem Kollegen in
Sachen Rodin-Hildebrand hatte.
„Zugegeben," Jagte jener, „daß
Rodin von genialer Art ift und
über eine wundervolle Induktion
verfügt, aber es fteckt doch ein
gutes Stüde Barbar in ihm und was den Nachwuchs anlangt, fo wird jeder an ihm
zerfchellen, der nicht die gleiche geniale Perfönlichkeit ift, wie er und [ich dann höchft-
wahrfcheinlich gegen ihn kehrt, aus der Einficht heraus, daß fchon er die Grenzen der
plaftifchen Form überfchritten hat. Was hat er [ich nicht alles geleiftet! Nie würde
[ich beifpielsweife ein Hildebrand erlauben, einen Rhythmus fo brutal abzuhacken, wie
Rodin das des öfteren getan, fo daß man fich chokiert fühlt, als ob man es erlebte,
daß ein Klavierfpieler mitten beim Vortrag eines Beethovenfchcn Konzertes fich plößlich
erhöbe und mit dem Fuß in die Taften ftampfte."
Nun, wie die Sache heute fteht, muß man fagen, daß gerade an diefem Manko
von Temperament und Verwegenheit die Hildebrandfchule und damit die ausfichts-
reichfte neuere deutfehe Bildnerfchule gefcheitert und der theoretifche Impuls von feiten
des Meifters in ödeftem Akademismus gelandet ift.
Denn am Anfang jeder lebensvollen Kunft fteht die Empfindung und zwar eine
Empfindung, die lieber über die Stränge fchlägt vor Überfühe, als daß fie fich von
dem Intellekt in die zweite Reihe drücken ließe. Und diefer, fo unerläßlich und för-
BERNHARD HOETGER, Porträt der Frau S. in Marmor
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