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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913

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21. Heft
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Feulner, Adolf: Malerei und Plastik des 18. Jahrhunderts in Bayern und Grenzlanden: Ausstellung im Münchener Kunstverein
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0791

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MALERE! UND PLASTIK DES 18. JAHRHUNDERTS IN BAYERN UND GRENZLANDEN


verleiht als die Originalität des
Schnitters.
Von den übrigen Schulen he-
ben wir noch einige Werke be-
Jonders hervor. Der Augsburger
Kupferftecher Bergmüller war bis-
her nur durch eine Jignierte Figur
in Berlin als Plajtiker bekannt. Sie
ijt renaiffanceartig detailliert und
hat mit der ihm hier zugefchrie-
benen Gruppe nur das Inhaltliche
gemeinfam(Abb. 18). Dieje Gruppe
trägt entjchieden den Charakter
der Münchener Schule um Mitte
des 18. Jahrhunderts und ijt ein
bezeichnendes Beifpiel für die Ten-
denzen der Rokokoplajtik. Beide
Figuren Jind Jchraubenartig ge-
dreht, St. Michael in zackig aus-
ladender Drapierung Jteht wie ein
Tänzer mit einem Beine auf dem
-Satan. Die Silhouette ift ganz
unruhig, es fehlt anfcheinend die
Stabilität der Plaftik vollkommen.
Ebenfo in der fchönen Tiroler
Madonna aus Stams (Abb. 19).
Die kontraftierende Bewegung der
Figuren felbft, von Körper und
Kleidung, das Pathos der Ge-
bärden, der wild gefchwungene,
zerriffene Umriß, das alles ift Abb. 20. Kruzifix München, Pnvatbefit;
der abfolute Gegenfat$ organifcher
Schönheit. Und doch ift die Figur ein höchft feines Werk, wenn man die Umrahmung
fich dazu ergänzt, und fie nur als Ornament betrachtet. Sobald man [ich mit den
Tendenzen der ganzen Kunft auseinander gefegt hat, wird man in allen diefen
Werken nicht nur ein technifch großes Können, nicht nur Manier, fondern auch Emp-
findung fehen. Die Arbeiten haben Stil, fie find von Meiftern, die ihre Sache ernft
genommen haben, die viel urfprüngliches Schönheitsempfinden unter einer anfcheinend
bizarren Form verborgen haben.
Wenn man dann bedenkt, daß diefer Stil das ganze Volk derart packen konnte,
daß auch das einfache Werk der Volkskunft, vom Hauskruzifix (vgl. Abb. 20) bis zum
Hausgerät durch den Abglanz einer großen, einheitlichen Kultur reizvoll verfchönert
wurde, fo wird man fchließlich aufhören müffen, dort nur von fremden Einflüffen zu
fprechen, wo fo viel urfprünglich deutfches Empfinden fich zeigt.

Der Cicerone. V. Jahrg., 21. Heft. 57

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