Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0030
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Heft. 1
DOI article:Stoermer, Curt: Paula Modersohn
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PAULA MODERSOHN
Abb. 4. PAULA MODERSOHN, Befitjer: Herr v. Garvens, Hannover
Liegender weiblicher Akt. 1905
gewiffe Naivität, die ihn [owohl koloriftifch wie zeichnerifch in ganz gegenwärtige Be-
lichtung [teilt. Und es ift in Paula Moderfohns Kunft intereffant, daß wir deutlich den
Wert Böcklins für die moderne Kunft erkennen und fchäßen lernen.
Weil fich Paula Moderfohn fo hingezogen fühlte zum franzöfifchen Geifte, zu deffen
ftändiger Initiative irgendwelchem Stoff gegenüber, zu der Art, ftets eine äfthetifche
Äußerung zur Gefamtheit der zueinanderftehenden Dinge zu haben, feien es nun ein
paar Apfel oder eine Volksanfammlung, wurde fie auch mit feiner Kunft vertraut.
Troßdem fie aber diefe Kultur leidenfchaftlich genießen lernte, im Grunde war es doch
nur die Liebe zur Natur, zum Grashalm, wie ßie fagt, die auf dem weiten Wege durch
diefe Welt zu fich felber gelangen wollte. Immer blieb fie diefes unzugängliche, ein-
fame Wefen, das aber alle Sinne eingeftellt hatte, das Leben und die Bewegung zu
fchauen in deren tiefften Unbewußtheit bei den Bauern und dem Proletariat und dann
ohne die intellektuellen Unterfchiede im Geiftesleben der Kunft. Der Tod Böcklins
mußte fie erfchüttern, Rodin trat in ihren Lebenskreis, eine Menge unbezwinglicher
Kraft mußte vom Leben erft durchdrungen werden, ehe fie ihre Liebe zum Grashalm
verwirklichen konnte, um von hier aus ihrer Kunft die ganze Freiheit und Größe der
Idee voranzuftellen.
Paula Moderfohn gehört nicht zu den Impreffioniften. Es fehlt ihr die malende
Tradition der Franzofen; was fie fchuf, war urwüchfig. Es lag ihr nicht, die wechseln-
den Stimmungen des Lebens darzuftellen, ihre Kunft ift eine einzige Offenbarung. Ihre
Beziehungen zum Leben fucht fie auszugeftalten, nicht zu zerfetzen. Es foll nicht ge-
fagt fein, daß fie fchon darum größer ift, aber es fehlt ihr eben jene Vorbedingung
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Abb. 4. PAULA MODERSOHN, Befitjer: Herr v. Garvens, Hannover
Liegender weiblicher Akt. 1905
gewiffe Naivität, die ihn [owohl koloriftifch wie zeichnerifch in ganz gegenwärtige Be-
lichtung [teilt. Und es ift in Paula Moderfohns Kunft intereffant, daß wir deutlich den
Wert Böcklins für die moderne Kunft erkennen und fchäßen lernen.
Weil fich Paula Moderfohn fo hingezogen fühlte zum franzöfifchen Geifte, zu deffen
ftändiger Initiative irgendwelchem Stoff gegenüber, zu der Art, ftets eine äfthetifche
Äußerung zur Gefamtheit der zueinanderftehenden Dinge zu haben, feien es nun ein
paar Apfel oder eine Volksanfammlung, wurde fie auch mit feiner Kunft vertraut.
Troßdem fie aber diefe Kultur leidenfchaftlich genießen lernte, im Grunde war es doch
nur die Liebe zur Natur, zum Grashalm, wie ßie fagt, die auf dem weiten Wege durch
diefe Welt zu fich felber gelangen wollte. Immer blieb fie diefes unzugängliche, ein-
fame Wefen, das aber alle Sinne eingeftellt hatte, das Leben und die Bewegung zu
fchauen in deren tiefften Unbewußtheit bei den Bauern und dem Proletariat und dann
ohne die intellektuellen Unterfchiede im Geiftesleben der Kunft. Der Tod Böcklins
mußte fie erfchüttern, Rodin trat in ihren Lebenskreis, eine Menge unbezwinglicher
Kraft mußte vom Leben erft durchdrungen werden, ehe fie ihre Liebe zum Grashalm
verwirklichen konnte, um von hier aus ihrer Kunft die ganze Freiheit und Größe der
Idee voranzuftellen.
Paula Moderfohn gehört nicht zu den Impreffioniften. Es fehlt ihr die malende
Tradition der Franzofen; was fie fchuf, war urwüchfig. Es lag ihr nicht, die wechseln-
den Stimmungen des Lebens darzuftellen, ihre Kunft ift eine einzige Offenbarung. Ihre
Beziehungen zum Leben fucht fie auszugeftalten, nicht zu zerfetzen. Es foll nicht ge-
fagt fein, daß fie fchon darum größer ift, aber es fehlt ihr eben jene Vorbedingung
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