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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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2. Heft
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Heuser, Emil: Niederweiler, eine keramische Kunststätte des 18. Jahrhunderts
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NIEDERWEILER, EINE KERAMISCHE KUNSTSTATTE DES 18. JAHRHUNDERTS

Durch das Schaffen Ciffles und Lemires für Niederweiler und durch die Tätigkeit
der außer Lemire in der Fabrik felbft angeftellten Modelleure (Arnold, Römer, Baron-
ville, Bommer) ift die Zahl der Niederweiler Modelle recht beträchtlich geworden
und es gehören auch nach dem Kunftwert viele der Niederweiler Schöpfungen zum
beften, was die Keramik des 18. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Übrigens darf die
Bemalung der Figuren nicht minder hoch eingefchäßt werden als deren Form. Sind
doch an den buntfarbigen Gewändern der Beyerle'fchen Statuetten fogar die Stoffmufter
der Trachten in großer Mannigfaltigkeit zur Anfchauung gebracht! Mit Recht gehören
die fein bemalten Niederweiler Figuren und Gruppen (Fayence und Porzellan) zu den
gefuchteften und am höchften bezahlten keramifchen Altertümern überhaupt.

In der erften Hälfte der 1760er Jahre hatte man in Niederweiler auch das Ge-
heimnis des echten Porzellans erlangt. Wahrfcheinlich ift das Arkanum durch einen
Ausreißer aus einer der wenigen, bis dahin begehenden Porzellanfabriken, vermutlich
aus der von Wien, an Beyerle überbracht worden. In den Fabrikakten erfcheint näm-
lich für jene Zeit der Name eines Porzellanarbeiters, der aus Wien nach Niederweiler
gekommen war. Aber kaum begonnen, nahm in der Beyerle’fchen Fabrik die Her-
ftellung von feinem Porzellan ein jähes Ende. König Stanislaus Leszczynski, Herzog
von Lothringen, war 1766 geftorben, und Lothringen ging damit an Frankreich über.
Nun trat das Porzellanprivileg von Sevres auch für Lothringen in Kraft. Dem Fabrik-
heirn Beyerle blieb es gnädig geftattet, gewöhnliches, höchftens einfarbig bemaltes
Porzellan herzuftellen, und zwar nur Gefdiirr, nichts Figürliches. Diefem Gebote mußte
er fich fügen. Wie man fchon ein Jahrzehnt vorher dem Meifter Paul Hannong in
Straßburg die Porzellanfabrikation unbarmherzig eingeftellt und ihn damit auf pfäl-
zifches Gebiet, nach Frankenthal, getrieben hatte, fo verfuhr man nun auch gewalt-
fam gegen J. L. Beyerle. Mißmutig verkaufte diefer im Jahre 1770 (nicht etwa erft
1780) feinen Niederweiler Gefamtbefiß an den Grafen Cuftine, einen hohen Offizier
und Staatsmann des Königreichs. Unter dem neuen Befißer wurde die Fabrikation
von Luxusporzellan wieder aufgenommen; denn ein Graf Cuftine konnte der Fabrik-
leitung in Sevres fchon eher Troß bieten. Ohnehin ward bald nach 1770 das Privileg
der königlichen Manufaktur nicht mehr allzuftreng behütet. Nun entftanden in Nieder-
weiler jene fchönen Biskuitporzellane nach Modellen von Ciffle und Lemire, die noch
heute das Entzücken jedes Kunftverftändigen bilden, Figuren und Gruppen, die teils
dem täglichen Leben, teils der griechifchen und römifchen Götterwelt entnommen find.

Anftett blieb unter Graf Cuftine noch neun Jahre lang Leiter der Fabrik. Dann
im Jahre 1779 — zog er ab nach Hagenau, wo er zufammen mit zwei anderen,
mit Violet und Barth, eine Fayence- und Porzellanfabrik gründete. Nachdem fchon
1781 die beiden Teilhaber Anftetts wieder ausgefchieden waren, betrieb diefer das
Hagenauer Unternehmen für fich allein weiter. Graf Cuftine berief abermals einen
Straßburger, den Chemiker F. H. Lanfrey, nach Niederweiler und nahm ihn nicht bloß
zum Direktor, fondern zum Teilhaber an. Diefer Umftand bewirkte, daß die Fabrik
nicht zugrunde ging, als 1793 Graf Cuftine, der inzwifchen den Adel abgelegt und
fich zum Bürger-General und Heerführer der Republik aufgefchwungen hatte, wegen
feiner militärifchen Mißerfolge bei Mainz und Frankfurt zum Tode verurteilt und ent-
hauptet worden war.

Der Nachfolger Cuftines, F. H. Lanfrey, ftarb 1827. Seit 1806 fchon hatte er feine
zwei Söhne als Teilhaber in die Fabrik aufgenommen; indeffen verkaufte nach des
alten Lanfrey Tode die Familie das gefamte Anwefen an L. W. Dryander aus Saar-

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