DOI Heft:
6. Heft
DOI Artikel:Münsterberg, Oskar: Chinesische Kunst in Amerika, [2]
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0223
CHINESISCHE KUNST IN AMERIKA
keine Tangbilder erhalten find, fo
können wir nicht mit Beftimmt-
heit fagen, welche uns überliefer-
ten chinefifchen Bilder tatfächlich
der Tangzeit angehören. Sicher
zeigen viele den alten Stil, aber
da ftets Wiederholungen und Ko-
pien von berühmten Bildern ge-
macht worden find, läßt fich fchwer
feftftellen, welches Bild ein wirk-
liches Original und welches eine
Nachbildung ift, befonders, aus
welcher Zeit leßtere ftammt, und
ob fie direkt nach dem Original-
gemälde oder erft nach Zwifchen-
kopien gefchaffen ift. Hiftorifch
nachweisbare Bilder der Tangzeit
befißen wir in den zufällig er-
haltenen merkwürdigen Fresken
aus Turf an, die den köftlichen
Schaß des Berliner Völker-Mu-
feums bilden1. Hier lernen wir
jedoch nur eine gewiffe dekora-
tive Tempelkunft kennen, die uns
wohl für Stilifierung, Farbe und
Auffaffung außerordentlich wich-
tiges und intereffantes Material
gibt, aber nicht den richtigen Be-
griff von der hohen Vollendung
der Kunft in der damaligen Zeit
übermitteln kann. Wir wiffen vor
allen Dingen nicht, ob eine pro-
fane Kunft von hoher Bedeutung
neben der buddhiftifchen Kirchen-
kunft exiftiert hat. Die chinefi-
fchen Hiftoriker erzählen uns von
den großen Meiftern der Tang-
zeit, und im allgemeinen können
wir diefen Angaben vollen Glau-
ben fchenken. Aber ich meine,
daß unfere Kenntniffe der chinefi-
fchen Malerei vorläufig nicht fo
weit reichen, um irgendein Bild
mit Sicherheit der Tangzeit zufchreiben zu können. Jedenfalls wiffen wir aus den
Freskobildern Turfans, daß die Tangzeit eine illuftrative Linearkunft pflegte. Die Bilder
Äbb. 15. Greis mit Wanderftab und Schriftrolle, Schwarz-
weiß-Malerei, Kopf und Hände modern reftauriert und
mit Fleifchton angelegt, gezeichnet: 1726, Huang Schön
Sammlung Hirth, New-York
1 Ä. von Le Coq. Chotfdio. Fakfimile Wiedergabe der wichtigften Funde der erften kgl. preußi-
fdien Expedition nach Turfan in Oft-Turkiftan. 45 farbige und 30 fdiwarze Lichtdrucktafeln. 1913.
keine Tangbilder erhalten find, fo
können wir nicht mit Beftimmt-
heit fagen, welche uns überliefer-
ten chinefifchen Bilder tatfächlich
der Tangzeit angehören. Sicher
zeigen viele den alten Stil, aber
da ftets Wiederholungen und Ko-
pien von berühmten Bildern ge-
macht worden find, läßt fich fchwer
feftftellen, welches Bild ein wirk-
liches Original und welches eine
Nachbildung ift, befonders, aus
welcher Zeit leßtere ftammt, und
ob fie direkt nach dem Original-
gemälde oder erft nach Zwifchen-
kopien gefchaffen ift. Hiftorifch
nachweisbare Bilder der Tangzeit
befißen wir in den zufällig er-
haltenen merkwürdigen Fresken
aus Turf an, die den köftlichen
Schaß des Berliner Völker-Mu-
feums bilden1. Hier lernen wir
jedoch nur eine gewiffe dekora-
tive Tempelkunft kennen, die uns
wohl für Stilifierung, Farbe und
Auffaffung außerordentlich wich-
tiges und intereffantes Material
gibt, aber nicht den richtigen Be-
griff von der hohen Vollendung
der Kunft in der damaligen Zeit
übermitteln kann. Wir wiffen vor
allen Dingen nicht, ob eine pro-
fane Kunft von hoher Bedeutung
neben der buddhiftifchen Kirchen-
kunft exiftiert hat. Die chinefi-
fchen Hiftoriker erzählen uns von
den großen Meiftern der Tang-
zeit, und im allgemeinen können
wir diefen Angaben vollen Glau-
ben fchenken. Aber ich meine,
daß unfere Kenntniffe der chinefi-
fchen Malerei vorläufig nicht fo
weit reichen, um irgendein Bild
mit Sicherheit der Tangzeit zufchreiben zu können. Jedenfalls wiffen wir aus den
Freskobildern Turfans, daß die Tangzeit eine illuftrative Linearkunft pflegte. Die Bilder
Äbb. 15. Greis mit Wanderftab und Schriftrolle, Schwarz-
weiß-Malerei, Kopf und Hände modern reftauriert und
mit Fleifchton angelegt, gezeichnet: 1726, Huang Schön
Sammlung Hirth, New-York
1 Ä. von Le Coq. Chotfdio. Fakfimile Wiedergabe der wichtigften Funde der erften kgl. preußi-
fdien Expedition nach Turfan in Oft-Turkiftan. 45 farbige und 30 fdiwarze Lichtdrucktafeln. 1913.