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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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6. Heft
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Münsterberg, Oskar: Chinesische Kunst in Amerika, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0225

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CHINESISCHE KUNST IN AMERIKA

in fchwarzer Tufche mit feiner Far-
bentönung. Steile Felfen und knorrige
Bäume, Gewäffer und Häufer ziehen
in reicher Abwechflung an uns vor-
über , wie fie [ich im Leben dem
Reifenden auf weiten Wegen in fer-
nen Ländern zeigen. Mit ftarkerHand
und kraftvollem Pinfelftrich find die
einzelnen Landfchaftsbilder fkizzen-
haft hingeworfen. Was zufällig und
flüchtig erfcheint, ift in Wirklichkeit
bewußtes, lang ftudiertes Können. Es
ift das Gelingen des Strebens nach
Einfachheit im Ausdruck.

Der Torfo einer anderen Lang-
rolle aus Papier zeigt uns jene virtuos Abb. 16b. Maftiff, Tonarbeit, grün Field Mufeum,

entwickelte Malart, in ganz flott hin- filbern irrifierende Glafur, Han-Zeit Chicago

geworfenen Kleckfen und Strichen die

Impreffionen von Landfchaften zu geben. Derartige Bilder fcheinen in China feiten
zu fein, und ich habe noch niemals, auch nicht in Reproduktion, ein folch feines
Bild diefes Stiles gefehen.

Unter den Bildern, die den Stil Li Longmien’s (f. S. 150) aufweifen, dünkt mir be~
fonders fchön ein mittelgroßes Bild, auf welchem zwei Männer mit ihren Dienern fich
gegenüber fitjen. Oben im Himmel ift ein kleiner Gott dargeftellt. Je mehr man fich
in diefes Bild vertieft, defto mehr muß man bewundern, mit wie ficherem, eleganten
Strich der feine Pinfel geführt ift, um mit wenigen Linien den Ausdruck des Gefichts
und der Augen feftzuhalten. Nicht nur in den Augen kommt der geiftige Inhalt des
Bildes zum Ausdruck, fondern der Blick der Augen zeigt zugleich an, wo das Haupt-
intereffe des Befchauers hingelenkt werden foll. Die gleiche Art ift auf einem guten
kleinen Blatt in fchwarzer Tufche zu erkennen. Wir fehen einen Mann auf einem Löwen
reitend, der einen fpißen Strohhut trägt und eine Fahnenftange mit flatternden Streifen
emporhebt. Ein dahinter ftehender Löwe, mit einem aufgefpreizten, faft wie ein Pfauen-
fehweif ausfehendem Schwänze, blickt mit ftark hervortretenden Augen nach dem Manne
hin. Gehen wir der Augenlinie des Mannes nach, fo entdecken wir, daß er fcharf nach
einem jungen Löwen ausfehaut, der mit drohender Miene von der rechten Seite heran-
trottet. Diefer wiederum fieht nicht nach dem Manne felbft, fondern nach den Augen
des alten Löwen, auf dem der Mann reitet. So finden wir ein Zickzack von Blicken
über die ganze Fläche verteilt, um den geiftigen Zufammenhang der einzelnen Figuren
anzudeuten. Der Ausdruck der Augen ift bei Menfch und Tier gleichmäßig ftark be-
tont. Mit ficherer Hand ift diefes feine Blatt gezeichnet.

Es würde zu weit führen, auch nur die hervorragendften Bilder der Sammlung
Freer im einzelnen zu erwähnen. Da find prächtige Tierftudien, befonders von Vögeln,
während die vierfüßigen Tiere wie merkwürdigerweife ftets in China — fo fteif
und ftilifiert dargeftellt find, daß fie dem europäifchen Auge wenig gefallen können. Da gibt
es Blumenblätter in wundervollem, graziöfen Schwung und feinen Farben, die von In-
fekten und Käfern belebt find: Blätter, die an Kraft und Naturwahrheit das bekannte
lnfektenbuch von Utamaro überragen. Da fehen wir Blumen in zarter Verzweigung,

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