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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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8. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0330

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LITERATUR

es in erfter Linie nicht auf die Richtigkeit der
Einzelheiten, fondern auf die logifche Notwendig-
keit des künftlerifch erfundenen Gerüftes an-
kommt. Man hat wohl recht, das vorliegende
Werk mit der vortrefflichen Kopie eines Ge-
mäldes zu vergleichen, die nach chinefifchen Be-
griffen den Geift des Originals ausftrahlt. Gleich
diefen Surrogaten klaffifcher oftafiatifcher Ma-
lerei läßt Fenollofas Gefchichtsdarftellung intime
Manifestationen des fernorientalifchen Kunft-
gefühls aufleben, mit denen die neue Generation
die unmittelbare Berührung verloren hat.

In diefem Umftand liegt der unvergängliche
Wert feines Buches. Es wird darin „nur die
erfinderifche, fchöpferifche Kunft“ behandelt und
aus perfönlichen Neigungen zu gewiffen Kunft-
richtungen kein Hehl gemacht. Eine derartige
Stellungnahme ift bei fchöpferifchen Geiftern aus
dem Schlage Fenollofas unbedingt zu billigen.
Der erfahrene und kundige Lefer kann daraus
beffere Rückfchlüffe ziehen als aus einer durch-
aus gewiffenhaften objektiven Beleuchtung der
Dinge, die von einem kühleren Temperament
ausgeht.

Fenollofa reißt uns z. B. mit in die Hiße des
Kampfes zwifchen dem nördlichen und füdlichen
Chinefentum hinein und läßt dadurch den Geift
der Gefchichte in feiner ganzen Faßbarkeit wieder
erwachen. Seine ablehnende Kritik der Wen
Shen-hua (Bunjingwa) ift entfchieden vorein-
genommen und ungerecht. Künftler aus der
Sorte eines Taigadö oder Biifon haben die Kraft
ihrer Perfönlichkeit auch in Bunjingwaformen
zur Entfaltung bringen können. Es ift aber bis
jeßt kein Werk erfchienen und es ift mehr als
fraglich, ob eines in der Zukunft erfdieinen kann,
das uns den Charakter des großen künftlerifchen
Wettftreites der chinefifchen und japanifchen
Vergangenheit verftändlicher machen kann.

Eine fchrille Diffonanz ertönt im Werke bei
der harten Beurteilung, deren Fenollofa den
temperamentvollften Vertreter der oftafiatifchen
Malerei teilhaftig werden läßt. Die Deplacierung
des großen Sesshü nimmt uns aus dem Munde
Fenollofas fchon deshalb wunder, weil er dem
natürlich anders gearteten, aber auf ähnliche
ftürmifche Kraftäußerung, energifche Sgnthefe
und unmittelbare Mitteilung des Temperaments
disponierten Eitoku befonderes Verftändnis ent-
gegenbringt. Sesshü ift aus den großen chine-
fifchen Malern der Sungdgnaftie, in erfter Linie
aus Ma Yuan, abzuleiten und entwickelt feine
Linienfprache in einer Art, die einigen traditionell
auf WuTao-tzu zurückgeführten Gemälden (wie
z. B. den Landfchaften in Daitokuji, dem Shöki,
abgeb. in Nr. 230 der Kokka) eine befondere In-
tenßtät des Ausdrucks verleiht. Sesshü vereinigt

in pch fehr viel. Er bringt alte Verheißungen
in Erfüllung und kann deshalb wohl als der
Mann des Schickfals, als ein Univerfalgenie der
oftafiatifchen Malerei betrachtet werden.

All die Mängel des Werkes fallen aber leicht
in die Wage gegen die einfeitige Beurteilung
des Konfuzianismus, die manchmal zu willkür-
lichen Fiktionen und falfchen Wertfchäßungen
führt. Die Richtigftellungen des Herrn Hara
leiften bei folchen Gelegenheiten, wie überhaupt
im ganzen Buche, gute Dienfte. Das feindfelige
Verhalten gegen das konfuzianifche Syftem ift
wohl Fenollofas romantifcher Dispoßtion anzu-
rechnen. Es führt, wie gefagt, zu ungerechten
Kritiken, verhilft aber dem, der zwifchen den
Zeilen lefen kann, zu intereffanten Schlüffen.

Es war dem Verfaffer nicht vergönnt, fein
Werk zu vollenden und in eine fyftematifche
Ordnung zu bringen. Man darf alfo an der
Lückenhaftigkeit des Fenollofafchen Buches keinen
Anftoß nehmen, obwohl es immer lebhaft zu
bedauern fein wird, daß aus dem Werk die
Befprechung der Skulpturen von Lung-men und
Yün-kang, der Kunft des genialen Eklektikers
Hanabufa Itchö, des Ukita Ikkei, Nishikawa
Sukenobu und anderer fehlt. Eine abpchtliche
Übergehung diefer Meifter wäre nicht gerecht-
fertigt und bei einem retrofpektiv veranlagten
und daher wahlverwandten Geifte wie Fenol-
lofa undenkbar.

Ein großes Verdienft des Werkes ift der Nach-
druck, womit Fenollofa den pazififchen Charakter
der chinepfchen Urkunft hervorhebt. Diefe lebens-
fähige und fruchtbare Theorie heifcht noch wei-
terer poptiver Beweisführung und fyftematifcher
Vertiefung. Im Grunde wird pe pch wohl be-
wahrheiten müffen. Die endgültige Löfung diefer
Frage hängt aber mit der Klarlegung einer an-
deren zufammen. Sie kann nämlich erft dann
mit Sicherheit beantwortet werden, wenn einmal
der Umfang des früheften mefopotamifchen Ein-
flußes pch genauer beftimmen läßt. Diesbezüg-
lich ift es von der größten Bedeutung, die Rolle
zu beobachten, die den inner- und nordafiatifchen
Völkern zufällt. Es ift nämlich auf Grund des
bisher bekannt gewordenen Materials fo viel
feftzuftellen, daß die fkythifche Urbevölkerung
von Sibirien, Rußland und Ungarn eine barba-
rifche Kunft befaß, die größtenteils aus der me-
fopotamifchen abgeleitet wurde. Einige Denk-
mäler diefer Kunft weifen dabei chinepfche Ele-
mente auf. Wir pnd alfo berechtigt, in ihren
verwilderten Formen die Begegnung und Ver-
mifchung zweier entgegengefeßter Kunftrich-
tungen zu erkennen. Eine andere kleine Gruppe,
deren Hauptftock aus einer Reihe von Bronze-
gefäßen befteht, die in Sibirien, Rußland, Ungarn,

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