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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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Heft 20/21
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Friedeberger, Hans: Der Radierer Sion Longley Wenban
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0650

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DER RADIERER SION LONGLEY WENBAN

Abb. 2. S. L. WENBAN, Blick auf einen See mit Infei. 1883

geworden find, [teilt kein Wort der Anklage. Er ift glücklich, daß er in der Welt
ift und die Werke des Schöpfers würdigen kann, er findet es felbft begreiflich, daß
die Kunfthändler feine Gemälde nicht verwerten können, weil nicht der Name eines
Modemalers darauf fteht, macht dem eifernen Geldfchrank eine Verbeugung und geht.
Gegen das fertige Werk war er gleichgültig; viele Platten hat er nach wenigen Drucken
abgefchliffen. Immer hat ihn das Technifche mehr intereffiert als das Motiv. Als ihn
ein Freund und Whiftlerfchüler nach Venedig einlud, lehnte er ab; was man in München
nicht kann, wird man auch in Venedig nicht lernen, und Motive gibt es überall. Aber
derfelbe Mann, der kurz vor feinem Tode einmal [chreibt, jeßt glaube er für feine
Gemälde eine Technik gefunden zu haben, die es ihm ermögliche, feine Gedanken aus-
zudrücken, ift nach kaum einjähriger graphifcher Betätigung im Befiß einer fehr felb-
ftändigen und ziemlich umfangreichen Technik. Nur ganz kurze Zeit hält er im An-
fang bei den Blättern, die mit Hilfe des aufgerauhten Grundes koloriftifche Wirkung
erftreben. Noch im felben Jahre 1883, während drinnen in München die fchärffte
Detailmalerei herrfcht, entftehen in Schleißheim Blätter, in denen die wefentlichften
Elemente der Landfchaft mit den allernotwendigften Mitteln einer rein linearen Technik
gegeben werden. In diefer Zeit bevorzugt er Flachlandfchaften und Fernfichten. Dann
geht er zu detaillierterer Arbeit über, fucht ausführlich zu fein, ohne den großen Zug
zu verlieren. Es entftehen die Baumgruppen, die Blätter aus München. Die Technik
wird immer fouveräner, ohne daß die Empfindung kühler wird, und der viel zu frühe
Tod findet ihn auf der Höhe der Meifterfchaft.

Um feine Arbeiten hatte fich lange niemand gekümmert. Erft dem Sterbenden floffen
plötzlich reichlichere Geldmittel zu. Er nahm fie mit freundlichem, aber etwas ungläu-
bigem Lächeln. Es kam fo fpät und paßte fo wenig zu der bisherigen Ordnung feines
Lebens, daß er fich vorkam „wie ein Billetverkäufer im Zirkus“.

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