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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Schapire, Rosa: Thoma's Wandgemälde in der Peterskirche zu Heidelberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0280

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Die A u n st - b) a l l e.

Nr. (6

2F2

In Lseidelborg aber ist ein Schritt geschehen, um
dieser Nüchternheit zu steuern: die peterskirche weist
seit wenigen Monaten zwei große Wandgemälde von
bsans Thoma's bsand auf, und in diesem Bruch mit
der Ueberlieferung, in diesem Schritt einer sich nach
Schönheit sehnenden Zeit entgegen, liegt nicht die ge-
ringste Bedeutung dieser Schöpfung. Die Tage der
Bilderstürmer sind vorbei, und die protestantische Kirche
giebt der Kunst Raum.
Kunst und Religion gehen verschiedene Wege:
Religion will Gesinnung erzeugen; Kunst, die zu
unseren Gefühlen, zum weichsten und tiefsten in unserer
Seele spricht, löst Stimmung in uns aus. Tinen
Augenblick aber giebt es, wo beide sich treffen: in
dein seligen Sjchverlieren an ein Großes. Die
Ekstase des Frommen, der von seinem eigenen Ich ab-
strahirt, der sich von allein Irdischen, Kleinlichen, den
Sorgen des Tages losgelöst fühlt, kennt auch derjenige,
der es vermag, sich dem Künstler mit liebender Seele
hinzugeben, „rein erkennendes Subjekt" zu werden.
Aus ihrem innersten Empfinden heraus haben die
Künstler unserer Zeit ein neues Thristus - Ideal ge-
schaffen, unabhängig von der Tradition, unabhängig
von den Schöpfungen der Meister der deutschen und
italienischen Renaissance und den blutlosen, aber aus
tiefstem religiösen Gefühl geborenen Gestalten der
deutschen Nazarener. Neu ist es freilich nicht, daß
die Bibelmaler die Thristuslegende, um sie uns mensch-
lich nahe zu bringen, auf die Erde versetzen. Aber ein-
dringlicher als je wird uns heute geschildert, wie Maria
auf nacktem Stroh in Schmerzen der Welt den Heiland
geboren hat. Er selbst tritt, des Göttlichen entkleidet,
in Ed. von Gebhardts und Rhde's Gemälden als
schlichter Mann in die Gülte der Armen. Den Zügen
der Apostel haben Noth und Entbehrung ihren untilg-
baren Stempel aufgedrückt. Aber so müssen diejenigen
geblickt haben, die hinausgezogen sind, um mit Dfi"t-
ansetzung ihres Ich ihr Leben der Idee zu weihen. . .
Andere huldigen einer gegenteiligen Auffassung. Als
Dfimmelsfürst, als Weltenrichter, der in göttlicher Glorie
thront, von den heiligen Greisen und den mystischen
Thieren der Apokalypse umgeben, ist Thristus z. B.
dem Schweizer Paul Robert erschienen. Sein
mbut clu OkristS (Wandgemälde im NeuchatelerMuseum)
ist wohl die monumentalste Schöpfung christlichen Geistes
im neunzehnten (Jahrhundert.
Thomas religiöse Bilder stehen zwischen beiden
Auffassungen. Sie zeigen weder den scharf ausge-
prägten Realismus, noch Robert's ekstatisch-hinreißendes
Empfinden. Aus seinem schlichten, tiefen Gefühl her-
aus hat er den Gestalten aus dem alten und neuen
Testament, die ihn erfüllen, neues Leben gegeben, und
seine schönen und so bezeichnenden Worte: „Ich wollte
ja nur malen, weil ich die Meinung habe, daß noch
gar viele schöne Bilder in der Menschenseele
schlummern, die noch nie gemalt worden sind" gelten
auch für diese Schöpfungen. Religiöse Bilder nehmen

einen breiten Raum in seinem Schaffen ein. Zu seinen
Lieblingsmotiven gehören Paradiesdarstellungen, wie
selige Götter wandeln Adam und Eva über weichen
Nasen, Löwen schmiegen sich an ihre Seite, ein stolzer
Pfau schlägt sein Rad, in: Hintergründe ziehen Schwäne
über den märchenhaften Teicb. („Paradies" (876,
Thomawerk Nr. 35).*) Line verwandte Darstellung
Zeigt „Zm Paradiese" von (8ft2 (Thomawerk Nr. 2ft6).
Mit weicher khandbewegung ladet Adam die vor ihm
stehende Eva, die eine Pfauenfeder durch ihre Finger
gleiten läßt, ein, an seiner Seite am Wasser im Abend-
schatten Platz zu nehmen („Abend im Paradies" (889,
Thomawerk Nr. 278). Ein neuer Zug in der „Eva"
von (8fi0 (Städelsches Kunst - Institut). Das üppig
schöne Weib greift bewußt nach der Sünde und bricht
die Frucht, Adam fehlt auf dem Bilde, sie allein thut
ihre That. In „Adam und Eva" von (887 und (89(
(Thomawerk Nr. 205 und 2(fl) ist Eva, die, der
Paradiesesfreuden müde, begehrende Sünderin, während
in Adam wechselnde Empfindungen kämpfen. Und mit
der Sünde ist der Tod in die Welt gekommen, halb
durch ein Leichentuch verhüllt, blickt er Adam und
Eva grinsend über die Schulter und lauert auf seine
Beute („Adam und Eva" (897).
Auch für Darstellungen der „Flucht nach Egypten"
und des „Verlorenen Sohnes" findet Thoma ver-
schiedenartige Auffassungen. Wie Böcklin kann auch er
sich nicht genug thun, weiß er seinen Stoffen immer
neue Seiten abzulauschen, indem er ein einmal aufge-
nommenes Motiv immer wieder variirt. Thoma hat
auch keinen einheitlichen Thristustypus festgehalten.
Sein Thristus blickt immer verschieden. Menschlich
überredend, trotz der Strahlenkrone über seinem Lsaupte,
im Gespräch mit Nikodemus („Thristus und Nikodemus"
(870, Thomawerk Nr.50) oder derSamariterin („Thristus
und die Samariterin" (88(, Thomawerk Nr. (siO),
grübelnd und erwägend, wenn der Versucher auf dem
Berge vor ihn tritt, abweisend, streng, in sich gefestigt
bei der Aufforderung, Steine in Brot zu wandeln,
demüthig um Erleuchtung und Kraft flehend auf dem
Oelberg, allein Irdischen entrückt auf der erschütternden
Kreuzigung, leidensvoll in der kühnen Verkürzung auf
der unter bellineskem Einfluß stehenden „Pietä" ((885,
Thomawerk Nr. 20(). Auch die beiden Lhristusbilder
in der peterskirche tragen verschiedenen Tharakter.**).
Die peterskirche, von der es bei Merian heißt:
„eine feine, hohe und weite Kirch und daß sich zu ver-
wundern ohne einige Seul", dankt ihre heutige Gestalt
dem Umbau von (865—(870 nach den Plänen von
Frank-Marperger. Bei diesem Umbau wurden die
Keuxersandsteinsäulen eingefügt und die Decke gewölbt.
*) Diesem Bilde innerlich verwandt ist die „Goldene Zeit"
>876, „Gefilde der Seligen" (879, „Orpheus" (898. Die
gleichen landschaftlichen Motive treten in vielen Landschaften,
speziell aus den 70 er Jahren, auf, und die Paradiesdarstellung
xlingt noch auf einem der Selbstbildnisse des Meisters aus.
**) Die Lhristusdarstellungen beziehen sich sämmtlich, wo
nicht anders erwähnt, auf Steindrucke.
 
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