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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 4
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Kirchbach, Wolfgang: Vers und Prosa?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0045

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„fernabdonnernd zu" an den 2lusgang der Iamben,
welche den Sprecher also an diesen Stellen auszu-
setzen nötigt nnd zur abschließenden Betonung zwingtz
versinnlicht unendlich deutlicher die Vorstellung, daß
man die Thore selber meint zuschlagen zu hören.
Und darauf hin sollte feder Schriftsteller wenigstens
einmal in seinem Leben die „Iphigenie" in prosa mit
der in Versen vergleichend durchstudieren: man würde
wohl im Allgemeinen mehr Respekt vor dem „Verse-
machen" gewinnen. <§s ist höchst interessant zu sehen,
wie der Bers Goethen allenthalben zum plastischeren
Ausdruek genötigt hat; die „Iphigenie" in prosa ist
nicht halb so plastisch wie die im vers. Die Zusätze,
Aenderungen und Umbildungen des Textes sind durch-
weg vom Gesetze der tzllastik und Anschaulichkeit diktiert;
denn selbst ein Laie fühlt, daß mit dem Nhythmus
sofort auch energisch die Forderung der tzllastik ein-
tritt. So war die Dersifikation der „Zphigenie" in
der That nichts anderes, als eine chsrausarbeitung
des eigentlich dichterischen Gehalts des ganzen IVerkes.

Anders lag bei „Tasso" die Sache. Hier bedeu-
tete die Versifikation in der That im feinsten Sinne
eine D ramatisierung. Ls hieß den dramatischen
Gehalt dieses feinsinnigen kVerkes deutlicher heraus-
stellen. Nicht die Armut an bsandlung zu „ver-
stecken", sondern was in einer scheinbar undramatischen
k^andlung an feinster dramatischer Bewegtheit ver-
borgen war, wenigstens für den Schauspieler deut-
licher zu machen, das allein konnte den Dichter zum
Verse notigen. Denn „Tasso" ist nicht nur „eine Neihe
schöner Verse", sondern trotz Lewes auch ein Drama.

Zch will mich deutlicher erklären. Aeußerliche
bsandlung ist ja herzlich wenig im Stücke. Aber es
ist das rein stofflich. Den großen b^aufen des Volkes
vermag freilich nur eine Fülle der Handlung, welche
auch handfest sich im äußeren Thun äußert, aufzu-
regen. Aber es ist eine fein geschliffene Gesellschaft
denkbar, auf welche „Tasso" ebenso aufregend, dra-
matisch aufregend wirken dürfte, wie wenn Shake-
speare'sche Figuren sich ihre Llüche ins Gesicht
schleudern. Man denke sich etwa vor einer Lenore
Sanvitale und einem Tasso dies Stück gespielt, vor
Alenschen mit gleicher höfisch abgeschliffener Bildung,
welche gewöhnt sind, in jedem harmlosen bVort die
Gbertöne und alle möglichen versteckten Beziehungen
mitzuhören: auf solche wirkt die Dichtung höchst
dramatisch. Nkeist deklamiert man ja an unseren
Bühnen den „Tasso" ins Blaue hinein. Natürlich
langweilt er dann. Aber nur, weil man das lVerk
nicht versteht. TVenn der Deutsche Verse hört, so
meint er ja so wie so, sich in Nektar berauscht stellen
zu müssen und die Lngel aus dem siebenten Himmel
läuten zu hören. Darum wir auch noch keinen
deutschen Nwlisre uüd einen wirklich feinen ^ustspiel-
vers haben, trotz der eminenten Biegsamkeit unserer
Sprache. Aber wenn man verse hört, meint man
den Himmel noch einmal so blau gemalt zu sehen,
als er wirklich ist uud nur das hat wieder die Ab-
neigung gegen den vers gezeitigt. Dem kommen die
Tassoverse nun gar nicht entgegen. Diese sind fein-
sinnig, dialektisch zugespitzt uud wollen in diesem Sinne
verstanden sein. So gleich der erste Vers:

„Du siehst mich lächelnd an, Tleonore,

Und siehst dich selber an und lächelst wieder."

Das ist kein schöngeistig deklamatorischer vers,
sondern er will als ein eleganter, graziöser verstanden
sein, der sich genau der Nedeweise des wirklichen
Lebens anschmiegt. Ls ist der häfliche Rhythmus
eines beziehungsreichen Gesprächs, das voll von An-
spielungen steckt und dramatisch wirkt, so wie der
Schauspieler diesen Ton der Anspielung durchklingen
iäßt. Zn der That sah ich einst an einer bekannten
Lsofbühne eine vollendete Aufführung „Tassos", wo
das Drama überaus dramatisch und alle feineren
Sinne gar sehr aufregend wirkte. Da deklamirte
aber der Nleister-Antonio nicht das Lob des Ariost
im ersten Akt, sondern ließ überall, während er diesen
Fsymnus sprach, die negative Beziehung auf Tasso
durchhören, indem er Attenenspiel und Bewegung
darnach hielt. Der Zuschauer fühlts lebhaft all die
Nadelstiche mit, die Tasso durch dieses absichtlich so
stark aufgetragene Lob des Ariost trafen, und man
begriff in der Folge überhaupt den Zustand des
tz)hantasiemenschen Tasso, der sich in diese höfische
bvelt nicht finden kann, wo Alles Liebe, Alles Freund-
schaft scheint, und das begeisterte lVort selbst miß-
braucht wird, um als Nkaske für die heimliche Ver-
wundung Anderer zu dienen. Ohne hier weiter auf
Zdee und dramatischen Gehalt der Dichtung einzugehn:
gerade in der Versifikation liegt ein gut Teil der
dramatischen kvirkung dieser Dichtung, wenn der
Schauspieler, statt sie rhetorisch zu deklamieren, sie ver-
ständnisvoll und höfisch zu sprechen weiß. Tin be-
rühmter ^-chauspieler sprach freilich einst die Schluß-
worte des zweiten Akts des Antonio:

„Gar leicht gehorcht man einem edlen bserrn,

Der überzeugt, iudem er uns gebietet."
im Tone der tiefsten Unterwürfigkeit, welche sich von
der ausgesprochenen Nede selbst überzeugt hält. Un-
erträglich! Gin Anderer machte gar eine Sentenz
daraus. Der hatte nun freilich die ^ache absolut
nicht verstanden. Eine wahre dramatische lVirkung
und ein sehr eleganter Aktschluß aber kam heraus,
als in jener genannten Vorstellung der Schauspieler
geistreich genug war, Goethes und Antonios Meinung
zu verstehen, indem er mit feiner höfischer Zronie und
einer gewissen manneswürdigen, charaktervollen bsaltung
die kvorte sagte. Da war auf einmal klar, warum der
Vers auch formell ein Ukeistervers ist. Denn sein Nlang
bis zu dem letzten Ausladen „gebietet" mit zwei Silben,
nicht melodisch einsilbig, läßt den Gedankenftrich der
Strophe, das elegante ironische Verweilen auf dem
letzten lVorte, das eine solche höfische Rede mit sich
bringt, schon in der äußeren Struktur des Versgefüges
als gegeben erscheinen und insofern wird das ge-
sprochene lVort in der That durch den rhythmischen
Ausdruck dramatischer. Schriebe man die lVorte in
jDrosa nebeneinander: „Gar leicht gehorcht man einem
edlen Lserrn, der überzeugt, indem er uns gebietet",
so müßte der Schauspieler, wenn er richtig den
geistigen Akzent dieser jDrosa treffen wollte, eben die
von Goethe im vers vorgezeichnete rhythmische Grund-
lage für seine Nede annehmen.

Denn Alles einigermaßen xrononzierte Neden auch
im alltäglichen Leben geht rhythmisch vor sich. bvir
dürfen, um uns hierbei nicht länger aufzuhalten, wohl
auf das verweisen, was wir über das realistische
und verdeutlichende kvesen des Nhythmus in unserem

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